Stadtarchivar Albrecht Gühring (rechts) hat die Gruppe der Freien Wähler durch „sein“ Reich geführt. Foto: Birgit Scheurer

Die Freien Wähler besuchen das „historische Gedächtnis“ der Stadt Marbach – das Archiv.

Marbach
Auf dem literarischen Campus der Stadt Marbach liegt, ganz unscheinbar an den Hang geschmiegt und derzeit von der herbstlichen Abendsonne beschienen, das Stadtarchiv, das dem Hauptamt der Stadtverwaltung angehört und seit 1990 von Diplom-Archivar Albrecht Gühring gemanagt wird. Der 53-jährige Schwabe Gühring strahlt über das ganze Gesicht, als er einer großen Gruppe interessierter Freier Wähler erzählte, dass er sein Traumfach habe studieren können und nun seit 27 Jahren als „hauptamtlicher Einzelkämpfer“ auch noch in seinem Traumberuf arbeiten dürfe. Das Stadtarchiv sei 2006 aus der Innenstadt auf die Schillerhöhe in räumliche Nähe zu den Magazinräumen gezogen, erzählt Gühring. Von 2007 bis 2009 seien im Rahmen der Stadthallensanierung auch die Magazine saniert und erweitert worden, sodass sich das Stadtarchiv nun räumlich gut aufgestellt präsentieren könne. Immer mal wieder öffneten sich in der Vergangenheit die Türen der Magazine für öffentliche Führungen, zuletzt für Kinder im Rahmen des „Maus-Türöffnertags“ der „Sendung mit der Maus“. „Heute erlebe ich ein Novum“, schmunzelte Gühring. Zum ersten Mal in seiner 27-jährigen Tätigkeit dürfe er im Stadtarchiv eine Fraktion aus dem Gemeinderat begrüßen.

Die unterschiedlichen und vielseitigen Aufgaben seien für einen Angestellten alleine nicht zu bewältigen. Deshalb seien ihm noch ein Azubi (für Medien und Informationsdienste, Fachrichtung Archiv) und eine FSJ-Kultur-Praktikantin zur Seite gestellt worden. Außerdem werde er dankenswerterweise seit vielen, vielen Jahren von ehrenamtlichen Mitarbeitern unterstützt, freute sich Albrecht Gühring: Frau Diemer kümmere sich schon seit über 15 Jahren an einem Tag pro Woche um die Archivierung der Fotos, Herr Schmidt katalogisiere die Archivbibliothek und auch Frau Sann übernehme vielfältige Aufgaben.

Welches sind nun die Hauptaufgaben eines Stadtarchivs? Das Archiv sammelt bedeutende, historische und aktuelle Unterlagen der Stadtverwaltung, Fotos, Filme und Schriften, neuerdings auch elektronische Speichermedien und beurteilt diese nach den Kriterien: Was ist archivreif? Was ist archivfähig und was ist archivtauglich? Jedes Schriftstück ist gemäß Landesarchivgesetz 30 Jahre gesperrt und darf erst danach der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Sind aber genau die Inhalte dieser Schrift von Interesse, so gibt es sogenannte Ersatzüberlieferungen, etwa das Zeitungsarchiv. Informationen, die schon durch die Presse veröffentlicht wurden, dürfen schon jetzt eingesehen werden.

Vor dem Jahre 1693, dem Jahr des großen Stadtbrandes, sind leider nur wenige Zeugnisse erhalten. Nach diesem für Marbach historisch bedeutsamen Ereignis beginnt die stadtgeschichtliche Überlieferung. Außerdem werden Dokumentationsunterlagen wie Bild- und Schriftgut, Karten, Pläne, Plakate, Ton- und Datenträger gesammelt, gesichtet und im Magazin gelagert. Nachlässe von bedeutenden Persönlichkeiten Marbachs, Firmen- und Vereinsarchive und museale Sammlungen finden ihren Platz in den Magazinräumen des Archivs. Ein weiterer wichtiger Auftrag des Archivs sei die Betreuung von Benutzern, die z.B. Genealogie (Ahnenforschung) betreiben, eine Hausarbeit für die Schule schreiben wollten oder anderweitige Forschungen betreiben. Die Benutzer würden vom Archivpersonal beraten und haben Einsicht in die elektronisch erstellten „Findbücher“. Sie können beim Archivar bestellen, was für ihre Arbeit von Interesse ist, dürften aber die Magazinräume selbst nicht betreten, teilte Gühring den Freien Wählern Marbach mit.

Die Luftfeuchtigkeit im Magazin darf 60 Prozent nicht übersteigen; die Temperatur liegt bei etwa 20 Grad Celsius. „Früher gab es hier einen starken Schimmelbefall“, wusste Gühring. Aber seit der Sanierung und dem Einsatz von Luftentfeuchtern und Belüftungsanlagen gäbe es dieses Problem nicht mehr.

Als „langlebigstes“ Medium stellte der Archivar Kunststoffmikrofilme vor, die mehr als 1000 Jahre halten sollen. Auch 30 000 bis 40 000 Dias lagern im Stadtarchiv. Die Frage stellt sich allerdings, ob man diese Art von Dokument zukunftsfähig digitalisieren sollte.

In riesigen, schweren Rollregalen werden Vor-und Nachlässe bekannter Marbacher Bürger verwahrt. Ein Panoptikum bunter, zeitgeschichtlicher aber auch persönlicher Habseligkeiten wartet hier darauf, in einem Stadtmuseum der Öffentlichkeit präsentiert werden zu können. Leider ist das noch „Zukunftsmusik“, und so fristen museale Sammlungsobjekte wie eine Pickelhaube, ein ausgestopfter Alligator (aus den Beständen des FSG), ein Vorderladergewehr mitsamt Pulversäckchen und Kugel, ein antiquiertes Exemplar eines Computers und viele Kleidungsstücke ein wenig beachtetes Dasein in dem liebevoll „Kruschtelkammer“ genannten Magazinraum 4.

In Raum 6 findet man hauptsächlich Bilder, Doktordiplome, Meisterbriefe aber auch moderne Grafiken unserer Partnerstädte aus L’Isle-Adam, Washington und China. In Planschränken liegen über 4000 Plakate von Marbacher Veranstaltungen. Landkarten etwa ein originaler Tobias-Mayer-Kupferstich und eine handkolorierte Württembergkarte von 1820 werten den Bestand auf. Wertvolle Urkunden aus der Zeit vor dem Stadtbrand, Ehrenbürgerbriefe und Stadtsiegel vervollständigen die beachtenswerte Sammlung zeithistorischer Dokumente.

Stundenlang könnte man Herrn Albrecht Gühring zuhören, der zu jedem einzelnen Stück „seines“ Stadtarchivs kleine Anekdötchen zum Besten geben kann. Nicht nur künftige Generationen werden ihm ob dieser emsigen, wissenschaftlichen Dokumentationsarbeit ausgesprochen dankbar sein. Zum Abschluss dankte Dr. Michael Herzog Herrn Gühring herzlich für die informative und unterhaltsame Führung durch ein Stück Marbacher Zeitgeschichte.