Das Haus birgt ein Labyrinth aus Regalen, Kisten und Hausrat. Foto: Werner Kuhnle

In der Villa der Modeschmuckfabrikanten Sänger kommen Berge von Schmuck zum Vorschein.

Marbach - Es ist ein Anblick, wie er sich nicht alle Tage bietet: das ehemalige Wohn- und Firmengebäude, indem sich nicht nur Privatgemächer und das Atelier der Eheleute Walter und Waltraud Sänger befanden, sondern auch die Modeschmuckfirma SängerForm, ist nach dem Ableben von Waltraud Sänger im vergangenen Jahr nun komplett verwaist. Und trotz der Tatsache, dass das Stuttgarter Auktionshaus von Brühl damit beauftragt ist, den Nachlass aufzulösen, liegt ein Hauch von Glamour in den Räumen, der nonchalant auch besondere Dimensionen parat hält: geschätzte 20 Kilometer Stoff, die auf Ballen gewickelt im Lagerraum zu finden sind, beherbergt die rund 1400 Quadratmeter große Villa. Auch zigtausend Perlen aus Holz, Metall und Plastik sowie eine schwer zu schätzende Zahl an Federn, Glöckchen, Halsketten und Armreifen birgt das Haus. In der gigantischen Schatztruhe geht man wie durch ein Labyrinth: an ausgedientem Hausrat und Fluren mit Regalen vorbei, die ebenso Modeschmuck enthalten, wie zahlreiche am Boden stehende Säcke, etwa mit Plastikarmreifen. Unter den Schuhsohlen knirscht es: vor Schmutz, zerbrochenem Glas oder auch Perlen, die sich vom ursprünglichen Gegenstand der Zierde gelöst haben. Und der Blick bleibt immer wieder an Stoffpuppen, Figürchen, Collagen und Skulpturen hängen. Sie scheinen ein Eigenleben zu führen, während Männer vom Entrümpelungsdienst ihre Arbeit tun. Wie bei allen Haushaltsauflösungen herrscht hier der Geist vergangener Zeiten.

Der Marbacher Stadtarchivar Albrecht Gühring ist fasziniert vom parallelen Dasein des Schmucks und dem allgegenwärtigen Gerümpel. Und vom „morbiden Charme des Hauses“. Zusammen mit der italienischen Praktikantin Emma, die einen erstaunlich guten Spürsinn für das Auffinden besonderer Archivmaterialien entwickelt habe, hat der Archivar rund vier Stunden das Marbacher Haus nach aufschlussreichen Informationen über die Familienhistorie durchforstet. Vorerst sind die Bilder, Dokumente und Papiere eine Leihgabe. Nach der Sichtung wird sich zeigen, ob es eine Dauerleihgabe wird oder ob sie gar ins Eigentum der Stadt übergehen. Besonders fasziniert zeigt sich Albrecht Gühring davon: Walter Sänger muss wohl der allererste Porsche-Lehrling in Deutschland gewesen sein. Auch Andreas Graf von Brühl hat inzwischen viel über die Geschichte der Firma und ihrer Inhaberin Traude Sänger herausgefunden: „Die Firma muss in der Modewelt eine bedeutende Rolle gespielt haben“. Davon zeugen etwa Modemagazine wie Vogue, die Models zeigen, die den Schmuck von SängerForm tragen. Außerdem sei auf vielen Fotos zu erkennen, dass die Eheleute regen Kontakt zu Künstlern gehabt hätten. „Die müssen ein tolles Netzwerk aufgebaut haben“, staunt der Auktionator, der sich beeindruckt davon zeigt, „wie man mit seiner künstlerischen Ader eine solche Firma aufbauen konnte und damit international angesehen war“. So hat er die Marke SängerForm, die eine der ersten Modeschmuckfabriken nach dem Krieg war, schützen lassen. „Es ist doch schade, wenn die einfach so vom Markt verschwindet. Ich habe zahlreiche Patente, Gebrauchsmuster, Vorlagen und Unikate gefunden. Da steckt so viel Wissen drin“, schwärmt von Brühl, der hofft, dass jemand mit fachlichem Interesse eine neue Existenz daraus aufbauen kann. Inspiration hat das Paar vermutlich auch durch seine zahlreichen Reisen erhalten. Etwa 30 000 Bücher, darunter ethnologische, die Ideen für Motive und anderes liefern könnten, bildeten eine umfassende Bibliothek. Eines aber scheint sicher zu sein: Die Sängers waren in kreativer Hinsicht ihrer Zeit offensichtlich weit voraus. Nicht nur die Designerin, die in Stuttgart an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste studiert und sich beispielsweise auch an Collagen mit verrosteten und platt gedrückten Coladosen versucht hat; auch ihr Gatte habe als Designer von Lampen und Möbelstücken eine Kreativität gezeigt, von denen manches an die klaren, schlichten Linien der Ikea-Möbeln erinnert.

Info: An zwei Samstagen, 18. und 25. August, können Interessierte Schmuck und andere Gegenstände von 11 bis 16 Uhr in der Robert-Bosch-Straße 8 auf Verhandlungsbasis erwerben. Teile des Nachlasses werden außerdem im Auktionshaus von Brühl in Stuttgart, Seyfferstraße 103, am 14. September, versteigert.