Foto: Archiv (Werner Kuhnle)

Die Ortschaftsräte fühlen sich beim Thema „unechte Teilortswahl“ entmündigt. Sie ringen sich mühsam zur Abstimmung durch.

Marbach-Rielingshausen - Der Wunsch des Verwaltungsausschusses (VA), die Bürger in Rielingshausen zum Thema unechte Teilortswahl zu befragen (wir berichteten), hat im Ortschaftsrat am Montagabend für viel Unmut und Verwirrung gesorgt. Hintergrund war ein Antrag der Gruppe Puls, das besondere Wahlverfahren abzuschaffen. Ersatzweise schlugen die Puls-Räte – aber auch die Grünen-Fraktion – vor, einen Bürgerentscheid in der Gesamtstadt durchzuführen. Beide Ansinnen hatten im VA im Januar jedoch keinen Erfolg. Der Ortschaftsrat hatte zuvor bereits in seiner Dezember-Sitzung beiden Anträgen eine klare Absage erteilt.

Allerdings hatte FW-Rat Dr. Michael Herzog vorgeschlagen, dass die Einwohner des Stadtteils selbst ihre Meinung kundtun sollen. Diesem Ansinnen war eine große Mehrheit des VA gefolgt. Auch die Verwaltung hält das Vorgehen „für sicher nicht falsch“, sagte der Erste Beigeordnete Gerhard Heim nun im Ortschaftsrat. Das Verfahren könnte parallel zur Landtagswahl im Jahr 2016 ablaufen, schlug er vor.

Die Rielingshäuser Räte und auch Ortsvorsteher Eberhard Ruoff sahen das jedoch ganz anders. Er finde das jetzt schon „irgendwie komisch“, meinte Ruoff. Man habe doch den Antrag auf einen Bürgerentscheid bereits einstimmig abgelehnt. „Oder war unser Votum in der Dezember-Sitzung nur ein Wink an Marbach?“, fragte er.

Heim bat darum, zu unterscheiden: Es gehe jetzt nicht um einen bindenden Bürgerentscheid, sondern um eine reine Bürgerbefragung im Stadtteil. Natürlich werde das Votum des Ortschaftsrates im für die Entscheidung zuständigen Gemeinderat eine große Rolle spielen. Der Verwaltungsausschuss wolle einfach wissen, wie die Bürger in Rielingshausen denken.

Doch auch Lothar Sondermeyer (SPD) wollte dieser Argumentation nicht folgen: Er verstehe nicht, weshalb das Thema jetzt wieder auf der Tagesordnung stehe. „Ich muss mich da schon wundern.“ Der Ortschaftsrat habe doch schon abgestimmt. Heim versuchte erneut, die Wogen zu glätten: Der übliche Weg sei von den Ausschüssen über den Ortschaftsrat zum Gemeinderat, erklärte er. In diesem Fall sei es der Verwaltung aber wichtig gewesen, schon vorab die Meinung des Ortschsaftsrates einzuholen – daher die Abstimmung im Dezember. Am 12. Februar werde der Gemeinderat das Thema abschließend entscheiden.

„Etwas befremdlich“ nannte Roland Stickel (CDU) das Vorgehen. „Wir sind doch die Bürgervertreter. Was zählt dann unsere Meinung noch?“ Sein Fraktionskollege Jochen Biesinger pflichtete ihm bei. „Unsere Kollegen in Marbach haben uns da in eine sehr verzwickte Situation gebracht“. Er wisse nicht, „ob das der gesamtstädtischen Situation gut tut. Das ist ein Stück weit eine Konfrontation.“ Später ging er weiter: „Das sorgt für Spaltung.“

Verträge wie der zwischen Rielingshausen und Marbach geschlossene seien einzuhalten. Schließlich habe es seinerzeit einen Bürgerentscheid dazu geben, betonte Biesinger. Wenn auch nur im damals noch selbstständigen Rielingshausen, wie er einräumte. Man müsse insofern schon die Frage stellen, wer das Wahlverfahren nun zur Diskussion stellen dürfe. „Doch wohl eher der kleinere Partner“, stand für den CDU-Rat fest.

Allerdings betonte Biesinger – wie einige andere Räte auch – , dass für ihn nichts gegen eine Bürgerbefragung an sich spreche. Immerhin habe er ja selbst im Dezember diese Möglichkeit genannt. „Ich wüsste nicht, wovor wir da Angst haben müssten.“ Sondermeyer pflichtete bei: „Ich scheue mich nicht davor, aber ich wüsste auch nicht, was das bringen soll.“

Jens Peter Knittel (FW) wurde deutlicher: Er fühle sich als Ortschaftsrat quasi entmündigt, „wenn wir plötzlich die Bürger befragen. Das machen wir ja sonst auch nicht.“ Verwaltungsrechtlich möge das zulässig sein, aber er halte die alle fünf Jahre aufkommende Diskussion für einen „Verwaltungsbeschäftigungsapparat“ von Grünen und nun auch Puls. Ingrid Holzwarth (SPD) fühlte sich ebenfalls „übergangen“. Schließen seien doch die Ortschaftsräte die gewählten Vertreter – und das zeitnah.

Christiane Scheuing-Bartelmess (SPD) wollte am liebsten gar nicht abstimmen. Der VA möge doch seinen Wunsch wieder zurücknehmen. Heim appellierte an das Gremium: „Sagen Sie doch einfach Ihre Meinung.“ Doch es dauerte, bis man sich auf eine Formulierung verständigte. „Der Ortschaftsrat hält eine Bürgerbefragung nicht für notwendig“, lautet der Satz, zu dem dann schließlich alle Ja sagten. Biesinger enthielt sich.

Kommentar: Chance verpasst

Die Ablehnung der Bürgerbefragung
zeugt von mangelndem Mut und Vertrauen der Ortschaftsräte. Sabine Rochlitz

Marbach-Rielingshausen - Nun kann man zu der unechten Teilortswahl an sich – und speziell in Rielingshausen – stehen, wie man will. Die einen halten das komplizierte Verfahren allein deshalb für überholt, weil es in den meisten Kommunen zu einer noch höheren Zahl an ungültigen Stimmen führt als das ohnehin komplexe Kommunalwahlrecht in Baden-Württemberg. Andere verweisen auf die langjährige Ehe aus Kernstadt und Stadtteil, die deshalb doch längst zusammengewachsen seien. Doch wer gibt schon gerne freiwillig ein Privileg wie die sicheren vier Sitze im Marbacher Gemeinderat auf? Auch das ist ein durchaus verständlicher und nachvollziehbarer Standpunkt. Das war am Montagabend im Ortschaftsrat allerdings gar nicht die Hauptfrage. Denn in der Sache selbst wurde nur wenig diskutiert, die meisten Argumente sind in den Gremium ohnehin bereits mehrfach ausgetauscht.

Daher verwundert das lange, ja zähe Ringen um einen Beschluss schon etwas. Schließlich ging es lediglich um einen Wunsch des Verwaltungsausschusses, der sich – quasi als Kompromiss oder Gesprächsangebot an die Rielingshäuser – mehrheitlich für eine Bürgerbefragung im Stadtteil ausgesprochen hatte. Man wollte eben nicht über den Kopf der Rielingshäuser hinweg entscheiden, wie viele Stadträte betont hatten.

Dass die Ortschaftsräte am Liebsten gar nicht abgestimmt hätten, offenbarte ihre Zerrissenheit und ihr Dilemma. Denn sich offen gegen ein solches unverbindliches Erkundigen bei der eigenen Bevölkerung aussprechen – das wollte auch keiner. Deshalb beteuerte man unisono, dass man sich vor dem Votum der Bürger natürlich nicht fürchte. Doch warum will man sich dem dann nicht stellen? Wird heute nicht immer und überall gefordert, die Bürger sollten häufiger mitbestimmen dürfen? Mehr direkte Demokratie haben sich nicht nur die politisch eher links stehenden Parteien auf die Fahnen geschrieben – abzulesen unter anderem an deutlich niedrigeren Hürden für Bürgerentscheide zum Beispiel im Nachbarland Bayern.

Wenn Bürgervertreter sich aber übergangen oder sogar entmündigt fühlen, weil die von ihnen Vertretenen auch einmal selbst ihre Meinung kundtun sollen, dann zeugt das von einem zu hinterfragenden Selbstverständnis. Dürfen Bürger nur einmal alle paar Jahre ihrer Überzeugung durch ein paar Kreuze Ausdruck verleihen? Worin liegen denn die Ängste der Ortschaftsräte begründet? Wenn sie sich – wie allenthalben beteuert – so sicher sind, dass die Rielingshäuser, wie sie selbst, in überwältigender Mehrheit gegen die Abschaffung der unechten Teilortswahl sind, dann kann ihnen doch gar nichts passieren. Im Gegenteil: Sie könnten sich in ihrer Einschätzung bestätigt fühlen.

Ein solches Votum böte sogar noch eine weitere Chance: Sprechen sich die Rielingshäuser tatsächlich so klar und eindeutig für das Beibehalten des Wahlverfahrens aus, entzöge das eventuell sogar den alle fünf Jahre wieder auf dem Tisch liegenden Anträgen aus dem Marbacher Gemeinderat ihre Grundlage. Schließlich kommt von dort die deutliche Ansage, dass man nicht gegen die Rielingshäuser entscheiden will. Man hätte den Ortschaftsräten deshalb mehr Mut und Vertrauen in die Mündigkeit ihrer Wähler gewünscht.