Freuen sich über Fortschritte: Mohammed Hussein Adem, Katja Weber, Taha Jesri und Marc Dressel (von links). Foto: Oliver von Schaewen

Etwa die Hälfte der 44 Bewohner in dem Caritas-Wohnheim für unbegleitete minderjährige Asylbewerber im Murrer Gewerbegebiet Egarten hat eine Lehrstelle gefunden.

Murr - Hinter Taha Jesri liegt ein langer Tag. Der 18-Jährige war in der Berufsschule und hat an diesem Nachmittag noch Nachhilfe gehabt. Es ist 18 Uhr. Ein Tisch, einige Stühle, ein Sofa und ein Tischkicker – viel mehr gibt es im Gemeinschaftsraum in dem Murrer Wohnheim für minderjährige Asylbewerber nicht. Muss es auch nicht, denn Taha Jesri hält sich hier sowieso wenig auf. Der Syrer muss in seinem 13-Quadratmeter-Zimmer vor allem eins: Lernen. „Wenn Sie meinen Schreibtisch sehen würden . . .“, sagt er und erzählt davon, dass er Bücher lesen muss, deren Verstehen ihm als Schüler im Berufsvorbereitungsjahr den Einstieg in die Ausbildung zum Mechatroniker ermöglichen.

Für den Flüchtling aus einem syrischen Kriegsgebiet bedeutet es ein großes Glück, die Ausbildungsstelle bei einem Betrieb in Möglingen gefunden zu haben. Seine Familie ist im türkischen Flüchtlingslager geblieben, er sah dort für sich keine Perspektive. Taha Jesri ist klar, dass er irgendwann wieder ausreisen muss. Das Schicksal hätte ihn normalerweise mit Beginn seiner Volljährigkeit ereilt, doch dank des Ausbildungsvertrages darf er noch in Deutschland bleiben. „Die Duldung ist auf die dreijährige Ausbildung bezogen, er darf danach noch zwei weitere Jahre bleiben“, sagt Marc Dressel, Leiter des Caritas-Wohnheims, in dem 44 Asylbewerber wohnen, die bei ihrer Ankunft in Deutschland noch minderjährig waren und deshalb unter den Jugendschutz fallen.

Nach der etwas improvisierten Eröffnung des Wohnheims vor etwa eineinhalb Jahren habe die Einrichtung „eine wahnsinnige Entwicklung“ genommen, versichert Marc Dressel, der es als Erfolg ansieht, bisher 19 Bewohner an deutsche Arbeitgeber vermittelt zu haben. Der Weg der jugendlichen Flüchtlinge verlaufe in mehreren Stufen. Zunächst wohnten sie in kleinen Wohngemeinschaften in anderen Städten unter der Obhut eines Sozialarbeiters außerhalb des Heims. Wenn sie dann das Einmaleins des geregelten Lebens begriffen hätten, kämen sie im Alter von etwa 16 bis 18 Jahren in die größer angelegten Wohnheime. Mit dem Miteinander in Murr ist Dressel zufrieden. „Unser Job hier ist das Leben der Jugendlichen“, sagt er und erzählt auch davon, dass es manchmal nicht einfach sei, wenn die Heranwachsenden Grenzen ausloten und sich über Regeln hinwegsetzten. „Nach außen haben wir aber keine Übergriffe oder Gewalttätigkeiten“, sagt der Heimleiter. Nach innen krache es schon mal, aber die rote Linie sei noch nicht überschritten worden. Worin die bestehe? „In der Gewalt oder auch nur Drohungen gegen unsere Mitarbeiter.“ Wenn es um die Sicherheit der 20 Caritas-Angestellten geht, die das Wohnheim rund um die Uhr betreuen, kennt der Caritas-Mann Dressel keine Kompromisse. Voll des Lobes ist er über den Einsatz der Ehrenamtlichen aus dem Arbeitskreis Asyl in Murr. „Einer kommt sogar aus seinem Studienort Reutlingen hierher, um Nachhilfe zu geben.“

Neben Taha Jesri sitzt Mohammed Hussein Adem. Er stammt aus Äthiopien und kam 2016 nach Deutschland. Der 19-Jährige hat bei einem Betrieb für Elektrotechnik in Bietigheim-Bissingen einen Ausbildungsvertrag erhalten und fährt morgens um 6.11 Uhr von Murr aus mit Bus und S-Bahn dorthin. Das war möglich, weil er dort zwei Praktika und danach eine einjährige Einstiegsqualifizierung (EQ) absolvierte. „Sie fanden mich gut und haben mich genommen – es ist für mich eine Riesenchance und auch der einzige Weg“, erzählt der Lehrling, der sich bei den Kollegen sehr akzeptiert fühlt. „Ich finde es schön, in einem solchen wunderbaren Land mit tollen Menschen leben zu dürfen.“ Er sei wissbegierig und lerne, wann immer er könne. „So lange ich lebe, werde ich versuchen, mich bei meiner Arbeit zu verbessern“, verspricht der Afrikaner. Er habe es nicht immer leicht gehabt, aber er denke: „Wo ein Wille ist, da ist ein Weg.“

Dass die beiden Flüchtlinge zu den am höchsten motivierten in der Wohnanlage zählen, verhehlen Marc Dressel und seine Kollegin Katja Weber nicht. „Die meisten dürften zwischen ihnen und denen liegen, die nicht so gut klar kommen.“ Wichtig sei aber, dass die Jugendlichen die Sicherheit haben, auch in krisenhaften Situationen nicht fallen gelassen zu werden.

Der Wunsch, irgendwann einmal in eine eigene Wohnung ziehen zu können, haben viele der Heimbewohner, die in den Wohngemeinschaften mit drei Zimmern und einer Küche und einem Bad in Murr leben und mit einer Regelpauschale von monatlich rund 400 Euro auskommen müssen. Allerdings sei auf dem Wohnungsmarkt auch nicht alles Gold, was glänzt, erklärt Marc Dressel. „Einer unserer Bewohner ist zurückgekehrt, weil die Wohnung schäbig war und die Heizung nicht funktionierte – er wollte aber zunächst unbedingt dort einziehen, um unabhängig zu sein.“

Zum Abschluss des Gespräches fragt der Heimleiter Taha Jesri: „Wo siehst du dich in fünf Jahren?“ Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Als Meister“. Wo auch immer Jesri dann seinen Beruf ausüben wird – er hat in Deutschland schon viel über das Leben gelernt.