Mit Kerzenlicht ging es zu Fuß zu den Murrer und Steinheimer Kirchen. Foto: avanti

Marbach/Steinheim/Murr - Der 9. November hat es in sich: Er verkörpert mit seinen facettenreichen, historischen Schicksalen Hell und Dunkel für das deutsche Volk und ist dennoch bis heute kein nationaler Gedenktag. Dennoch wurde in Steinheim dem schicksalsträchtigen Tag, an dem sich die Reichspogromnacht zum 80. Male jährt, mit einer friedlichen Geste gedacht.

Die vier christlichen Kirchen von Murr und Steinheim veranstalteten einen Gedenkmarsch, an dem sich gut 60 Bürger beteiligten. Mit brennenden Kerzen in der Hand bildeten sie ein meist schweigendes Mahnmal, das durch die Straßen zog. Pius Angstenberger, leitender Pfarrer der katholischen Seelsorgeeinheit Bottwartal, begrüßte gemeinsam mit seinem evangelischen Kollegen aus Murr, Daniel Renz, die Teilnehmer vor der Heilig-Geist Kirche und erinnerte mit kurzen Worten an die markantesten, historischen Vorfälle des 9. November: Im Jahr 1918 die Ausrufung der deutschen Republik. „Das war der Durchbruch der parlamentarischen Demokratie“. 1938 die Reichspogromnacht, „der schwärzeste Tag der deutschen Geschichte, mit dem die schrecklichen Verbrechen gegen das jüdische Volk begannen“. Angstenberger zitierte dabei auch Bundespräsident Steinmeier, der den Tag als „unvergleichlichen Bruch der Zivilisation und Absturz in die Barbarei“ kennzeichnete. Und schließlich das Jahr 1989 mit dem Mauerfall, der Ost und West wieder zur deutschen Einheit führte.

Daniel Renz wies in das Gedenkmarsch-Prozedere ein, das vorgab, sich von Steinheim aus nach Murr zu bewegen und gemeinsam in allen vier Kirchen zu singen. Stets dasselbe Lied, nämlich der Taizé-Gesang „Bleibet hier und wachet mit mir“ ertönte dabei klangvoll in den Gotteshäusern. Auf dem Murrer Dorfplatz verabschiedete Susanne Schaupp von der evangelisch-methodistischen Kirche die Friedensläufer mit den Worten: „Mit unseren Kerzen laufen wir gegen das Vergessen. Wir erinnern an die Gräuel der Naziherrschaft und an die Macht, die sie ausübten. Und – nein – Fremdenfeindlichkeit und Angst sind nicht überwunden.“ Sie aber erinnerte auch „an über 70 Jahre Frieden in unserem Land“.

Als die Kirchenglocken kurz nach 18 Uhr schließlich verstummten, ist auch auf dem Marbacher Rathausvorplatz im Zeichen von „Erinnerung und Verantwortung“ gemeinsam innegehalten worden. Der Gruppe schlossen sich mehr und mehr Passanten an, bis es schließlich über 60 Menschen waren.

Das ökumenische Gedenken wurde von den Marbacher Kirchen gemeinsam organisiert. Monika Schmitz und Kai Krech begleiteten den Abend zudem musikalisch mit Geige und Akkordeon und spielten unter anderem „Ose schalom bimromav“ – „Der Frieden gibt in den Höh’n“. Am Tag darauf traten die beiden zudem noch bei einem Konzert in der KZ-Gedenkstätte Dachau auf. Zu Beginn erinnerte in Marbach Dekan Ekkehard Graf an die Bedeutung des 9. November in der deutschen Geschichte. Von der Ausrufung der Republik 1918 über den gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch 1923 und die Reichspogromnacht 1938 bis hin zur Wende 1989 gibt es viele Anlässe, ihn als Gedenktag anzusehen.

Doch wie vor 80 Jahren bestehe auch noch heute die Gefahr der Ausgrenzung von Menschen anderen Glaubens und man müsse aus diesem Grund bereits den unguten Anfängen wehren. Es folgte eine Lesung aus einem Buch von Kurt Witzenbacher, der als Schuljunge Zeitzeuge der Reichspogromnacht war. Der Text führte den Zuhörern, von denen die meisten die Ereignisse 1938 nicht bewusst oder gar nicht miterlebt haben, sehr anschaulich die damalige Stimmung vor Augen: Heulende Sirenen, klirrendes Glas, brüllende SA-Männer, erniedrigte Juden.

Eine Schülerin stellte die Arbeit der Anne-Frank-Realschule vor, der für ihre Erinnerungsarbeit und Erziehung zu einem friedlichen Miteinander der Titel „ Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ verliehen wurde, und erinnerte daran, dass die Verfolgung von Juden mit dem Zweiten Weltkrieg nicht zu Ende gegangen ist.

Bereits zuvor wurde durch das Vorlesen eines Zeitungsartikels aus 2017 durch die Pfarrerin Barbara Bürkert-Engel deutlich gemacht, dass Antisemitismus in Form von Judenwitzen und Gewalterfahrungen an Berliner Schulen viel zu häufig vorkommt und sich eine unreflektierte Übernahme von Feindbildern aus dem Nahostkonflikt auf Kinder auswirkt, die damit überhaupt nichts zu tun haben.