Ahmad Milad Karimi hat daran erinnert, dass jeder Flüchtling ein Mensch mit dem Recht zu leben ist. Foto: avanti

Der Islamprofessor Ahmad Milad Karimi ist am Freitag im Schlosskeller zu Gast gewesen. Er erzählte, wie er in jungen Jahren aus Kabul floh.

Marbach - Diese Geschichte begann vor 22 Jahren. Jetzt kann Ahmad Milad Karimi mit der nötigen Distanz darüber sprechen und schreiben, wie er es in seinem Buch „Osama bin Laden schläft bei den Fischen“ getan hat, das er zu seinem Vortrag am Freitagabend mit in den Schlosskeller gebracht hat. Und er kann damit einen wertvollen Beitrag leisten in der aktuellen Flüchtlingsfrage. Er erinnert nämlich daran, worum es letztendlich geht bei all den Bemühungen um Wohnraum und die richtige Willkommenskultur. Jeder der weltweit 59 Millionen Flüchtlinge sei ein Mensch mit Namen, Träumen und dem Recht zu leben.

Karimi hat die Biografie und die sprachliche Kraft, dies elektrisierend zu vermitteln. Das Bild von sich als 13-Jährigem, wie er Abschied nimmt von seiner Heimat Kabul, ist stark. Den Koran singt der fromme Junge dort zuletzt von Kugelhagel umringt auf einer Wiese vor einer Moschee. Von seiner geliebten Schule nimmt er Abschied, indem er Tafel und Wände streichelt und langsam rückwärts hinausgeht.

Vor dem Abflug mit den Eltern und der vierjährigen Schwester im Sommer 1992 lernt er die Zerrissenheit der Gefühle kennen: zwischen Verzweiflung über den Krieg und der Hoffnung auf Besserung. Und er erlebt, wie ehrliche Leute von einem Moment zum andern mitten in der Kriminalität landen, in dem sie sich Schleusern ausliefern. „Was macht man, wenn man illegal in Indien ist und nach Deutschland weiter will?“, gibt Karimi dem Publikum eine kleine Kostprobe der Herausforderungen, denen seine Eltern sich gestellt hätten. An anderen Stellen bekommen humorvolle Einlassungen einen leichten Zug zum Sarkasmus. Höhepunkt der schlimmen Wartezeit in Moskau, der nächsten Station, war die Entführung seines Vaters. Dann endlich, die neuen Schleuser, und wieder Zwiespalt: Dankbarkeit und Verachtung zugleich. Aber auch eine philosophische Dimension tut sich auf nach der verzweifelten Frage: „Warum kommen wir nicht an?“ Die Flucht verlagere sich nach innen. Ob hier vielleicht das eigentliche Ziel liege, fragt Karimi, der sich bald wissbegierig auf die deutschen Philosophen stürzte, noch bevor er die Sprache beherrschte.

Am meisten vermisst hatte er während der Flucht die Schule. Ein Schlüsselerlebnis war der Besuch einer Realschulklasse im Lager bei Frankfurt. Danach suchten er und seine Eltern, ein Schulleiter und eine Zahnärztin, fieberhaft nach Unterrichtsmöglichkeiten. Er durfte auf eine Hauptschule. Die Aufgaben löste er, indem er Texte auswendig lernte. Er wurde Klassenbester. Weil ihn dann die damalige Realschullehrerin, entgegen der Vorschriften, aufnahm und „mehr tat als sie musste“, und weil er auch auf dem Gymnasium einen „Engel“ als Lehrer fand, wurde Karimis herausragendes Talent gefördert. Heute ist er in Münster einer der ersten Professoren, der Lehrer für den Islamunterricht an deutschen Schulen ausbildet.

Die abschließende Fragerunde moderierte Deniz Ankaya von der Schiller-Volkshochschule. In ihrer Reihe Politik.Live hat die VHS den Abend mit dem Reservistenverband Mittlerer Neckar veranstaltet.