Historischer Zug vor historischem Bahnhofsgebäude: Der Rote Flitzer legt einen Halt in Marbach ein. Foto: Michael Raubold Photographie

Eine Tour im Schienenbus Roter Flitzer ermöglicht besondere Ein- und Ausblicke.

Marbach/Kornwestheim - Als sich die Eisenbahn dem Marbacher Bahnhof nähert, zieht sie schnell die neugierigen Blicke der vereinzelten am Bahnsteig wartenden Fahrgäste auf sich. Und kaum ist die Bahn zum Stehen gekommen, werden die ersten Handys gezückt. Ein schnelles Foto, das darf bei diesem Anblick heutzutage nicht mehr fehlen. Denn in den Bahnhof ist soeben nicht wie gewöhnlich eine S-Bahn eingefahren, sondern der Rote Flitzer, ein historischer Schienenbus aus den 1950er-Jahren. Bei seiner Ausflugsfahrt rund um Stuttgart legt er auch einen kurzen Halt in der Schillerstadt ein.

In dem nahezu voll besetzten Gefährt selbst gibt es bei den Fahrgästen in diesem Moment vor allem ein Gesprächsthema: den tollen Anblick, den sie kurz zuvor genießen konnten. Von Benningen aus kommend, sahen sie vom Neckarviadukt aus, wie sich Marbach mit seiner Stadtmauer hoch über dem Neckar erhebt. Ein Anblick, den natürlich jeder S-Bahn-Fahrgast Tag für Tag genießen kann. Doch dem Zugführer dabei über die Schulter zu blicken und auch die eingleisig gespurte Brücke einmal vor sich zu sehen? Das ist eine Besonderheit. „Und diese Gleise hier links, dienten die früher der Bottwartalbahn oder führten die zum Marbacher Kraftwerk?“, fragt ein Fahrgast seinen Nebensitzer.

Mit diesen außergewöhnlichen Ein- und Ausblicken ist eine Besonderheit des Roten Flitzers schnell offenbart: Den Passagieren bietet sich ein nahezu 360 Grad-Rundumblick, während sich der Zug mit bis zu 90  Stundenkilometern vorwärts bewegt – oder auch rückwärts. Denn kaum sind bei Bedarf drei Handgriffe des Lokführers getätigt und er in den dann vorderen Wagen umgestiegen, setzt sich der Rote Flitzer auch schon in die entgegengesetzte Richtung in Bewegung. Da braucht es keine Kehrschleife, die gefahren werden muss.

Mit dieser Flexibilität, aber vor allem seinem Charme punktet der Schienenbus bei den Fahrgästen, lässt auch Herzen von Nicht-Hobbyeisenbahnern schnell höherschlagen. Ein weiteres Beispiel gefällig? Kaum ändert der Schienenbus einmal seine Fahrtrichtung, kann die Sitzlehne spielend leicht umgeklappt werden, damit der Passagier es sich wieder in Fahrtrichtung auf dem Polster bequem machen kann. Das Lüftchen, das durch die geöffneten Fenster weht, und die belegten Brötchen, die gevespert werden können, tun ihr Übriges.

Die Fahrt des Roten Flitzers führt an diesem Samstag um die Landeshauptstadt. Von Kornwestheim über Ludwigsburg geht es über Benningen, Marbach, Erdmannhausen und Kirchberg nach Backnang, und von dort über Winnenden und Untertürkheim zurück nach Kornwestheim. Veranstalter ist der in der Salamander-Stadt ansässige Förderverein Schienenbus, dessen inzwischen 69 Mitglieder sich seit 2009 den Erhalt der legendären Züge auf die Fahnen geschrieben hat. „Es ist eine Traditionsfortsetzung der Deutschen Bahn. Denn der Schienenbus erlangte in den 1950er Jahren derart große Beliebtheit, dass die Menschen damit nicht nur zur Arbeit fuhren, sondern die Deutsche Bahn auch bedrängten, um an Wochenenden Tagesausflüge unternehmen zu können“, sagt der Vorsitzende des Vereins, Gerd Hesse.

Sein Vorstandskollege ist Edgar Seitz aus Steinheim, der Gründungsmitglied des Vereins ist und das Amt des Schatzmeisters innehat. Er ist an der Organisation der vielen Ausflugsfahrten beteiligt, die mit dem Roten Flitzer unternommen werden. Kein einfaches Unterfangen, wird der Rote Flitzer doch in den regulären Bahnverkehr eingeschoben. Lokführer Gerhard Dietzmann, der den Roten Flitzer in seinem Ruhestand ehrenamtlich fährt, telefoniert deshalb immer wieder mit dem Fahrdienstleiter bei DB Netz. Auch die Kosten von 4 bis 4,50 Euro pro Trassenkilometer sind happig, zahlen muss der Förderverein den gleichen Spritpreis wie an einer gewöhnlichen Tankstelle. Eine Förderung vom Staat gibt es nicht.

Doch der Aufwand lohnt sich: Die Touren bringen die Passagiere beispielsweise zur Donauquelle und zum Titisee, ins Freilichtmuseum Wackershofen und zu den Weihnachtsmärkten auf Burg Hohenzollern oder in Straßburg. Das ganze Jahr über ist der Rote Flitzer an Wochenenden auf Achse. „Als einer der wenigen hier im Verein habe ich keine Eisenbahner-Vergangenheit und bin eher durch Zufall dazugekommen. Mich fasziniert das Erlebnis, es ist anders als normales Bahn- oder Omnibusfahren. Allein schon durch den Rundumblick“, schwärmt Edgar Seitz. Selbst drei standesamtliche Trauungen hat es im Roten Flitzer bereits gegeben.

Von den 3000 Wagen sind jedoch nur etwa 100 erhalten, sieben davon in Besitz des Kornwestheimer Vereins. Eingesetzt wurden sie einst vor allem auf Nebenstrecken auf dem Land, weshalb der Rote Flitzer im Volksmund auch „Nebenbahnretter“ und „Ferkeltaxi“ genannt wurde. Als in den 1970er Jahren immer mehr Menschen ein eigenes Auto hatten, verschwand der Schienenbus jedoch nach und nach von den Gleisen. Dabei verbirgt sich hinter der Existenz des Roten Flitzers ein „Wunder“, wie es Gerd Hesse bezeichnet. „Er wurde entwickelt, als Deutschland nach dem Krieg in Trümmern lag. Es gab damals kein vergleichbares Fahrzeug.“ Gebaut ist der Schienenbus aus Aluminium, die Idee dafür stammt aus dem Flugzeugbau. Angetrieben wird er von zwei Dieselmotoren mit je 150 PS, jeder Wagen bietet Platz für bis zu 50 Personen.

Um das Erlebnis zu intensivieren, plant der Förderverein, die Touren mit Wanderungen zu verbinden. Außerdem soll der Rote Flitzer mit einer Bar ausgestattet werden – damit wahlweise der Rote-Flitzer-Rotwein oder der Piccolo während der gemütlichen Ausfahrt noch besser munden.