Die Gewandeten haben die Blicke der Spaziergänger auf sich gezogen. Foto: avanti

Gewandete haben sich am Sonntag auf der Schillerhöhe zum Picknicken getroffen.

Marbach - Wird da gerade ein Film gedreht? Oder hat jemand eine Zeitmaschine in Gang gesetzt? Ein paar Sonntagsspaziergänger auf der Schillerhöhe blickten verwundert auf das schöne Bild, das sich ihnen bot. Da saßen Frauen mit weißen Häubchen oder Strohhut, mit eng geschnürten Miedern und bauschigen, langen Röcken auf Stühlen oder Picknickdecken unter den blühenden Kastanien und unterhielten sich angeregt. Männer in buntgestickten Westen oder stattlichen Gehröcken, mit Kniehosen, weißen Strümpfen und Schnallenschuhen begrüßten einander höflich mit einem kurzen Lupfen des Dreispitzes und einem „Gott zum Gruße“, und auf ein paar Tischen standen verschiedene Leckereien von Fleischbällchen über Käsegebäck bis hin zu Kuchen. Die mehr als 20 wackeren Bürgersleute, Zeitgenossen von Friedrich Schiller, hatten sich zum Picknick im Park verabredet. Wer allerdings genau hinsah, entdeckte ein paar neuzeitliche Brillen in den Gesichtern und unter dem einen oder anderen Tuch die Beine eines modernen Campingstuhls. Das tat dem prächtigen Gesamteindruck keinen Abbruch, doch es stellte klar: Das Ganze ist weder eine Filmszene noch eine Zeitreise, sondern das jährlich im Mai veranstaltete Picknick der Gewandeten.

Seit 2008 findet dieser Schmaus im Grünen im Stil des 18. Jahrhunderts statt. Entstanden ist die Idee, als Ursula Pressel, damals noch Leiterin der Akrobatikgruppe des Turnvereins, ihre Truppe für das 2009 geplante 18.-Jahrhundert-Fest ausstattete. „Wir mussten sowieso Kostüme nähen, also haben wir die gleich für ein Picknick als Einstimmung auf das Fest genutzt“, erklärte sie. Inzwischen ist daraus die „Nähstube des 18. Jahrhunderts“ mit einem stattlichen Fundus an Kostümen geworden.

Die Begeisterung für die Zeit, in der Friedrich Schiller lebte und dichtete, hat nicht nur etliche Marbacher infiziert. Drei der Picknickgäste – Margit, Dorothee und Elsbeth – waren eigens aus Weilheim an der Teck, Kirchheim unter Teck und Reichenbach an der Fils angereist, Maria und Andrea samt Sohn beziehungsweise Bruder Michael aus dem nahen Freiberg am Neckar. Sie alle sind Mitglieder der Ludwigsburger Kostümgruppe Bellissima und pflegen einen regen Kontakt zur „Nähstube des 18. Jahrhunderts“, wie sich die Marbacher Gewandeten nennen. Den Begriff „Verkleidung“ hören sie übrigens nicht gern: „Verkleiden“, erklärte Dorothee unter dem beifälligen Nicken der anderen bestimmt, „macht man an Fasching. Wir schlüpfen in eine andere Zeit und in eine andere Rolle.“ Was jedoch nicht heißt, dass alles historisch authentisch und bierernst sein muss. Zum Picknick hatte Margit unter anderem Mango und Paprika mitgebracht, was bei Schillers wohl eher nicht auf den Tisch gekommen ist. Sabine Stängle, vielen als historisch gewandete Marbacher Stadtführerin bekannt, brachte es auf den Punkt: „Es soll vor allem Spaß machen.“

Von diesem offenkundigen Vergnügen ließen sich auch immer mehr Zuschauer anstecken. Einige Mutige folgten sogar der Einladung von Sabine Stängle und tanzten mit den Gewandeten auf dem Rasen. Vielleicht sind sie ja im nächsten Jahr wieder mit von der Partie – und tragen dann selber ein Kostüm aus Schillers Zeiten.