Die Diesellok ist in Südosteuropa immernoch ein wichtiges Transportmittel. Foto: privat

In Südosteuropa klafft eine größere Lücke zum Autoverkehr als bei uns, hat Otto Hartmann festgestellt.

Murr - Eine Tour voller Widersprüche liegt hinter Otto Hartmann. Der 79-Jährige aus Murr unternahm eine dreiwöchige Bahnreise bis ins rumänische Bukarest. Gesehen hat der langjährige Stellwerker viel. Etwa den Gegensatz zwischen dem deutschen Bahnnetz und dem des Vorzeigelandes Österreich. Stichwort Hochgeschwindigkeit. Es hapere hierzulande etwa bei durchgehenden Schnellzugverbindungen. „Die Strecke Augsburg-München ist schon im Jahr 1958 auf 200  Stundenkilometer ausgebaut worden“, moniert der Murrer. Es fehle ein deutsches Gesamtkonzept im europäischen Verbund. Aber auch im Güterverkehr habe die Deutsche Bahn viel versäumt. „Dem Lastwagen wurde der Vortritt gelassen.“

Die Zeichen der Zeit scheint das Nachbarland Österreich erkannt zu haben. „Ab Salzburg konnte mein Schnellzug mit 230  Stundenkilometer bis Wien volles Tempo fahren.“ Immerhin noch mit 160  Stundenkilometer ging es weiter bis nach Budapest. Mit wachen Augen nahm Hartmann das ÖPNV-Angebot in der ungarischen Donaumetropole unter die Lupe. „Sehr gut sind drei Metrolinien – dazu gibt es auf der Straße Niederflurbahnen, Elektrobusse mit Oberleitung und Busse.“ Das Fazit des Alleinreisenden für Budapest fällt positiv aus: Radfahrer müssten auf zweispurigen Straßen mit Autos fahren, fänden aber auf dreispurigen Straßen immerhin einen schmalen, gelb gekennzeichneten Randstreifen vor. „Allerdings sind die großen Wohnburgen am Rande der Stadt nur mit Bussen angeschlossen – der Regionalverkehr der Bahn muss noch entwickelt werden.“

Nach vier Tagen reiste Otto Hartmann ins 400 Kilometer entfernte Belgrad, der Hauptstadt Serbiens. Dabei tat sich ihm eine ganz andere Welt auf. Der Blick schweifte über weitgehend leeres Land, viele Felder, im Zug herrschte Ebbe, denn es gab kein Bordrestaurant. „Zum Glück hatte ich genügend Getränke mit.“ Die Geschwindigkeit erlahmte auf 80 Stundenkilometer. „Die Strecke ist leider eingleisig. Es kommt oft zu Kreuzungen mit anderen Zügen.“ Auf Bahnhöfen rosteten alte Güterwaggons vor sich hin, „die niemand verschrotten oder aufarbeiten will“.

Belgrad selbst verfüge über ein relativ neues Bahnhofsuntergeschoss mit zwölf Bahnsteigen – der Bau des Obergeschosses sei eingestellt worden. „Serbien hängt in der Luft“, meint Hartmann. Viel sozialistische Wohnkultur präge noch die Stadt. Umstritten ist, ob die Zukunft des Landes in der Europäischen Union liege. „Ein seriöser Taxifahrer sprach von zehn bis 15  Jahren Wartezeit.“

Immerhin bietet Belgrad laut Hartmann einige schöne Ausblicke auf Donau und Save sowie einen kostenlosen Besuch des Bades am Alda-See in der Nähe. Allerdings erdrücke der Autoverkehr die Stadt. „Belgrad ist vollgestellt mit massenhaft Autos älterer Bauart.“ Es gebe kaum Radwege. Auch fehle ein Regionalverkehr aus dem Umland. „Die Infrastruktur der Bahn ist so schlecht, dass ein Weiterbetrieb in Frage steht.“ Chinesische Investoren könnten den Ausbau der Bahnstrecke anpacken. Otto Hartmann fielen relativ viele Touristen aus dem Reich der Mitte auf. „Die habe ich in Sofia und Bukarest in dieser Anzahl so nicht gesehen.“

Die Weiterreise nach Sofia mutete nostalgisch an. Der schnuckelige Kleinbahnhof Topcider, 1976 unter Tito fertiggestellt, diente als Ausgangspunkt. „Der Lokführer erhielt schriftliche Befehle, Signale waren nicht zu erkennen.“ Die Gebirgsbahn tastete sich über drei Stunden lang mit Tempo 40 am Gebüsch entlang – nach zwölf Stunden erreichte Otto Hartmann nach 440 Kilometern die bulgarische Hauptstadt. Dort fiel ihm die Metro als „wichtiger Bestandteil des Nahverkehrs“ auf. An den Straßen fanden sich erneut kaum Radwege. Der Bahnhof mit einer sauberen Empfangshalle ließ die Verbindung zur EU erkennen.

Auf dem Weg nach Bukarest begegnete Hartmann ein holländisches Lehrer-Ehepaar. „Beide sind auf dem ökologischen Weg – kein Urlaub mit Auto oder Flugzeug, nur mit der Bahn“, lautete die Devise. Das Fazit der Gesprächspartner: „Die Habgier der Konzerne und Geldunternehmen muss beendet werden.“ Der Bahnhof Bukarest Gare Nord präsentierte sich mit 14 Bahnsteigen, großer Halle und viel Publikum funktionstüchtig, wenn auch erneuerungsbedürftig. Beim ÖPNV in der Stadt herrsche wie schon in Belgrad eine Art Anarchie: „Es gibt keine Automaten, die Fahrer winken durch.“ Hartmann, der in jeder Stadt schwimmen ging, fiel ein größere See am Stadtrand auf. „Er war aber für die Öffentlichkeit nicht zugänglich – ich fand nur einen privaten Club mit Schwimmhalle und zahlte zehn Euro Eintritt.“ Die rumänische Hauptstadt habe auf ihn sehr katholisch gewirkt. „Beim Busfahren haben sich die Leute bei jeder Kirche bekreuzigt.“

Unterm Strich findet Otto Hartmann, dass die Städte und Bahnhöfe „sehr sauber“ gehalten werden – was auch am relativ zahlreichen Personal liege. Natürlich habe er auch arme Menschen gesehen, ebenso wie viele Mc Donald’s und internationale Supermarktketten, „was mich gestört hat“. Die Ankunft im Wiener Hauptbahnhof nach 1100 Kilometern im Schlafwagen habe er genossen. Der neue Wiener Hauptbahnhof sei eine Meisterleistung. „Der Bahnhof wurde in fünf Jahren mit neuem Geschäftszentrum fertiggestellt.“ Einen Seitenhieb kann sich der Bahnkritiker nicht verkneifen: „Die Stuttgarter Politiker und Bahnpräsidenten sollten einen Ausflug machen und Stuttgart 21 beenden.“

Insgesamt legte der ehemalige Bahnangestellte, der bei Fahrten im europäischen Ausland 50 Prozent Ermäßigung bekommt, rund 4000 Kilometer zurück.