Dieser entwurzelte Apfelbaum ist ideales Material für eine Totholzhecke. Foto: Michael Raubold Photographie

Der Mitmachgarten an der Schillerhöhe stößt auf großes Echo. Selbst bei Regen wird dort angepackt.

Marbach - Wir sind ja keine Schönwettergärtner“, sagt Marco Kraft, lächelt entschlossen unter seiner Schiebermütze, Wassertropfen perlen am Gesicht des 29-Jährigen ab. Es regnet Bindfäden an diesem Dienstagnachmittag, doch der harte Kern der Mitmachgarten-Gruppe stört sich daran überhaupt nicht. Schließlich hat man lange vergeblich auf das Nass gewartet. Vor genau einem Monat, am 12. Mai, kam die Truppe zum ersten Spatenstich für den allen Bürgern und Besuchern offen stehenden Stadtgarten zusammen. Das Areal gehört der Stadt.

„Der Boden war so trocken, dass ein Spaten sogar eingerissen ist“, erinnert sich Eva Kissel, die seit einem Jahr in Marbach lebt, ursprünglich aber aus Bensheim stammt. Die Gartenarbeit im dortigen Weinberg ihres Großvaters, der Winzer war, hat sie am Neckar etwas vermisst. Das hat sich vor einem Monat jedoch geändert: Seit damals muss die 27-jährige Bibliothekarin aus dem Deutschen Literaturarchiv nach der Arbeit nur noch einige Schritte in Richtung Neckar gehen, um im neuen Marbacher Garten für alle unterhalb von Limo und Nationalmuseum urwüchsige Natur zu hegen, zu erleben und mitanzupacken.

Seitlich, leicht abschüssig am Hang, dehnt sich die 1750 Quadratmeter große, heute gut aufgeweichte Wiese mit einigen Apfelbäumen entlang des Collegienhauses auf der Schillerhöhe aus. Auf dieses städtische Stückle unterhalb des Obstgartens von Schillers Vater fiel die Wahl, als Initiatorin Katharina Kubik und ihre Mitstreiter bei der Stadt anfragten und offene Türen einrannten. Hier darf nun seit einem Monat nach Herzenslust pflanzen, ackern und ernten, wem immer der Sinn danach steht. Bisher hat die Kern-Gruppe eine Johannisbeerhecke gepflanzt, diverse Blumen- und Kräuterbeete sowie eine Natursteinmauer und ein Tomatenbeet angelegt.

Kommen darf jeder, auch ohne die Treffen der Gruppe zu besuchen. Größere Pflanzaktionen müssen nur abgesprochen werden. Und Regeln gibt es für den Anbau auf den freien Flächen generell schon: Heimische, ungiftige und essbare Pflanzen müssen es sein, gepflegt ohne chemischen Dünger, wie Judith Atsma erklärt, die sich in der Steuerungsgruppe engagiert. Zu diesem Kernteam, das gemeinsame Aktionen wie an diesem Tag plant, gehören neben ihr Marco Kraft, Maya Esch, Katharina Kubik, Epha Kissl, Benno Heidkamp und Steffi Lohfink. Die Marbacher Erzieherin und ihre Kinder Silja (10) und Sören (11) stapfen mit Gummistiefeln an den Füßen, Regencape über den Schultern, Mutter Steffi auch mit Hut und breiter Krempe durchs feuchte Gras. Wenige Tage zuvor hatte ein heftiger Sturm den obersten Apfelbaum auf der Mitmach-Wiese entwurzelt.

Im Gras liegen jetzt Stamm und Äste, an denen sich Sören und sein Freund Emin mit einer großen Säge zu schaffen machen, Baumaterial für eine Totholzhecke als Nistplatz und Brutstätte. Die landauf, landab sehr gefragten und daher an vielen Orten derzeit neu entstehenden Mitmachgärten sind Teil eines internationalen Trends, der als „Urban Gardening“ bekannt ist. Für die Stadt betreut Andrea von Smercek, Mitarbeiterin für bürgerschaftliches Engagement, das Projekt und schaut auch an diesem Dienstag selbst vorbei. Die Aktivitäten konzentrieren sich mit Rücksicht auf die Nachbarn erst einmal auf das untere Drittel des Grundstücks, erklärt sie. Seit Stadt und Schillergesellschaft kürzlich gemeinsam für einen Wasseranschluss gesorgt haben, müssten die Ehrenamtlichen ihre Gießkannen endlich nicht mehr an den öffentlichen Toiletten bei der Stadthalle füllen. Doch an Feuchtigkeit mangelt es heute sowieso nicht. Als öffentliche Mitmachaktion hat die Gruppe am Nachmittag zum Bau einer Totholzhecke aufgerufen. Der anhaltende Regen hat einige Interessierte und Neue vom Besuch abgehalten, die sich zuvor angekündigt hatten.

Die Resonanz auf die gärtnerische Experimentierfläche ist aber insgesamt groß: Die Facebook-Gruppe des Marbacher Mitmachgartens zählt bereits 70 Mitglieder. Der Erdmannhäuser Imker Wolfgang Schiele stiftete spontan eine Bienenskulptur aus Metall, als er vom Mitmachgarten erfuhr, in dem auf heimische biologische Artenvielfalt viel Wert gelegt wird. „Mit einheimischen Pflanzen kann man leicht etwas bewirken gegen das Insekten- und Bienensterben“, sagt Marco Kraft überzeugt.