Wer juristisch auf dem Holzweg ist, entscheidet sich vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Foto: Archiv (avanti)


Ob das Outsourcing von Kräften bei Werzalit rechtlich wirksam ist, wird das Bundesarbeitsgericht am 25. Januar klären.

Oberstenfeld - Lange Zeit ist es ruhig geblieben – doch jetzt geht es um viel: Die höchstrichterliche Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes Erfurt (BAG) soll Klarheit im Streit um das Outsourcing auf dem Gelände des Oberstenfelder Holzverarbeiters Werzalit bringen. Das BAG verhandelt am Donnerstag, 25. Januar, an einem einzigen Tag die Revision von sechs Fällen aus drei Werzalit-Standorten: dem Mutterwerk in Oberstenfeld sowie den inzwischen geschlossenen Werken in Berlin und Niederorschel in Thüringen.

Das Gericht prüft dabei unter anderem, ob das Landesarbeitsgericht Stuttgart am 26. März 2016 korrekt geurteilt hat, als es den von Werzalit-Geschäftsführer Jochen Werz in die Wege geleiteten Betriebsübergang von 58 Mitarbeitern in die Fertigungsgesellschaft Holz Kunststoff GmbH + Co. KG (FHK) im Jahr 2011 verneinte.

Das BAG-Urteil am 25. Januar gilt als richtungsweisend auch für die Fälle, die an diesem Tag nicht verhandelt werden. So hatte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg den Betriebsübergang zur FHK in einem inzwischen geschlossenen Berliner Werzalit-Werk in den meisten von verhandelten 17 Fällen bejaht und damit anders als das Stuttgarter Landesarbeitsgericht geurteilt, das den Arbeitnehmern in allen Fällen Recht gegeben hatte. Verhandelt wird in Erfurt neben drei Berliner Fällen aber auch einer der zwei, in denen das Landesarbeitsgericht Thüringen pro Arbeitnehmer geurteilt hatte.

Bedeutend ist der Kasus Werzalit/FHK aus Gewerkschaftssicht deshalb, „weil ganz grundsätzliche Dinge entschieden werden“, sagt Thomas Martin, Sekretär der IG Metall in der Region Stuttgart. „Darf ein Arbeitgeber das Instrument des Betriebsübergangs nutzen, um ungeliebte Arbeitnehmer loszuwerden?“, fragt sich Martin, der den Widerstand der ehemaligen Werzalit-Mitarbeiter begleitete. Thomas Martin erkennt in der Gründung zahlreicher Fertigungsgesellschaften auf dem Werksgelände von Werzalit „das Prinzip Schlecker“ wieder. Ein solches Outsourcing in kleine Gesellschaften mit wenig Kapital trenne die beschäftigten Menschen unter anderem von den Maschinen und den Liegenschaften, die im Eigentum der ursprünglichen Firma bleiben. Komme es dann zur Insolvenz der formal eigenständigen Gesellschaft, wie bei der FHK im November 2016, könne eine solche Firma wichtige Verpflichtungen nicht mehr erfüllen.

So kann vom Erfurter BAG-Urteil unter anderem abhängen, ob Werzalit ausstehende Pensionsansprüche von rund 3,41 Millionen Euro selbst bedienen muss, teilt der Betriebsrat mit. Es gehe auch um Arbeitslosengeld von etwa 1,15 Millionen Euro, weil FHK-Mitarbeiter schon von Mai bis November 2015 arbeitslos gemeldet waren, ihnen aber volles Entgelt zugestanden habe, da sie noch Werzalit-Mitarbeiter gewesen seien. Auch gezahlte Arbeitslosengelder seit der FHK-Insolvenz im November 2016 dürften Gerichte beschäftigen.

Einer der geschassten 58  Arbeitnehmer ist Jan-Willem Riezebos. Der 60-Jährige fungierte als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender: erst bei Werzalit, dann in der FHK. „Die Gewinne nimmt er mit, die negativen Effekte wälzt er auf die Arbeitnehmer ab“, sagt Riezebos, für den feststeht, dass der Werzalit-Geschäftsführer Jochen Werz mit seinem Unternehmen in der Pflicht steht. Er sei Gesellschafter der von ihm ins Leben gerufenen FHK gewesen, und er habe vor allem selbst eine Zeit lang als Geschäftsführer der FHK fungiert. Zudem habe er seinen Mitarbeiter Jürgen Kreiter als FHK-Geschäftsführer eingesetzt. Kreiter habe die FHK später ohne Werz weitergeführt. So habe der Werzalit-Geschäftsführer auch später die Fäden in der Hand behalten „und zumindest zu Beginn der FHK mit sich selbst verhandelt“, beschreibt Riezebos die Konstellation nach dem Betriebsübergang im Jahr 2011 aus seiner Sicht.

Genau diese Eigenständigkeit der FHK und der anderen Gesellschaften auf dem Werzalit-Gelände ist bisher von Jochen Werz als Vertreter von Werzalit in den ersten Instanzen stets betont worden. „Bei einem Betriebsübergang wird der Betrieb unverändert fortgeführt“, lässt Werz jetzt schriftlich mitteilen, befragt darauf, dass die Gegenseite immer darauf hingewiesen habe, dass sich für die FHK-Mitarbeiter nach dem Betriebsübergang faktisch nichts geändert hatte und dass es deshalb kein echter Übergang gewesen sei. Seinen Rückzug sowohl als Geschäftsführer als auch als Gesellschafter der FHK begründet Werz damit, dass er der Firma „einen unbelasteten Neuanfang ermöglichen“ wollte.

Und der Vorwurf, die FHK vorsätzlich in die Insolvenz getrieben zu haben, um Mitarbeiter los zu werden? Werz bestreitet, dass eine Liquidation oder eine Insolvenz der FHK bei deren Gründung vorhersehbar gewesen sein soll. Auf die Frage, wie viele Arbeitnehmer auf dem Werksgelände derzeit tätig seien, verweist der Werzalit-Geschäftsführer auf die „eigenständigen Gesellschaften“. Die Werzalit GmbH + Co. KG Industriebeteiligungen selbst betreibe kein operatives Geschäft mehr. Die unter dem Markennamen Werzalit vertriebenen Produkte verkauften sich hingegen gut. „Wir erwarten eine Verbesserung gegenüber dem Vorjahr.“ Inwiefern das Unternehmen eine Niederlage vor Gericht wirtschaftlich verkrafte, lässt Werz offen: Die GmbH werde sich mit dem Urteil befassen, sobald es vorliege. Dann werde auch geklärt, wie das Unternehmen mit dem Umstand umgehe, dass es möglicherweise verpflichtet ist, die Mitarbeiter wieder einzustellen, teilt der Geschäftsführer auf Nachfrage mit.

Aus Sicht der DGB Rechtsschutzes gibt es zwar sowohl für die Berliner als auch die Stuttgarter LAG-Urteile vertretbare Argumente, doch sehe man es als entscheidend an, dass die FHK keine eigenständige unternehmerische Entscheidung treffen konnte, „weil sie am Gängelband von Werzalit hing“, sagt Thomas Heller, Jurist bei Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht in Kassel. Zwar sei die FHK „nach innen“, also gegenüber den Arbeitnehmern, als eigenständige Firma aufgetreten, aber nicht „nach außen“ im eigenen Namen. Thomas Heller stellt klar: „Es kommt darauf an, wer Inhaber des Betriebes ist und nach außen, also etwa gegenüber der Kundschaft, auftritt.“

Spannend dürfte auch die Frage sein, ob die FHK-Arbeitnehmer ihre Rechte verwirkt haben, weil sie erst 2015, also vier Jahre nach dem Betriebsübergang, das Weiterbestehen ihres alten Beschäftigungsverhältnisses bei Werzalit geltend machten, als es vor dem Arbeitsgericht Stuttgart eigentlich um den Kündigungsschutz bei der FHK ging. Diese Argumentation spielte vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eine Rolle, als Werzalit den Rechtsstreit für sich entschied.