Das Refraktometer hat Marcel Schüle von seinem Opa. Foto: Michael Raubold Photographie

Bei der Weinlese helfen alle mit: Freunde und Familie. Gute Gespräche, ein herzhaftes Mittagessen und viel Spaß gehören bei Familie Schüle zur Lese dazu.

Murr - Das Thermometer zeigt acht Grad, es ist sonnig, aber die Atemluft bildet kleine Nebelwölkchen. Es ist 8 Uhr morgens und die Stimmung ist gut auf dem Hof der Familie Schüle in Murr. Gut zehn Lesehelfer sind zusammengekommen und teilen sich flugs auf ein paar Autos auf. Gemeinsam geht es ins Murrer Gewann Löchle – an diesem sonnigen Septembertag wartet der Grauburgunder darauf, geerntet zu werden.

Und der Grauburgunder muss sich wirklich noch ein halbes Stündchen gedulden: Denn erstmal ist der Kerner dran. Die 200 Kilo „für den Hausgebrauch“, wie es Marcel Schüle nennt, sind schnell gelesen. Schüle ist Aufsichtsrat bei den Marbacher Weingärtnern, seine eigenen Weinberge hat er in Murr und Steinheim. „Nach Rücksprache mit den Mitgliedern gibt die WG vor, was an welchem Tag gelesen wird“, erklärt Schüle. Das komme natürlich vor allem auf die Sorte an. Lemberger und Trollinger sind meist die letzten im Verlauf der Lese. Sie werden in zwei bis drei Wochen dran sein, schätzt Marcel Schüle.

„Worauf muss ich achten?“, fragt einer der Lesehelfer am unteren Rand der Grauburgunder-Reben. Marcel Schüle gibt kurz Rückmeldung: „Die sind top. Die Essigfaulen müssen halt raus.“ Die Gruppe schnappt sich Scheren und Eimer und legt los. Marcel Schüle erklärt nebenher, dass es dieses Jahr große Probleme mit dem Wespenfraß gab. Die betroffenen Beeren werden einzeln ausgelesen oder mit der Schere ausgekratzt. Nur die Guten landen also im Töpfchen.

Die Familie Schüle betreibt Weinbau in der dritten Generation. Vor Jahren hat der Opa gemeinsam mit dem Vater angefangen im Wengert. Marcel Schüle, heute 24 Jahre alt, war schon von klein auf dabei und hatte vor allem bei der Lese viel Spaß. „Das war immer das Highlight“, erzählt er lachend. „Da waren viele Leute da und es gab gutes Essen.“

Was heute übrigens nicht anders ist. Während die Helfer im Wengert schaffen, kümmert sich Oma Elisabeth Könninger daheim auf dem Hof um das Mittagessen. Zum ersten Mal ist sie nicht mehr selbst bei der Lese dabei, bedauert die 86-Jährige. Aber dass sich jemand zuhause um alles kümmert, ist ebenso wichtig, findet Marcel Schüles Mutter Sabine. Heute gibt es Maultaschen für die Lesehelfer. Sie zu verköstigen, ist für Familie Schüle selbstverständlich. „Schließlich helfen alle freiwillig“, lobt Marcel Schüle. Freunde sind dabei, die Familie ebenfalls, auch der 84-jährige Opa, Gerhard Könninger hilft mit. Vor ihm und seiner Großmutter „ziehe ich den Hut“, sagt der 24-jährige Marcel. „Mein Opa unterstützt mich hier im Wengert das ganze Jahr.“

Auch, wenn dann im Wengert zwei Generationen aufeinandertreffen, was nicht immer ganz einfach ist – der alte Hase auf der einen Seite, der junge Techniker für Weinbau und Önologie auf der anderen. Dennoch klappt es gut zwischen Opa und Enkel, und Mama Sabine ist stolz auf ihren Sohn. „Mich freut es ganz arg, dass er mit dem Weinbau weiter macht“, sagt sie.

Heute arbeitet Marcel Schüle als Techniker beim Weingut Aldinger in Fellbach. Dort hat er auch schon im Rahmen seiner Winzer-Ausbildung geschafft – ebenso wie im Staatsweingut Weinsberg und im Beilsteiner Schlossgut Hohenbeilstein. Letzteres, ein Bio-Betrieb, hat den jungen Murrer durchaus geprägt. „Ich würde gern bio machen, aber da gibt es eben auch einige Nachteile.“ Zumal es seitens der WG kein entsprechendes Programm gibt. „Wir sind da auch zu klein strukturiert“, sagt der24-Jährige. Nichtsdestoweniger verzichtet er seit dieser Saison auf das umstrittene Glyphosat. Die Unterstöcke werden nicht mehr mit Herbizid sondern mechanisch behandelt.

Die Lesehelfer sind derweil bei fast der Hälfte der Rebenreihe angekommen. Marcel Schüle achtet darauf, dass alle ungefähr auf gleicher Höhe lesen. „Es ist sinnvoll, wenn auf jeder Seite des Stocks einer ist, damit wir keinen Trauben vergessen“, erklärt er. Außerdem wird so gewährleistet, dass der kleine Traktor immer nah bei der Lese-Mannschaft ist, damit man die vollen Eimer nicht allzu weit tragen muss. Nicht zuletzt trägt es zur problemlosen Kommunikation der Helfer bei, wenn sie dicht an dicht arbeiten. „Hier wird viel gebaatscht“, sagt Marcel Schüle augenzwinkernd. „Es soll ja Spaß machen.“

Und das macht es ganz offensichtlich. „Auch, wenn man abends total verspannt ins Bett fällt: Bei einem solchen Wetter zu lesen, ist traumhaft“, sagt Sabine Schüle. Gegen Mittag wird es an diesem Lese-Tag dann auch so richtig warm. Sonnenschein gibt es dann auch zu Kaffee und Kuchen zum gemeinsamen Abschluss. Sabine Schüle: „Da bleiben wir dann auch alle noch ganz gemütlich länger hocken.“