Die Schauspieler glänzen, die Revue regt zum Nachdenken an. Foto: Werner Kuhnle

„Der Untergang der Titanic“, aufgeführt als musikalisch-literarische Reise, kommt an in der Stadthalle.

Marbach -

Die Reichen werden gerettet, die Armen gehen unter – das ist eines der Themen, die heute noch so aktuell sind wie beim Untergang der Titanic, die 1912 mehr als 1500 Menschen in den Tod gerissen hat. Auf glücklicherweise andere Art mitgerissen wurden die etwa 100 Besucher beim Untergang der Titanic, so der Titel der „stürmisch-drängenden Endzeitrevue“ nach Hans Marcus Enzensberger, die im Rahmen der Schillerwoche am Donnerstag in der Stadthalle inszeniert wurde. Die Präsentation und der Ideenreichtum der Akteure vom Verein Zuflucht Kultur erhielten viel Applaus.

Die Besucher befanden sich quasi im Palmensaal der Titanic. Vor ihnen lag nicht nur die große Hauptbühne, sondern auch eine kleinere, die wie eine Reling von einem Geländer umgeben war. Die Übergänge zwischen Revue und Zuschauern, zwischen den Bühnen und dem Saal wurden bewusst verwischt. So spielte nicht nur der Pianist Oliver Heise bereits vor Beginn des Stücks zur Unterhaltung der Gäste, auch in der Pause wurde das Deck durch den syrischen Flüchtling Mazen Mohsen weitergeschrubbt. Tänzerisch dargestellte Szenen aus Schillers „Die Jungfrau von Orléans“, mit der die Gäste auf dem Schiff unterhalten wurden, fanden teilweise mitten im Saal statt. Jeanne d‘Arc (Wiebke Wackermann) lief schwertschwingend durch die Zuschauerreihen, während der Conférencier (Johannes Fast) begeistert kommentierte: „Johannas Schwert trennt die Köpfe von den Körpern – das Blut rinnt! Da, noch ein Kopf! Und noch einer!“ Musikalisch untermalt wurde die Szene durch Rossinis Kantate „Giovanna d’Arco“, exzellent präsentiert von der Opernsängerin Cornelia Lanz, die schon mehrere Projekte mit Flüchtlingen auf die Beine gestellt hat.

Der „Untergang der Titanic“ ist, obwohl es immer wieder auch heitere Momente in der Inszenierung gibt, vor allem eine Geschichte von Reichtum und Armut, von Dekadenz und Überlebenskampf. Während der Eisberg das Schiff schon längst seitlich aufgeschlitzt hat, wird in der ersten Klasse weiter getanzt und Whist gespielt. Nur „ganz unten“ hat man wie immer kapiert, was los ist, und weiß, „dass es nie genug Rettungsboote für alle gibt“. Auf der Leinwand im Hintergrund taucht kurz zuvor das Gesicht des syrischen Flüchtlings Zaher Alchihabi auf, der in gebrochenem Englisch von seiner Flucht erzählt. Und während sich die erste Klasse noch darüber echauffiert, dass in der Tennishalle Salzwasser sei, ertrinken in den „billigen Klassen“ schon die ersten Menschen. Dazu erneut Achihabi: „When you are in the boat, you feel that you are already dead.”

So wird der Untergang der Titanic verwoben mit dem Untergang von Flüchtlingsbooten im Mittelmeer, was auch der zweite syrische Akteur, der Gitarrist und Sänger Mazen Mohsen, selbst erlebt hat, wie er in flüssigem Deutsch berichtet.

Beim kurzen, wenn auch nur akustischen Auftritt von Hans Magnus Enzensberger wird ebenfalls deutlich, dass die Geschichte um den Untergang der Titanic im Grunde zeitlos ist: „Wir glaubten noch an das Ende damals“, hat er auf Band gesprochen, und die Akteure auf der Bühne fragen nach: „Wann damals – 1912, 1918, 1945, nach Tschernobyl, nach Fukushima?“