Thomas Diez kritisiert, dass aktuell Idealbilder gegeneinander ausgespielt würden. Foto: Oliver von Schaewen

Referent Thomas Diez zeigt in seinem Vortrag auf, wie wichtig es ist, europäische Politik zu machen.

Marbach - Dass es ein komplexer Vorgang ist, Politik auf europäischer Ebene zu machen, steht für Thomas Diez fest. Und das formuliert er auch klar, bei seinem Vortrag am Montagabend in der Marbacher Stadthalle: „Doch eine Rückkehr zur Einfachheit der 50er Jahre ist unmöglich.“ Seine Leidenschaft in der Sache ist deutlich zu spüren. Thomas Diez ist Professor für Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen an der Universität Tübingen und Referent bei der Auftaktveranstaltung des Marbacher Forum Zeitgeschehen zum Thema „Europa – wohin?“.

Rund 80 Zuhörer sind gekommen, um seinem Vortrag „Die Wiederbesinnung Europas – Integrative Antworten auf die Krise“ zu folgen. Platz wäre für mehr gewesen, und auch dass die Weingärtner Marbach dazu ein gutes Tröpfchen ausschenken, macht die Veranstaltung besonderes. Organisiert hat den gesamten Veranstaltungsreigen, der nach einem literarischen Auftakt in das Forum mit weiteren sechs Vorträgen mündet, ein ehrenamtliches Planungsteam gemeinsam mit der Schiller-VHS.

„Natürlich ist die Europäische Union ein Gebilde, das das Leben komplizierter macht“, gibt der Politikwissenschaftler zu. Doch auch Deutschland, als Teil der EU, sei zurzeit nicht gesegnet mit mitreißender Politik. Er ruft auf: „Wir müssen aufhören, Idealbilder gegeneinander auszuspielen.“

Natürlich könne man sich auf europäischer Ebene immer gegenseitig Vorwürfe machen, so Diez. Und er gibt zu bedenken, dass die meisten der Zuhörer an diesem Abend hier in der Stadthalle einer Generation entstammten, welche die Entstehung der Europäischen Union miterlebt hätte. An seinen Studenten erlebe er dagegen, wie wichtig es sei, diesen europäischen Ethos den jungen Leuten zu vermitteln. Es gehe um den Kern des Projektes Europa, wobei dieses Netzwerkmodell seiner Meinung nach nicht immer alles bis ins letzte Detail regeln müsse.

Die aktuelle Krise, so führt er in seinem Vortrag weiter aus, sei keine Krise Europas, sondern eine generelle Krise. „Da bringt es nichts, sich wieder auf einzelne Nationen besinnen zu wollen.“ Die nationalstaatlichen Systeme seien schließlich genauso in der Krise. Und so fordert er: „Europa muss wieder zu Sinnen kommen – und die Debatten müssen sich wieder besinnen.“

Doch bei allen Krisen und Problemen der EU berichtet er auch von einer aktuellen Erfahrung aus dem Ausland: „Ich komme gerade aus Südafrika. Da ist man entsetzt, was in Amerika passiert.“ Und ihm ist klar geworden: „Das Ansehen der EU ist während der Trump-Ära deutlich gestiegen.“ Ein Ehepaar aus Erdmannhausen ist beeindruckt: „Das hat uns wachgerüttelt, dass die EU wichtig ist und wir sie positiv sehen sollten.“ Dank Trump und Brexit müsse man sich nochmal Gedanken über die EU machen. Aber: „Es hätten ruhig mehr junge Leute da sein können.“