Die Murrer Interessen an einer Bottwartalbahn halten sich immer noch in Grenzen, räumt Torsten Bartzsch ein. Foto: Werner Kuhnle

Die Gemeinde Murr inverstiert derzeit viel, sie ruft aber auch in Erinnerung, dass der Wirtschaftsboom zu Ende gehen kann.

Murr - Der Verkehr, der Wohnungsbau und das neue Jugendhaus stehen unter anderem im Fokus der Gemeinde Murr. Wie er die Schwerpunkte setzt, schildert der Bürgermeister Torsten Bartzsch im Gespräch.

Herr Bartzsch, in einem Satz: Wie geht es Murr?
Murr geht’s gut, da es sich positiv weiterentwickelt hat.
Woran machen Sie das fest?
Wir haben gerade viele Projekte am Laufen, die langfristig die Infrastruktur verbessern.
Bevor wir zu den Projekten kommen: Mancher Kollege beneidet Sie um die 33 Millionen Euro in der Rücklage. Wie sehen Sie Ihren Reichtum?
Geld ist nicht alles. Nur weil eine Gemeinde viel Geld hat, ist sie nicht auch im übertragenen Sinne reich. Bei Murr trifft aber beides zu. Finanziell geht es der Gemeinde gut, weil sie es sich jahrzehntelang erarbeitet hat. Murr steht aber auch inhaltlich als reiche Gemeinde da: Die Infrastruktur ist gut ausgebaut, und wir haben Vereine und Organisationen, die viel machen, wie etwa aktuell die neu gegründete Demenzgruppe des Krankenpflegefördervereins, in der sich Ehrenamtliche engagieren.
Welchen Kurs werden Sie angesichts der immensen Rücklagen in den nächsten Jahren verfolgen?
Klar ist, dass wir an unserer Linie festhalten, sparsam zu wirtschaften. Das ist auch Konsens im Gemeinderat: das Notwendige gut zu machen, aber nicht alles Wünschenswerte umzusetzen. Bei jeder Entscheidung können hohe Folgekosten entstehen. Wir wissen auch nicht, wie es mit der Wirtschaft weitergeht. Da ist es beruhigend, wenn man auf gewisse Rücklagen zurückgreifen kann.
Welche Investitionen haben Sie umgesetzt, um die Infrastruktur zu stärken?
Es läuft einiges, wie etwa die Erschließung des Neubaugebiets im Langen Feld. Dann wird aktuell der Neubau des Kindergartens Mühlweg für die Ganztagsbetreuung fertiggestellt. In Kürze investieren wir in die Aussegnungshalle am Alten Friedhof. Und wir sanieren zurzeit die Mozart- und die Silcherstraße, wofür wir immerhin 850 000 Euro aufbringen müssen. Da sieht man, dass man überhaupt erst die Mittel haben muss, um so etwas anzupacken.
Welche Projekte möchten Sie in Zukunft realisieren?
Wir wollen das Feuerwehrgerätehaus am Lindenweg sanieren. Der Gemeinderat wird darüber im Herbst entscheiden. Wir würden dort gerne einen Anbau erstellen und im Innenbereich unter anderem die Sanitäranlagen und Leitungen erneuern. Dann soll auch möglich sein, dass Frauen sich dort in eigenen Räumen umziehen können. Es ist absehbar, dass mehr Frauen bei der Feuerwehr mitmachen.
Durchgängig Tempo 30 auf der Hauptstraße durch den Ort bleibt Wunschdenken?
Eigentlich war es unser Wunsch, dass wir das im Zuge des Lärmaktionsplans realisieren können, aber das Landratsamt hat dem nicht zugestimmt. Die Lärmwerte seien zu niedrig, hieß es von dieser Seite. Aber der Kreisel kann jetzt dazu beitragen, dass die Geschwindigkeit auf der Bietigheimer Straße gesenkt wird, es aber auch an der Kreuzung zu mehr Sicherheit und zu einem besseren Fluss kommt. Viele Verkehrsteilnehmer haben die schlechte Sicht moniert, wenn sie vom Gewerbegebiet auf die Bietigheimer Straße abbiegen.
Wie zufrieden sind Sie mit den Fortschritten in der Wohnbebauung im Zentrum?
Wir freuen uns, dass sich bei den Kulturdenkmälern im Ort viel tut. Die Sanierung der Zehntscheuer läuft schon, es wird hinter dem Mille Miglia kräftig investiert, sodass Wohnraum entsteht. Auch das Alte Pfarrhaus gegenüber vom Alten Rathaus macht Fortschritte, da der Investor schon das Baugesuch eingereicht hat. Wir haben außerdem noch in der Kirchgasse ein weiteres Kulturdenkmal erwerben können. Für uns hat das insgesamt den Charme, dass Altes und Neues zusammenkommt und nicht einfach nur abgerissen und neugebaut wird.
Der soziale Wohnungsbau ist zum Beispiel der Marbacher SPD im geplanten Neubaugebiet an der Affalterbacher Straße ein wichtiges Anliegen – welche Anstrengungen unternimmt Murr auf diesem Gebiet?
Wir haben für Flüchtlinge die drei Baukörper an der Hindenburgstraße 15 errichtet. Ein weiteres Modul kommt an die Steinheimer Straße 29. Das sind sehr langlebige Baukörper im Vergleich zu einfachen Containern. Diesen Wohnraum können Bürger später als günstigen Wohnraum anmieten. Wir sind uns bewusst, dass eine große Nachfrage herrscht – wir wollen beitragen, sie zu bedienen.
Die Ganztagsbetreuung ist ausgebaut worden, auch an der Lindenschule. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rainer Fröbel regte an, sich über die Einführung der Ganztagsschule Gedanken zu machen.
Wir wollen schauen, was an der Schule möglich ist. Die Ganztagsschule hätte natürlich Auswirkungen auf die Familien. Das Land ist kürzlich erst zurückgerudert, in der Frage, welche Formen es geben kann. In Marbach hat man gesehen, zu welchen Widerständen es kommen kann. Das Ganze funktioniert nur mit einem Konzept, das von der Schule initiiert, gelebt, aber auch von den Familien akzeptiert wird. Nur wenn alle Beteiligten es wollen, kann eine Ganztagsschule auch gelingen.
Viele Eltern wollen ihre Kinder nachmittags noch selbst betreuen – wie gehen Sie damit um, wenn an der Lindenschule die Weichen gestellt werden sollen?
Wir müssen über die Form reden. Ich sehe es kritisch, wenn das Land jede Stunde am Nachmittag über die Lehrer abdecken sollte, aber es nicht tut. Das Land wälzt viel auf Dritte ab: auf Ehrenamtliche aus Vereinen oder Organisationen und nicht zuletzt die Kommune, die mit eigenen Betreuungspersonal etwa das Mittagessen sicherstellen und die Randzeiten abdecken muss. Es ist fraglich, ob eine Ganztagsschule tatsächlich so funktioniert. Im Gemeinderat sind wir uns jedoch einig, dass wir das Thema Ganztagsschule mit der Schule konkret erörtern müssen.
Das Jugendhaus wird das zentrale Bauprojekt sein. Welchen Stellenwert messen Sie dem Projekt bei?
Es hat einen sehr hohen Stellenwert. Bisher war das Jugendhaus viele Jahre provisorisch untergebracht. Im Alten Schulhaus wurde damals mit der Offenen Jugendarbeit begonnen, aber wir haben erkennen müssen, dass es vom Standort und den Räumlichkeiten keinen wirklich guten Betrieb zulässt. Mit dem Neubau entsteht mit neuer Ausstattung und den Angeboten ein viel besseres Umfeld. Dass der Bedarf da ist, erkennt man an den bisherigen Besucherzahlen. Es ist wichtig, dass Jugendliche, die sich nicht Vereinen oder Organisationen anschließen, eine Anlaufstelle haben.
In Steinheim waren ja kürzlich Konflikte zwischen Gästen und Anwohnern zu beobachten. Wie schätzen Sie das Potenzial für das Murrer Jugendhaus ein?
Am bisherigen Standort haben wir ständig Probleme gehabt. Auch am neuen Standort gibt es Anwohner, sie wohnen auf der anderen Seite der Murr und haben sich gegen das Projekt ausgesprochen. Diese Bedenken wegen möglichen Lärms, Naturschutzgründen und Parkplatzproblemen haben wir ernst genommen und in der Planung berücksichtigt. So liegen die Ausgänge des Jugendhauses in Richtung Süden. Auch haben wir das Gebäude aus Naturschutzgründen behutsam ins Umfeld integriert und werden ein Maximum an Parkplätzen anlegen.
Was passiert mit dem alten Jugendhaus?
Im Erdgeschoss sind die Räume an die evangelische Kirchengemeinde vermietet. Im Obergeschoss haben wir bisher noch keine neue Nutzung vorgesehen.
Murr hat ja in gewisser Weise noch ein zweites Jugendhaus bekommen, weil der Landkreis unbegleitete jugendliche Asylbewerber im Gewerbegebiet unterbringt. Wie ist der Betrieb angelaufen?
Aktuell sind 30 Jugendliche dort. Es war mit der Baufertigstellung gegen Ende etwas schwierig. Die Küchen werden erst jetzt, im August, angeliefert. Deshalb läuft alles noch etwas provisorisch. An sich sind aber die Mitarbeiter der Caritas in den ersten Wochen sehr bemüht. Einerseits müssen sie selbst die Jugendlichen kennenlernen, andererseits ist für Jugendliche und Mitarbeiter in Murr alles neu. Wir führen Gespräche mit allen Beteiligten, auch mit der Jugendsozialarbeit und der Polizei, wie der Betrieb optimiert werden kann und erst mal alle Angebote im Ort bekannt werden.
Wie schätzen Sie das Konfliktpotenzial dadurch vor Ort ein?
Ich bin überzeugt, dass ein großer Teil der Jugendlichen ein ureigenes Interesse hat, sich zurechtzufinden und seinen Weg zu finden: mit Schule, Praktika und Ausbildung. Aber wir brauchen uns nichts vormachen: Wie überall wird es auch im betreuten Jugendwohnen schwarze Schafe geben. Wir müssen mit allen Beteiligten schauen, wie wir diese Konflikte möglichst frühzeitig lösen können. Es gibt da kein Schwarzweiß, die Wahrheit liegt mittendrin. Der Aufgabe müssen wir uns stellen.
Inwiefern ist der AK Asyl eingebunden?
Der Arbeitskreis leistet wertvolle Arbeit, aber die Rolle ist bei den Jugendlichen eine andere. Sie haben jeder einen Vormund und einen Betreuer der Caritas. Die Ehrenamtlichen des Arbeitskreises werden hier eher im Freizeitbereich helfen können. Deshalb wollen wir auch versuchen, unsere Murrer Vereine und Kirchengemeinden einzubinden, um Angebote zu schaffen. Bei den Erwachsenen hilft der AK dagegen auch, sie zum Beispiel bei Behördengängen zu begleiten.
Die Idee einer Bottwartalbahn erlebt derzeit eine Renaissance, nachdem im Regionalverkehrsplan ein „dringlicher Bedarf“ festgestellt wurde. Wie offen ist die Gemeinde Murr für weitere Planungen?
Das Thema beschäftigt uns schon seit vielen Jahren. Es gab ja schon viele Untersuchungen zur Bottwartalbahn. Und deshalb hat man einen Punkt darunter setzen wollen und gesagt: Weitere Untersuchungen bringen nichts. Jetzt ist wieder eine Situation, in der sich viele des Themas angenommen haben. Die Einstufung im neuen Regionalverkehrsplan ist aber nicht neu, sondern war auch schon im alten genauso vorhanden. Hochgestuft worden ist dagegen der Straßenausbau zwischen Murr und Marbach. Da müsste die Region jetzt eigentlich etwas tun.
Wie ernst ist es den Verantwortlichen, bei beiden Projekten vorwärts zu kommen?
Wir saßen mit allen Bürgermeistern und Vertretern der Landratsämter Ludwigsburg und Heilbronn zusammen und haben uns darauf verständigt, dass eine weitere Untersuchung angestoßen wird. Da wird aber erst Ende 2018 mit ersten Ergebnissen zu rechnen sein. Ob die Bottwartalbahn dann noch weiter Thema ist, wird man nach dieser ersten Untersuchung erst sehen. Wir als Gemeinde Murr wollen uns dem nicht verschließen, aber zum jetzigen Zeitpunkt ist es zu früh, es zu konkretisieren. Klar ist, dass wir nicht die sind, die von einem Betrieb am stärksten profitieren. Was uns Sorgen macht, ist eine mögliche Trassenführung mit allen Problemen, die es dann in Murr geben würde. Diese Probleme müsste man ganz konkret und differenziert betrachten. Jetzt geht es erst mal um die Wirtschaftlichkeit.
Gibt es auch Fortschritte beim Busverkehr zwischen Murr und Marbach?
Es ist sehr erfreulich, dass wir uns bei dem Treffen mit den Bürgermeisterkollegen und den Landratsämtern darauf geeinigt haben, dass eine eigene Trasse für den Busverkehr parallel untersucht wird. Das wäre eine Maßnahme, die für die Nutzer des ÖPNV sehr positiv wäre. Es wird untersucht, ob auf der alten Bahntrasse zwischen Murr und Marbach eine Extrabusstraße eingerichtet werden kann. Damit könnte sich der Bus das Nadelöhr zwischen Murr und Marbach sparen.
Wie steht es um die E-Ladestation in der Nähe des Bürger- und Rathauses?
Wir haben beim Bund einen Förderantrag gestellt mit einer Schnellladesäule, vorzugsweise im Bereich des Bürger- und Rathauses. Aber wir haben noch keine Rückmeldung bekommen. Wir werden uns aber mit dem Thema beschäftigen.
Ist der Ort günstig, wenn es zu einem Run auf die E-Autos kommt – oder müssen Kommunen sich da noch weiter engagieren?
Dass es bisher zu keinem Run auf E-Autos gekommen ist, sieht man an der mangelnden Nachfrage auf das Förderprogramm des Bundes. Dort bekommt man ja 1500 bis 2000 Euro für den Kauf eines Neuwagens. Aber es sind nur wenige Anträge eingegangen. Es ist wie bei vielen anderen Themen die Frage: Wo fängt man an? Müssen erst mal die E-Autos da sein oder muss erst die Ladestruktur kommen, damit mehr dieser Wagen gekauft werden? Wir werden zwar eine Ladestation errichten, aber wir können nichts daran machen, wenn die Reichweite dieser Autos gering ist und die Ladestationen mit verschiedenen Zahlkarten schwer zu bedienen sind und deshalb die Leute keinen E-Wagen kaufen.
Kürzlich kam die Meldung, Deutschland hinke in der Internet-Versorgung hinterher. Inwieweit wünschen Sie sich für Murr noch Verbesserungen?
Der Großteil der Gemeinde ist gut mit Internet versorgt. Die Telekom hat vor zwei Jahren die Vectoring-Technik in Murr ausgebaut. Bis zu sämtlichen Verteilerkästen ist Glasfaser installiert worden. Langfristig wird angesichts steigender Datenverbräuche kein Weg daran vorbeiführen, dass bis zu jedem Haus Glasfaser verlegt wird. Leider muss aufgrund von Versäumnissen des Bundes und der privaten Telekommunikationsanbieter jeder Landkreis und jede Kommune gerade kleinteilig nach Lösungen suchen, obwohl wir dafür gar nicht originär zuständig wären.