Hubert Szulczynski mit seinen Kindern Adrian, Emilia und Viktoria (von links) beim Training. Foto: Andrea Ertl

Vater Hubert Szulczynski übt regelmäßig mit seinen drei Kindern bei der Jongliergruppe Kajom

Marbach -

Die Knieschützer hat der achtjährige Adrian schon an. Er sitzt oben auf der Bühnenkante im Gemeindesaal der katholischen Kirche in Marbach. Schnell befestigt sein Papa noch die Riemen der Stelzen, die auf den ersten Blick an eine orthopädische Schiene erinnern. Und schon läuft der Junge los – mit einer Selbstverständlichkeit, die regelmäßige Übung verrät. Ein langer Stab in der Hand gibt ein wenig Sicherheit beim Balancieren in luftiger Höhe. „So könnte er mit einer ganz langen Hose, die bis über die Stelzen auf den Boden reicht, bei einer Veranstaltung auftreten“, sagt Hubert Szul-czynski, der mit seinem achtjährigen Sohn Adrian und seinen beiden zehnjährigen Zwillingstöchtern Emilia und Viktoria regelmäßig sonntagvormittags zu Kajom, der Jongliergruppe der katholischen Kirchengemeinde, kommt.

Durch einen Infotag bei der Vorbereitung auf die Erstkommunion der beiden Töchter im Oktober 2016 ist die Familie auf Kajom aufmerksam geworden. „Die Mädchen waren gleich sehr begeistert“, erinnert sich der Familienvater, „vor allem vom Einrad fahren.“ Und dass sich die Jongliergruppe immer am Sonntagvormittag nach dem Gottesdienst trifft, „ist für uns ideal“. Seine Ehefrau ist im Kulturbereich tätig und arbeitet deswegen oft am Wochenende – so wie auch an diesem Sonntag. „Kajom ist eher Papa-Sache“, bekennt er. Doch seine Frau komme gerne mit, wenn sie Zeit hat und helfe auch bei verschiedenen Aktionen, wie etwa dem geplanten Jurten-Wochenende auf dem Stückle von Jörg Gerste. „Somit beschränkt sich die Rolle meiner Frau eher auf die Assistenten- und Begleiter-Rolle.“

An diesem Sonntag kurven die beiden Töchter anfangs mit einem Waveboard im Slalom um im Saal platzierte halbe Tennisbälle herum, solange Adrian noch auf Stelzen läuft. Doch sobald die Kinder sich mit einer anderen Jonglier- oder Akrobatikkunst beschäftigen wollen, ist die Unterstützung des Vaters gefragt: „Papa, kannst Du mir helfen?“, fragt Emilia, die sich nun auch Stelzen anschnallt. „Papa, kannst Du mir das Springseil verlängern?“, bittet Adrian. Doch weil Adrian und Viktoria spontan doch lieber mit den Pois jonglieren wollen, gilt es nun, deren Schnüre zu entwirren. „Anfangs habe ich eigentlich nur den Kindern assistiert“, erinnert sich Hubert Szulczynski lachend. Doch mittlerweile jongliere auch er, meist mit Bällen. „Und seit einer Weile versuche ich mich auch mit den Jonglierkeulen.“

Bälle, Keulen, Tücher und Ringe in allen Farben und Größen stehen in Körben am Rand der Bühne bereit. Aber auch mit den etwas exotischeren Materialien wie Plastik-Tellern mit Plastik-Spaghetti darauf oder Pois, die einem Geübten mit ihren raschelnden Schwänzen um die Ohren sausen, können die Hobby-Jongleure aller Altersgruppen souverän umgehen. Außer Familie Szulczynski lässt an diesem Vormittag noch Wolf-Hendrik Zillmann Bälle über seinem Kopf kreisen, und die 13-jährige Celine Sieck übt mit Jörg Gerste das gemeinsame Jonglieren mit Keulen.

Die Französin Yvelise Pistolet, die zurzeit bei einer Marbacher Familie als Au-Pair-Mädchen arbeitet, fährt derweil auf dem Hochrad und stellt fest, dass hier das Auf- und Absteigen die eigentliche Kunst ist. Bei der Gruppe Kajom gehört also auch das Fahren mit ganz besonderen Fahrrädern zum Repertoire der akrobatischen Bewegungskunst. Bekannt sind sie mittlerweile bei Bürgern aus der Region auch durch die verschiedenen Jux-Fahrräder, wie das Gelenkfahrrad, das Mini-Clownrad oder das hölzerne Urfahrrad – die Draisine. Mit diesen sind sie Blickfang bei etlichen Veranstaltungen. Etwa im vergangenen Jahr beim verkaufsoffenen Sonntag oder beim großen 18. Jahrhundert-Fest, bei dem die Kajom-Mitglieder in historische Kleider gewandet vorfuhren. Besonders anspruchsvoll ist dabei auch ein Rad namens Wilde Kuh, das nach rechts fährt, wenn man nach links lenkt.

„Bei uns ist eindeutig die Familie die Zielgruppe“, sagt der Kajom-Leiter Jörg Gerste. Denn hier gebe es zum einen mit dem Jonglieren eine interessante Beschäftigung für Menschen jeden Alters, und zum anderen auch die Möglichkeit und Notwendigkeit, dass die Erwachsenen die Kinder beim Üben unterstützen. Kajom sei mittlerweile fester Bestandteil der katholischen Jugendarbeit, „sie ist aber überkonfessionell ausgerichtet“, betont Gerste. Und sogar auf europäischer Ebene sind die Jongleure gemeinsam unterwegs. Bald geht es auf die Azoren, wo in diesem Jahr das europäische Jongliertreffen, das weltweit größte seiner Art, stattfindet. Für die Pfingstferien planen die Mitglieder des Kajom, im Park am Schillerdenkmal zu jonglieren – sogar Feuer soll dann zum Einsatz kommen. Und die Kinder freuen sich jetzt schon aufs Feuerspucken-Üben. Für Jörg Gerste ist klar, dass Jonglage für viele Menschen eher dritte oder vierte Sportart neben anderen ist. Das bestätigt auch Familienvater Hubert Szulczynski: Seine drei Kinder gehen auch regelmäßig zum Ringen, zum Handball-, Fußball- oder Schwimmtraining und lernen auch Klavier, Blockflöte, Saxofon und Klarinette zu spielen. Klar wird an diesem Sonntag jedenfalls: Jonglage ist eine Bewegungskunst, in der es darauf ankommt, mehrere Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten. So wie es Familien im Alltag oft genauso tun müssen.