„Verrückte Ideen“ wirft Kai Keller (rechts) als „Aufseher“ dem Autor Oliver von Schaewen vor. Foto: Frank Wittmer

Oliver von Schaewen stellt 50 Zuhörern in der Stadtbücherei Szenen aus seinem Krimi vor.

Marbach - Es ist beachtlich, wenn ein Autor drei Jahre nach Erscheinen eines Buches gut 50 Zuhörer zu einer Lesung versammeln kann. Allerdings war die Vorstellung des Krimis „Glockenstille“ von Oliver von Schaewen in der Stadtbücherei auch eine Premiere. Die Arkaden des Lesesaales waren gut mit erwartungsfrohen Erst- und Wiederlesern gefüllt.

Oliver von Schaewen dürfte vielen bekannt sein. Schließlich schreibt er als Redakteur über das Tagesgeschehen an Neckar und Bottwar in der Marbacher Zeitung. Hier ist Akribie erforderlich, wenn von Schaewen zur Feder greift und an den Geschichten seiner mittlerweile drei im hiesigen Milieu angesiedelten Krimi-Romane feilt, ist auch dichterische Freiheit erlaubt. So wird die hölzerne Türe der Alexanderkirche zum „schmiedeeisernen Portal“, klärt von Schaewen, der sein Publikum durch Nachfragen immer wieder aus der Reserve lockt, augenzwinkernd auf.

Es lohnt sich, das 300 Seiten starke im Gmeiner Verlag erschienene Werk „Glockenstille“ wieder oder zum ersten Mal in die Hand zu nehmen. Von Schaewen stellt mit Lokalkolorit eine fantasievolle Geschichte vor, die am Ende viel Tempo aufnimmt. Wäre die Story wahr, müsste man frösteln angesichts so viel Unverfrorenheit und krimineller Energie. „Tut mir leid, dass ich Sie mit so blutrünstigen Szenen quäle, aber ich habe mich um Realismus bemüht“, entschuldigt der Autor die schreckliche Entdeckung der Mesnerin Gudrun Schlipf: Der Stadtpfarrer Hans-Peter Roloff baumelt leblos an der Schillerglocke.

Da sich aber alles in der Fantasie abspielt, bleibt ein wohliger Schauer. An einem „gemütlichen Herbstabend“ laden Büchereileiterin Franziska Kunz und Christel Portiek vom Bürgertreff „Wir für uns“ die Gäste zum wohligen Gruseln bei „Mord in Marbach“ ein. Für von Schaewen ist die erste Lesung in der Stadtbücherei auch ein Jubiläum: Seit zehn Jahren schreibt der Redakteur an Krimis. Das Erstlingswerk „Schillerhöhe“ ist 2009 erschienen.

Das erste „Wort“ des Abends hat jedoch Ralf Glenk, und es ist musikalischer Art. Mit der Gibson-Gitarre eröffnet der Musiker den Abend, er nimmt mit flinken Fingern auf der Mandoline die Spannung auf und schließt – passend zur Schillerglocke – mit Bob Dylans „Ring them bells“.

In „Glockenstille“ geht es wie in von Schaewens Bücher immer um eine zweite Ebene: In der Geschichte um die Glocke der Alexanderkirche schwingt auch das Thema der Gleichberechtigung der Frau in der katholischen Kirche mit. Mutig und folgerichtig ist da, dass der Autor seine Lesung im zweiten Teil als Maria Espina Fuentes darstellt, angesichts der beeindruckenden Körpergröße von Schaewens ist die Spanierin mit Perücke, Netzstrümpfen und Pulloverkleid eine imposante Erscheinung.

Zur Spannung bei trägt auch der Auftritt des „Aufsehers“. Von Kai Keller, Geschäftsführer der Marbacher Zeitung, eindrucksvoll dargestellt, kritisiert die vom Autor erschaffene Figur den „Krimi-Schreiberling“ für seine „verrückten Ideen“. So geht es munter weiter. Die großen Fragen: „Wer ist der Killer? Was passiert mit der Glocke?“ bleiben bewusst am Ende der unterhaltsamen Lesung offen. Weiterlesen ist erwünscht. „Wir haben auch Exemplare zum Ausleihen!“, gibt Franziska Kunz der Zuhörerschaft noch mit auf den Nachhauseweg.