Foto:  

Weil das Telefon streikt, erlebt der Pizza-Lieferdienst „La Torre“ einen etwas anderen Abend. Doch für ihre Lieblingspizza nehmen Stammkunden vieles in Kauf.

Marbach - Eigentlich müsste jetzt hier die ganze Zeit das Telefon klingeln“, sagt Denise di Giovanna mit erkennbarem Frust. Es ist Montagabend, der Tag vor dem Feiertag, und beim Pizza-Lieferservice La Torre in der Marktstraße hat man sich auf Hochbetrieb eingestellt. Doch dann das: Eine Viertelstunde nach der abendlichen Öffnung fällt der Chefin zum ersten Mal auf, dass noch kein einziger angerufen hat, um eine Pizza zu bestellen. So wird sie auf die Störung beim Telefonanbieter aufmerksam. Dort ist niemand zu erreichen, ein mehrmaliges Steckerziehen beim Router bringt ebenso wenig wie der Versuch, die Anrufe aufs Handy umzuleiten.

Dennoch können sie und ihre Mitarbeiter Nicole Schmiedt und Antonio Mauro, die an diesem Abend die Stellung halten, nicht die Hände in den Schoß legen. „Zum Glück haben wir noch einige Vorbestellungen“, sagt Denise di Giovanna. Und die werden in Windeseile abgearbeitet. Denn die Kunden haben Hunger.

Der Pizzabäcker Antonio Mauro scheint vier Hände gleichzeitig zu haben. Eben noch holt er eine bereits am Vormittag vorbereitete Teigkugel aus einer Schublade, steckt sie in eine Maschine, die den Teig automatisch auswellt, da klingelt es hinter ihm, was für ihn das Zeichen ist, dass die ersten Pizzas fertig sind. In dem gut 350 Grad heißen Ofen dauert das nur etwa vier Minuten. Mit einem großen Backofenschieber, der einen unweigerlich an Frau Holle denken lässt, holt er die heißen, duftenden Fladen heraus, legt sie in vorbereitete Kartons und zerteilt sie flink in handliche Stücke. Mehrere Kartons stellt er in eine Thermobox, überprüft noch kurz den darauf geklebten Bestellzettel, eilt zum Kühlschrank und holt die dazugehörigen Getränke heraus. „Nicole, du musst los!“, ruft unterdessen Denise di Giovanni nach hinten. Nicole Schmiedt übernimmt an diesem Abend ausnahmsweise den Fahrdienst. „Eigentlich hat das der Chef nicht so gern“, sagt sie. Denn je nachdem, wo man hinmüsse, sei das für eine Frau nicht immer ungefährlich. Gegen Gefahren sind aber auch Männer nicht unbedingt gefeit, wie das Beispiel ihres Kollegen zeigt, der in Steinheim angeschossen wurde. Dass es ihm inzwischen wieder recht gut geht und er regelmäßig vorbeischaut, darüber sind alle bei La Torre sehr froh.

Während sich Nicole Schmiedt auf den Weg macht, hat Antonio Mauro gleich vier Teigkugeln zu einem Berg getürmt, drückt ihn flach und gibt ihn in die Maschine. Das ist aber nur der erste Schritt des Auswellens. Danach schwingt er die große Teigmasse, die für eine rechteckige Partypizza reicht, geschickt von Unterarm zu Unterarm und befördert sie mit demselben Schwung auf das eingeölte Backblech. Kurz wird der Rand festgedrückt, dann rollt der Pizzabäcker mit einem Stachelroller über den Teig, verteilt die vorbereitete Tomatensoße dünn auf dem Fladen und gibt frische, in Scheiben geschnittene Champignons, Salami, Schinken und Käse dazu. Bevor das Ganze in den Ofen wandert und als Pizza Naomi wieder herauskommt, werden flink noch einige andere belegt. Jede Bewegung sitzt, kein Handgriff, kein Schritt ist überflüssig.

Auch Denise di Giovanna ist derweil nicht untätig. Sie bereitet im hinteren Küchenraum die wenigen bestellten Nudelgerichte zu. „Etwa 90 Prozent der Besteller ordern Pizza“, sagt sie. Apropos Besteller: Das Telefon gibt immer noch keinen Mucks von sich. Dafür haben sich inzwischen ein paar Hungrige selber auf den Weg gemacht. „Wir haben im Internet gesehen, dass ihr offen habt, da dachten wir, vielleicht stimmt was mit dem Telefon nicht“, sagt ein junges Paar. Ein paar andere hatten selber Probleme, weil sie beim selben Anbieter sind. Aber deshalb den Pizzaabend ausfallen lassen? Auf keinen Fall! Zwei junge Frauen nehmen gleich sieben Stück auf einmal mit. „Das ist das Dankeschön für meine Umzugshelfer“, erzählt eine davon.

Endlich eine kleine Sensation: Das Handy von Denise di Giovanna klingelt. „Hast du unsere normale Nummer gewählt?“ fragt sie hoffnungsfroh den Bekannten am anderen Ende der Leitung. Doch die Hoffnung stirbt so schnell, wie sie aufgekeimt ist: Das Telefon und damit die Rufumleitung aufs Handy funktioniert immer noch nicht. Dafür schauen inzwischen immer mehr Menschen vorbei und holen sich Pizza, Lasagne oder Salat ab. „Haben Sie versucht, zu bestellen?“, fragt die Chefin ein junges Paar. „Unser Telefon geht nämlich nicht!“ „Ja, das haben wir gemerkt und gedacht, wir fahren einfach mal vorbei“, entgegen die beiden. Etwa fünfzehn Minuten später können sie das Bestellte abholen. Bei einer Lieferung nach Hause kann es bis zu einer Stunde dauern, wenn die Fahrer gerade entgegengesetzte Richtungen ansteuern müssen.

Einen Vorteil hat die Telefonstörung aber doch: Man hat Zeit zum Plaudern. Das Rezept für den Pizzateig wird dabei allerdings nicht verraten. Kein Wunder, scheint er doch – neben den frischen Zutaten und dem Verzicht auf Scheußlichkeiten wie Formfleisch und Analogkäse – das Erfolgsrezept zu sein. Schwiegervater Pino hat das Rezept aus Sizilien mitgebracht. Und außer Sohn Giuseppe und Schwiegertochter Denise ist er auch der einzige, der das Geheimnis hütet. Noch nicht einmal Pizzabäcker Antonio kennt das Rezept. „Mancher hat uns schon gesagt, so knusprig ist die Pizza noch nicht mal in Italien“, berichtet Denise di Giovanna stolz. Und einen weiteren Grund hat sie, stolz zu sein: „Der Wirtschaftskontrolldienst, der vor einiger Zeit zu Besuch war, hat gesagt, mit der Qualität an Zutaten könnten wir glatt ein Restaurant führen!“