Bevor „Mo“ nach Deutschland gekommen ist, hat er noch nie in einem Sport-Ruderboot gesessen.Der 24-jährige Späteinsteiger hat sich erstaunlich schnell entwickelt. Foto: privat

Der syrische Flüchtling Mohammad Ali Assaf blüht im und neben dem MRV regelrecht auf.

Es ist derzeit eine der spannendsten Geschichten beim Marbacher Ruderverein: Mohammad Ali Assaf (24), oder auch kurz „Mo“, begann erst im April vergangenen Jahres seine Ruderkarriere in Marbach – und startete dabei schon ziemlich durch. Sogar einen Sieg im Vierer kann er für sich verzeichnen. Und das soll noch lange nicht alles gewesen sein. Ob Joggen, Fahrrad- oder Skifahren, Hauptsache Sport im Freien, in der Natur, dabei weniger Fußball als andere Sportarten. Wie eben das Rudern: „Rudern ist einfach etwas ganz Besonderes“, weiß Mo. „Das Wasser, das Boot, die Mannschaft. Ich mag eben die besonderen Sachen.“

Oder um auch mal nur den „Kopf frei zu bekommen.“ Denn das ist in vielerlei Hinsicht hilfreich: Mo kommt ursprünglich aus der Stadt ar-Raqqa in Syrien, floh im Jahre 2011 und kam über ein paar Stationen 2014 in München an, nachdem er durch die Türkei und Griechenland seinen schwierigen Weg nach Zentraleuropa machte. Erst nach 32 Tagen konnte er seine Mutter anrufen, um ihr zu sagen, dass er die großen Strapazen überhaupt überlebt hatte. Von München nach Stuttgart und weiter in das Flüchtlingsheim Benningen kam der bereits zum Kfz-Mechaniker ausgebildete Syrer zu den ersten Deutschkenntnissen. Er absolvierte die ersten Berufserfahrungen mit beachtlichen schulischen Leistungen, trotz der großen Sprachbarrieren. Und letztlich führte es ihn dann auch zum MRV. „Das war ein Geburtstagsgeschenk“, sagt Mo. „Ich fragte - mich, was ich machen kann, und dann sollte ich einfach mal zum Ruderverein gehen und mir das Ganze anschauen. Danach wollte ich unbedingt mit dem Rudern anfangen.“ Nachdem der frische Ruderer also erklärt hatte, dass er auch schwimmen könne, konnte sich Mo nach den ersten Versuchen auf Muskelkater am ganzen Körper freuen – Rücken, Arme, Bauch, Beine, da ist alles mit dabei. Vor allem Vereinstrainerin Heike Breitenbücher nahm sich neben den anderen Mitgliedern seiner an und half ihm in vielen Dingen rund um Rudern, Mannschaftsleben und Verein – dadurch habe Mo auch ihr „einiges zu verdanken“.

Der 24-Jährige, der vor seinem Eintritt in den Verein noch nie ruderte und seine Schwimmkünste erst hier bei der DLRG richtig entwickelte, kann schon nach so kurzer Zeit erste Erfolge vorweisen, nachdem er einzelne Prüfungen bereits abgelegt hatte. „Es ist nicht einfach“, fügt Mo an. „Aber wenn man will, kann man das.“ Der unbändige Wille, etwas zu erreichen und doch bescheiden zu bleiben. Im September vergangenen Jahres gelang ihm mit seinen Mannschaftskameraden im Vierer ein Sieg für den MRV, ebenso konnte er im Zweier mit Jonas Schmidt ein Finale erreichen. Beim traditionellen Abrudern, den Vereinsmeisterschaften des MRV, war Mo dann auch Teil des siegreichen Achters. Nebenbei nahm er noch mit anderen Ruderern des Vereins am traditionellen Silvesterlauf in Bietigheim teil. Und das alles ist sicherlich keine Selbstverständlichkeit, wie auch Elke Rittner, stellvertretende Vorsitzende für die Öffentlichkeitsarbeit des MRV, weiß: „Andere fangen in jungen Jahren mit etwa zwölf an, denn vor allem die Technik auf dem Wasser zu beherrschen, braucht seine Zeit – und viel Übung. In einem halben Jahr schaffte es Mo auf Regattaniveau.“ Deshalb ist es umso erstaunlicher, wie schnell sich der 1,78 Meter große Syrer in den Sport hineinfand, auch wenn zu Beginn neben der erforderlichen Technik ebenso die Sprache noch zusätzliche Schwierigkeiten bereitete. „Ich konnte zwar ein bisschen Deutsch“, erinnert sich Mo, „aber im Verein wurde es durch die Mannschaft und Betreuer noch viel besser. Sie haben mir sehr geholfen. Dazu habe ich im Internet Videos angeschaut, wie man besser rudern kann.“ Auch auf dem Wasser typische Fachbegriffe wie Back- und Steuerbord kamen wie für jeden neuen Ruderer unumgänglich mit hinzu. Für Mohammad sind diese Hürden aber auch Herausforderung. Vielleicht schafft er in diesem Jahr noch den Stegausbilderlehrgang, um anderen Interessierten, wie er es war, das Rudern beizubringen.

Auch abseits des Wassers ist Mo zielstrebig wie engagiert und treibt unter anderem seine eigene Integration in dem nicht in jeder Hinsicht einfachen Schwabenland voran. So musste er auch schon kleine Teile um ein „Muggaseggele“ kleiner feilen, was nach großen Fragezeichen die Hilfe seiner Mitmenschen forderte – sind hier doch auch schon die meisten deutschen Wörterbücher überfordert. Ihm gefallen seine Arbeit, das Umfeld und die Menschen. Mohammad absolviert mittlerweile eine Ausbildung zum Industriemechaniker bei der Firma Hainbuch in Marbach und wird diese in den nächsten zwei Jahren abschließen. Weitere Ziele sind also gesteckt.

Bei all den Impressionen und Unternehmungen vergisst er jedoch keinesfalls seine Herkunft und Geschichte, denn Mo engagiert sich auch für andere Flüchtlinge, nimmt sich an seinen Urlaubstagen die Zeit und hilft in Flüchtlingsheimen den Menschen zum Beispiel als Übersetzer bei all den bürokratischen wie sozialen Hürden, die so anfallen – der junge Syrer möchte vieles weitergeben. Aber nicht nur hierzulande hilft Mo, wo er kann. In seiner Heimat in der erst im Frühjahr 2017 endlich vom Islamischen Staat befreiten Stadt ar-Raqqa im Norden Syriens fehlt es nach den zerstörerischen Auseinandersetzungen an allem, an Wohnraum und öffentlichen Einrichtungen. So müssen sich die dortigen Kinder momentan in riesigen Gruppen in viel zu kleine Räume zwängen, um überhaupt so etwas wie eine schulische Ausbildung zu erhalten – oder sich von den dort herrschenden traurigen Zuständen abzulenken. Deshalb startet Mo von hier aus eine Spendenkampagne, um dort zu helfen, wo es zwingend nötig ist und wo auch seine Mutter schon Hilfe leistet, indem sie den Kindern ehrenamtlich Arabisch beibringt.

Viele Eindrücke, große Hürden für einen jungen Menschen. Doch der besondere Sport Rudern bleibt für Mo ebenso zentral, auch wenn er sich selbst halb bescheiden, halb ehrgeizig noch keine allzu schnellen Ziele steckt: Bald auch als Wettkampfrichter oder sogar Trainer tätig zu sein, das ginge dann doch zu schnell und deshalb verschwende er auch keinen Gedanken daran. Denn eines gilt auch im Rudern: „Sport macht natürlich Spaß, aber man möchte auch gewinnen.“ Hier finden sich also die kurzfristigen Ziele, die für die Frühregatta in Mannheim (21./22. April) oder die Regatta in Heidelberg (12./13. Mai) gesetzt sind. Im Einer, im Zweier oder Vierer? Das müsse dann schon die Trainerin entscheiden.

Mit einem sympathischen Lächeln geht es nach dem Gespräch für Mo direkt weiter zur nächsten Trainingseinheit – wenn auch dieses Mal am Ergometer, nicht auf dem Wasser. Ob er bereits dem Rudern verfallen sei? - „Ja!“, lautet dabei die mit einem Schmunzeln versehene, aber schnelle Antwort. Und ein persönlich großes Ziel für dieses Jahr sei dann doch erwähnt: Die baden-württembergischen Meisterschaften im kommenden Juli. Und wenn auch hier die Entscheidung zuvorderst der Trainerin obliegt, Mo würde sich das Boot schnappen und die Ruder sofort anwerfen.