Yakup Elevli will die türkische Stadt Tirebolu, wo er geboren ist, und seine Marbacher Heimat einander näher bringen. Foto: Frank Wewoda

Wie aus dem im Rathaus einst als „Herr Ölöfele“ begrüßten Yakup Elevli ein Schwabe unter Schwaben wurde.

Marbach - Die Marktstraße ist sein Wohnzimmer im wohlverdienten Urlaub. Auf gefühlt jedem Quadratmeter Kopfsteinpflaster wird Yakup Elevli angesprochen, in ein Schwätzle verwickelt. Setzt er sich auf eine Tasse an einen der Tische vors Café Winkler in die Fußgängerzone, dauert es keine fünf Minuten, bis irgendjemand schnurstracks auf ihn zugeht, Elevli auf die Schulter klopft, die Sprache auf den FC oder Arbeitsdienste bringt.

Wer aufmerksam zuhört, erfährt vielleicht noch mehr über die schwäbische Seele. Smalltalk dreht sich hier vor allem ums „Schaffe“, setzt sich bald als Eindruck fest. Wen wundert es in einer Region, die große Stücke darauf hält, auch nach Feierabend anzupacken, zu tun, zu machen. Da ist Yakup Elevli ganz Schwabe. Erstmals hat der Anwendungstechniker Ende der 1990er-Jahre in seiner Freizeit das Ständle im Stadion am Leiselstein geschmissen, Würste am Grill gedreht, Bier gezapft, für alle ein Lächeln und ein freundliches Wort übrig gehabt. Heute ist er wirtschaftlicher Leiter beim FC Marbach.

Als 14-Jähriger war ihm nach allem anderen als einem Lächeln zumute, als er in Marbach ankam. Seine Eltern holten den Teenager in ein für ihn vollkommen fremdes Land. Vater und Mutter waren als Gastarbeiter in den 1960ern hier angekommen. Mehr Unterstützung als die bloße Familienzusammenführung gab es nicht. Yakup musste nicht einmal am neuen Wohnort gemeldet werden nach der Einreise.

Die Folge: Der Pubertierende war sich daheim und auf den Straßen Marbachs selbst überlassen. Zum Zeitvertreib begleitete er einen türkischen Kumpel zu einem Sprachkurs der Diakonie in der Ludwigsburger Friedenskirche. Dort durfte auch Yakup bleiben, machte schnell Fortschritte, schließlich in einer Diakonie-Einrichtung auch den Hauptschulabschluss. Später fand er einen Ausbildungsplatz als Autolackierer, schloss erfolgreich ab.

Sehr glückliche Zufälle waren dies allesamt, die Yakup Elevli in der einstigen schwäbischen Fremde zu dem Familienvater und Angestellten mit Eigentumswohnung im Zentrum machten, der er heute ist. Für Ausländer als Arbeitnehmer interessierten sich die deutschen Behörden, ganz anders als für türkische Teenager, natürlich. Im Marbacher Rathaus wurde Elevli noch vor seiner Ausbildung zum Stammgast, der zuständige Beamte grüßte ihn bei Formalitäten zu Arbeit und Aufenthalt mit den Worten: „Sie sind’s scho wieder, Herr Ölöfele!“ Beim Erzählen muss der 55-Jährige ein Glucksen unterdrücken, ist auf der Sitzfläche aber auch ein Stück weit zum Gesprächspartner gerutscht. Ganz so, als hätte er Angst, der Beamte jenseits des Marktbrunnens könnte immer noch mithören, würde vielleicht bald eines der benötigten Papiere verweigern. Doch sind solche Termine längst unnötig. Seit 20 Jahren bereits hat Yakup Elevli nur den deutschen Pass. Als Heimat hätte er Marbach vorher aber nicht beschrieben. „Das kam erst später“, etwa, nachdem sein Sohn kurz in der Jugend des FCM spielte, der Vater ihn dorthin begleitete. Statt Sohn Hasan auf dem Spielfeld wurde am Ende der Vater dem FC eine unverzichtbare Stütze bei der Bewirtung.

Die alte und neue Heimat – Tirebolu und Marbach – versucht Yakup Elevli heute einander näher zu bringen. Delegationen haben sich gegenseitig besucht. Eine Städtepartnerschaft mit Tirebolu, über das Yakup Elevli ins Schwärmen gerät, liegt wegen der politischen Lage aber eher in der Ferne. Heimat beschreibt Elevli heute so: „Wenn ich vom Flughafen zurückkomme, die Neckarbrücke sehe“ – Yakup Elevli hält kurz inne –, richtet die Augen gen Himmel, um nur ein Wort zu sagen: „Herrlich!“ Sein Fazit: „Meine Heimat ist Marbach, ich kann mir nicht vorstellen, woanders zu leben.“