“Es sieht nach Abriss aus“, sagen die Frauen, während sie das Sammellager auflösen. Foto: Michael Raubold Photographie

Die ehemalige Neuapostolische Kirche in Rielingshausen wird zum Pflegeheim. Damit endet die Arbeit des Frauenclubs in der Flüchtlingshilfe vorerst.

Marbach-Rielingshausen - Es ist ein Lachen, wenn auch eines mit bitterem Beigeschmack. „Packen für Affalterbach“, sagt Brigitte Wolf vom Rielingshäuser Frauenclub und greift nach einem Kaffeeservice aus schwerer Keramik. Eines von vielen Überbleibseln im Sammellager in der ehemaligen Neuapostolischen Kirche in der Frankenstraße 1. Der Arbeitskreis Asyl und die Gemeindeverwaltung aus dem Nachbarort haben die Frauen für diesen Samstag eingeladen, als kleines Dankeschön für die dreijährige, wertvolle Unterstützung in der Flüchtlingsarbeit. „Wir sollen Geschirr mitbringen“, berichtet Brigitte Wolf. Über den Abnehmer ist sie sichtlich dankbar.

Ein Zettel an der Tür kündigt an, dass eigentlich bereits seit dem 27. Juli keine Waren mehr angenommen werden. „Das Sammellager schließt für immer!“, ist darauf zu lesen. Einige Spender stört das offenbar nicht. Treffen sich die Damen zu einer weiteren Aufräumaktion, finden sie oft noch Pakete vor, die einfach über den Zaun geworfen wurden. Heute morgen ist es ein alter Stahltopf, ungeeignet für moderne Herde. „Damit hätte doch niemand mehr etwas anfangen können“, wundert sich Brigitte Wolf. Kopfschüttelnd bestätigen die anderen, dass sie manches Mal das Gefühl hatten, als Müllhalde missbraucht worden zu sein. Brigitte Wolf zaubert von irgendwo her einen ausgelatschten, dunkelgrünen Gummistiefel hervor, an dessen Sohle noch der Dreck vom letzten Arbeitseinsatz klebt. So ist er abgegeben worden.

Allerdings überwiegen die positiven Erfahrungen, die das Team vom Frauenclub in drei Jahren gemacht hat. Zu den acht Helfern am heutigen Tag gesellen sich sonst zehn jüngere Frauen, einige von ihnen aus der Türkei und bereits im Heimaturlaub. Viele persönliche Freundschaften seien entstanden, zu anderen Helferinnen, aber auch zu syrischen und afghanischen Familien. „Dass sich der Frauenclub dem Sammellager angenommen hat, war in jeder Hinsicht ein Glücksfall“, sagt Gerhard Heim, der Erste Beigeordnete der Stadt Marbach. Die Einrichtung sei schließlich für den gesamten Landkreis bedeutend geworden. Die Stadt hat das Areal samt Gebäude im November 2008 erworben. Schon damals bestand der Plan, dort ein Pflegeheim zu errichten. Bis ein Investor gefunden war, konnte der Frauenclub die ehemalige Kirche sowohl dankens- als auch notwendigerweise nutzen. Heim geht davon aus, dass der Investor noch in diesem Jahr die Unterschrift unter den Kaufvertrag setzt, bevor 2018 die Bagger anrollen werden. Für das Sammellager bedeutet das das Aus.

Sogar aus dem benachbarten Rems-Murr-Kreis kamen Hilfesuchende. „Wir haben uns stets überlegt, was wir wohl dringend bräuchten, wenn wir fliehen müssten“, erklärt Brigitte Wolf. Gezielt habe man diese Dinge vorgehalten, was sich herumgesprochen habe. Dabei blieb es nicht aus, dass die Bedürftigen über ein gutes Kleidungsstück in Streit geraten sind. Das Geziehe und Gezerre an jeweils einem Hosenbein über den Tisch hinweg ist letztlich ein äußeres Zeichen für die innere Not gewesen. Trotzdem hatten sich die Frauen wohler gefühlt, als sie Unterstützung von einem jungen Mann erhielten. Damit haben die Streitigkeiten aufgehört. Resolut auftreten konnte aber auch Brigitte Wolf. Als sie Flüchtlinge dabei erwischte, wie sie Waren aus dem Sammellager auf einem Flohmarkt in Freiberg verscherbelten, hagelte es Hausverbote. „Da war dann Schluss bei mir“, sagt sie.

Jetzt sieht es in der Kirche nach Abriss aus. „Einerseits bin ich froh, dass wir hier fertig sind, andererseits wird es mir fehlen“, prophezeit Margarete Jeutter schon jetzt. Die Zeit sei lehrreich und interessant gewesen, pflichten ihr die anderen bei. Manches wohl auch überraschend. So müssen die Frauen beispielsweise nur noch einen kleinen Anteil von ehemals sehr vielen Schnapsgläsern entsorgen. „Als uns die ersten gebracht wurden, dachte ich noch, was soll das? Die dürfen doch gar keinen Alkohol trinken!“ Ein besonders schönes Exemplar mit dem Konterfei von Friedrich Schiller samt dessen Signet hat allerdings keinen Abnehmer gefunden.

Ebenso wenig die roten Plateauschuhe. Rose Jackson deutet mit zwei Fingern die Höhe des Absatzes an – gute zehn Zentimeter. Die Schuhe passten offensichtlich nicht ins modische Bewusstsein afghanischer und syrischer Frauen, also fort damit.

Jedoch sind das Einzelfälle. Das wenigste von dem, was bis zuletzt keine Abnehmer gefunden hat, wandert in den Müll. Wer das ehemalige Gotteshaus betritt, findet gleich rechts der Eingangstür den Zugang zum sogenannten kleinen Saal. Die Luft darin ist abgestanden. Rund 60 Umzugskartons sorgen für die Trockenheit in dem Raum. „Die gehen nach Minden in Westfalen“, berichtet Brigitte Wolf. Die Mindener Hilfe wird sie per Seefracht versenden zum ehemaligen Marbacher Pfarrer Wolfgang Gramer nach Argentinien. Nur einen Raum weiter, dem eigentlichen Eingangsbereich, steht eine große Anzahl an schwarzen Kunststoffsäcken, ebenfalls Hilfsgüter, die in ein Lager nach Rumänien gebracht werden, um die dortige Not zu lindern.

Die Ironie des Schicksals: Läuft alles nach Plan, werden in diesem Dezember die ersten Unterkünfte in der Rielingshäuser Siemensstraße stehen. Die Stadt errichtet dort 88 Plätze, geht aber von einer Belegung mit 70 Asylsunchenden aus. „Wir haben Flüchtlingen im ganzen Landkreis geholfen, und wenn wir eigene bekommen, sind wir nicht mehr da“, sagt Brigitte Wolf. Räume, um die Arbeit fortzuführen, gäbe es im Ort nämlich keine. Aber dennoch: Der Frauenclub habe viel bewegt. Er helfe bei der Hausaufgabenbetreuung, habe den Weihnachtswunschbaum für Kinder aus sozial schwachen Familien etabliert, „und auch jetzt fällt uns wieder etwas ein“. Noch hält sich Brigitte Wolf bedenkt, was das sein könnte, aber das es bereits Ideen gibt, ist zweifelsohne spürbar.