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Carolin Stocklossa hat es bereits geschafft. Für Michael Müller ist es dann am Montag so weit. Beide wurden von der DKMS als passende Stammzellenspender ermittelt. Sie geben damit einem krebskranken Menschen die Chance auf ein neues Leben.

Marbach/Großbottwar - Carolin Stocklossa hat es schon hinter sich, bei Michael Müller steht der Eingriff erst noch bevor. Mit ihren Stammzellenspenden versuchen die beiden jungen Menschen, das Leben anderer zu retten.

Wem genau er hilft, weiß der Großbottwarer nicht. Eigentlich hatte sich der 24-Jährige bei der Typisierungsaktion für den kleinen Felix aus Oberstenfeld im Januar diesen Jahres im Bürgerhaus zusammen mit 4043 anderen registrieren lassen wollen, doch die Schlange war so groß, dass er sich kurzerhand für die Online-Variante entschied. Schon am 22. Juni bekam Michael Müller die elektronische Nachricht, dass seine Gewebeproben vermutlich mit denen eines Patienten übereinstimmen. Für den 24-Jährigen begann eine aufregende Zeit. „Ich wollte unbedingt, dass es passt und ich jemandem helfen kann und hatte Sorge, dass am Ende doch noch etwas dazwischen kommt“, erzählt er. Einen Monat später folgte nach einer Voruntersuchung dann die Gewissheit: Mit seinen Stammzellen kann einem an Leukämie erkrankten Menschen geholfen werden.

Seit Donnerstag spritzt sich Michael Müller den Wachstumsfaktor G-CSF. Das Medikament steigert die Anzahl der Stammzellen, die dann über ein spezielles Verfahren direkt aus dem Blut gewonnen werden. „Ich wurde letztes Jahr am Sprunggelenk operiert und hab’ mich da auch zur Thromboseprophylaxe in die Bauchdecke gespritzt – und bin da schon geübt“, sagt der 24-Jährige und lächelt. Am kommenden Montag muss Müller morgens um 8 Uhr im Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart sein. Bis zu fünf Stunden lang kann die Stammzellenentnahme dauern. „Man sitzt oder liegt wie bei einer Blutentnahme“, erklärt er. Sollten am Montag nicht genügend Stammzellen aus dem Blut „herausgewaschen“ werden können, wird das Ganze Prozedere am Dienstag wiederholt.

Angst hat Michael Müller nicht. Im Gegenteil. Der Großbottwarer kann es kaum erwarten, jemandem helfen zu können und hofft, dass sich viele Menschen typisieren lassen. Nach der Spende kann er einige wenige Eckdaten des Empfängers erfahren: Alter, Geschlecht und Herkunftsland. „Und irgendwann lerne ich den anderen dann auch mal kennen – wenn er oder sie das möchte. Mein Wunsch wäre es.“ Ob das möglich ist hängt auch von der Nationalität des an Blutkrebs Erkrankten ab, denn in einigen Ländern der Welt ist der persönliche Kontakt und manchmal sogar der anonyme Kontakt verboten. Etwa drei Monate nach der Spende erfragt die DKMS den Gesundheitszustand des Patienten beim Transplantationsklinikum. Sobald sie vorliegt, wird der Spender – sofern gewünscht – schriftlich benachrichtigt.

In den ersten zwei Jahren nach dem Eingriff dürfen sich Spender und Patient nicht persönlich kennenlernen. Der Grund: In dieser Zeit entscheidet sich, ob und wie gut ein Patient mit Hilfe der transplantierten Stammzellen genesen wird. In einigen Ländern ist jedoch ein anonymer Briefkontakt bereits ab dem ersten Tag erlaubt. Zwei Jahre ist der Spender auch für seinen Patienten „reserviert“ – für den Fall, dass dieser erneut eine Stammzellenspende benötigt.

Carolin Stocklossa ist schon einen Schritt weiter als Michael Müller. Im Oktober hat sie sich übers Internet ein Startpaket zuschicken lassen. „Das erschien mir einfacher und schmerzfreier als eine Blutentnahme“, begründet die Rielingshäuserin den Weg über die Online-Registrierung. „Mit zwei überdimensionalen Wattestäbchen musste ich über meine Mundschleimhaut reiben – das war’s im Grunde schon.“ Drei Monate später bekam sie ihren Spenderausweis zugeschickt. Im Mai diesen Jahres war es dann soweit. „An dem Tag als mein Opa starb kam ich nach Hause und da stand ein großes Paket mit der Aufschrift ‚Bitte nicht öffnen, erst die DKMS anrufen’“. Am Telefon wurde der Mechatronik-Studentin erklärt, dass sie in der engeren Auswahl für eine Spende ist. Nach einer Blutabnahme beim Hausarzt kam am 25. Juni dann per E-Mail die Nachricht, dass ihre Gewebemerkmale passen. „Meine Gefühle waren zwiegespalten. Einerseits freute ich mich, dass ich jemandem helfen kann, andererseits hatte ich Angst, vor dem was kommt.“

In rund 80 Prozent der Fälle werden, wie bei Michael Müller, die Stammzellen der Blutbahn entnommen. Doch Carolin Stocklossa gehörte zu den restlichen 20 Prozent. „Ehrlich gesagt, war ich kurz geschockt, als ich das hörte, denn ich bin bislang noch nicht operiert worden und war auch noch nie im Krankenhaus“, erzählt sie. Dennoch sei es für sie nie eine Option gewesen, einen Rückzieher zu machen. „Man durfte mir nicht sagen, warum bei mir eine Operation notwendig ist, aber aus den Unterlagen konnte ich herauslesen, dass es sich beim Empfänger um ein Kind oder in selteneren Fällen um jemanden mit einer Erbkrankheit handeln muss, und den Gedanken, dass ich einem Kind helfen kann, fand ich besonders schön.“ Die Informationen, die sie in der Vorbereitung auf die OP bekam, halfen ihr auch gelassen zu bleiben. „Viele denken, die Stammzellen werden direkt aus dem Rückenmark genommen, aber das stimmt nicht. Sie werden aus dem Beckenkamm entnommen. Das Risiko ist sehr gering und hängt eigentlich nur mit der Vollnarkose zusammen.“

Am 13. August wird die 21-Jährige in einer Klinik in Köln operiert, am Tag darauf darf Carolin Stocklossa schon wieder heim. „Nach drei Stunden durfte ich schon wieder aufstehen. Ich hatte keine Schmerzen.“ Ihre Stammzellen wurden nach Litauen geflogen. „Sie müssen innerhalb von 30 Stunden eingesetzt werden“, weiß Stocklossa. Inzwischen weiß die Rielingshäuserin, dass ein elfjähriger Junge aus Litauen durch sie eine zweite Lebenschance erhalten hat. Ob sie die Möglichkeit der anonymen Kontaktaufnahme über die DKMS nutzen wird, kann Carolin Stocklossa im Moment nicht sagen. „Ich will nicht das Gefühl vermitteln, man müsste mir dankbar sein, aber es wäre natürlich schon schön, einen Kontakt zu haben, denn irgendwie ist man mit der Person ja schon auf eine besondere Weise verbunden.“