Die beiden Schweizer Künstler Stefan Baltensperger und David Siepert haben sich des vergessenen Marbacher Münzrechts von 1009 erinnert. Foto: KS-Images.de

Bischof Walther hatte im Jahr 1009 das Münzrecht für Marbach erhalten.

Marbach - Mit dem Kunstprojekt „Drehmomente" der Kulturregion Stuttgart hat die Stadt Marbach eine Wertmarke, den „Marbach“ bekommen. Die Künstler Stefan Baltensperger und David Siepert wollen damit an das historische Münzrecht der Stadt anknüpfen. Was hatte es damit auf sich? Der Historiker Dr. Hans-Ulrich Schäfer hat sich mit dem Münzrecht von Marbach beschäftigt.

Was ist das Münzrecht?

Das ist das Recht, Münzen prägen zu lassen. Dieses Recht lag im Deutschen Reich des Mittelalters beim König, der in der Regel den Titel „Kaiser“ führte, wie Schäfer erklärt. Der Kaiser konnte das Münzrecht an geistliche und weltliche Fürsten verleihen, also an Bischöfe, Äbte, Herzöge und auch an die Städte. Münzmeister war zu jener Zeit übrigens ein eigener Beruf. Geprägt wurde damals nur ein einziger Münzwert, der Silberpfennig (Denar).

Auf welche Weise bekam Marbach das Münzrecht?

Im Jahre 1009 verlieh Kaiser Heinrich II. (1002 bis 1024) dem Bischof Walther von Speyer das Münzrecht für dessen Siedlung Marbach. Der Bischof von Speyer übte damals nicht nur die kirchliche Herrschaft über Marbach aus, sondern auch die weltliche Gewalt als Vertreter des Kaisers. Dass Bischöfe und andere geistliche Fürsten vom Kaiser mit der weltlichen Herrschaft über große Ländereien belehnt wurden, war damals üblich. Geistliche hatten keine Nachkommen, zumindest keine legitimen. Der Kaiser musste nicht befürchten, dass sie versuchten, ihre Lehen zu vererben und damit dem Kaiser zu entziehen. Das Münzrecht hatten die Bischöfe von Speyer zwar schon im 10. Jahrhundert erworben, es galt aber nicht für Marbach.

Inwiefern profitierte Marbach vom Münzrecht?

Der Bischof profitierte am meisten vom Münzrecht, denn ihm stand der „Schlagschatz“ zu. So nannte man die Differenz zwischen den Kosten für die Herstellung der Münzen und ihrem höheren Nominalwert. Darüber hinaus nutzte die Verleihung des Münzrechts an Marbach allen Ständen, da der Geldverkehr den Handel erheblich erleichterte. Als die Stadt das Münzrecht bekam, war sie übrigens bereits im Besitz des Markt- und Zollrechts.

Diese beiden Rechte (auch Regalien genannt) hatte der Bischof vom Kaiser verliehen bekommen. Wann das genau war, ist laut Schäfer nicht klar. Er vermutet, dass es im achten oder neunten Jahrhundert gewesen sein könnte, als die Verkehrsverhältnisse relativ gut waren, weil die karolingischen Herrscher die Straßen und Brücken der Römerzeit so gut wie möglich wieder instand setzten.

Das Markt- und Zollrecht wurde in der Urkunde von 1009 lediglich bestätigt. Es stellte die Händler und Kunden, die am Markt teilnahmen, unter den kaiserlichen Bann, also den Schutz der Staatsgewalt und machte so den Handel in größerem Umfang erst möglich. Davon profitierten alle, nicht zuletzt der Bischof, der sich seine Schutzfunktion mit verschiedenen Abgaben bezahlen ließ. Wie war die politische Situation damals?

Die Quellenlage für Marbach ist laut Schäfer im Frühen und Hohen Mittelalter äußerst dürftig. Es gibt eine Urkunde aus dem Jahr 972 nach Christus, mit der die weltliche Herrschaft über Marbach und die umliegenden Orte dem Bischof von Speyer übertragen wird, und eben die Urkunde zum Markt- und Münzrecht von 1009.

Schäfer vermutet, dass ums Jahr 1000 an der Stelle der jetzigen Alexanderkirche die 972 erwähnte „curtis“ lag, ein Adelssitz oder Herrenhof, zu dem ein kleines Dorf gehörte. Ob unter den Bewohnern Kaufleute waren, oder ob diese von außen kamen, lässt sich seiner Auffassung nach nicht mehr feststellen.

Sicher ist aber, dass bei Marbach fünf Bistümern aneinander grenzten: Speyer, Worms, Würzburg, Augsburg und Konstanz.

Das Reich des Kaisers Heinrich II bestand zu dieser Zeit aus mehreren Herrschaftsbezirken, also Bistümern und Grafschaften, die aber alle die gleiche Währung hatten und mit den silbernen Münzen (Denaren) bezahlten. Heinrich II übte die Staatsgewalt aus.

Wurden jemals in Marbach Münzen geprägt?

Bis jetzt hat niemand Münzen gefunden, die nachweislich in Marbach geprägt worden sind, denn keine der bekannten Pfennigmünzen trägt eine Umschrift oder ein Beizeichen, das sich auf Marbach beziehen lässt. Schäfer hält es trotzdem für wahrscheinlich, dass in Marbach Münzen geprägt worden sind. Denn in der Urkunde von 1009 ist festgehalten, dass sich diese Marbacher Silberdenare oder Pfennige nicht von den Speyerer und Wormser Stücken unterscheiden durften. Man kann heute also gar nicht mehr erkennen, ob eine Münze in Speyer oder Marbach geprägt wurde, weil sie schlicht gleich aussehen musste.

Warum bekam Marbach so viele Rechte?

Auch damit hat sich Schäfer beschäftigt. Im Frühmittelalter hatte der Ort eine sehr verkehrsgünstige Lage. Drei römische Brücken führten hier über den Neckar und die Murr. Dass sie zur Zeit der angenommenen Gründung des Marktes in der Karolingerzeit wahrscheinlich funktionsfähig waren, ergibt sich daraus, dass damals Fernstraßen aus allen Richtungen auf Marbach zuliefen: Aus Worms und Speyer, aus Weißenburg im Elsass, aus der Gegend von Ulm, aus Ingolstadt und aus dem oberen Neckarland, um nur die wichtigsten zu nennen.

Der Herrenhof oder Adelssitz an der Stelle der heutigen Alexanderkirche war zudem Mittelpunkt einer großen Grundherrschaft und bis 972 Sitz eines vornehmen Adelsgeschlechts mit entsprechender Wirtschaftskraft. Ein Markt könnte laut Schäfer auch zu diesem Besitz gehört haben. Dr. Michael Matzke vom Historischen Museum in Basel sieht noch einen weiteren Grund für die (Wieder-)Belebung von Markt und Münze im Jahre 1009. Während der Vormundschaft für den unmündigen Kaiser Otto III. (983 bis 1002) hatte der damalige Bischof von Speyer Pfennige prägen lassen, die deutlich weniger wogen als damals üblich: nur 0,8 Gramm statt 1 oder 1,1 Gramm. Die Sache flog auf, die minderwertigen Münzen gerieten in Verruf und niemand wollte sie annehmen. Um das Vertrauen wieder herzustellen, ließ der neue Bischof Walther die schlechten Pfennige einsammeln, einschmelzen und gegen neugeprägte „Reformmünzen“ mit vollem Gewicht eintauschen. Matzke nimmt an, dass dieser Tausch in den abgelegenen Gebieten an der Bistumsgrenze nicht funktioniert habe, weil keine Infrastruktur vorhanden war. Mit dem Markt- und Münzrecht in Marbach wurden die Voraussetzungen für den Münztausch geschaffen, die eingesammelten Stücke konnten an Ort und Stelle umgeprägt werden. Und vor allem war Marbach von den Grenzgebieten aller fünf Bistümer aus leichter zu erreichen als Speyer. Nach Abschluss der Umtauschaktion wurde die Münzstätte in Marbach nicht mehr benötigt und bis heute nicht mehr wiederbelebt.

Nutzt das historische Münzrecht der Stadt Marbach noch etwas?

Das Münzrecht liegt heutzutage beim deutschen Staat. Aus diesem Grund darf der „Marbach“ auch nicht „Münze“ genannt werden. Das Marktrecht hingegen hat immer noch Bestand, es wurde nicht widerrufen. Der Krämermarkt, der dreimal im Jahr in Marbach stattfindet, hat seinen Ursprung in diesem Recht.

Die neue Währung für Marbach und der Experte

Der MarbachDas Schweizer Künstlerduo Baltensperger+Siepert hat im Rahmen des Produktionskunst-Festivals Drehmoment der Kulturregion Stuttgart eine eigene „Währung“ für die Marbacher entwickelt. Bis Mitte Oktober bekommt jeder, der in Marbach wohnt, eine solche Wertmarke zugeschickt. Die Marbacher können diese dann zum Beispiel nutzen, um im Hallenbad schwimmen zu gehen oder ein Konzert im Jugendhaus zu besuchen. Das Projekt entsteht in Zusammenarbeit mit der Firma Hainbuch in Marbach. Mit ihrer Arbeit wollen die Künstler die Bürger anregen, über den Wert einer Sache nachzudenken. 15 700 werden für die Marbacher Bevölkerung geprägt, weitere 300 stehen zum Kauf für Sammler zur Verfügung. Am 20. September übergaben die beiden Künstler den „Marbach“ und die Prägestempel an die Stadt. Interessierte können die Entstehung des „Marbach“ und die Stempel bis zum 19. Oktober in einer Ausstellung im Rathaus anschauen. Vom 4. bis 28. Oktober werden die 27 Kunstwerke des Festivals in 21 Städten und Gemeinden der Region gezeigt. Weitere Informationen zum Gesamtprojekt unter www.kulturregion–stuttgart.de.

Der HistorikerDr. Hans-Ulrich Schäfer wurde 1941 in Stuttgart geboren und wuchs in Marbach auf. Nach dem Studium der Geschichte, Anglistik und Sportwissenschaften trat er in den Schuldienst des Landes Baden-Württemberg ein. Für die im Jahre 2002 von Albrecht Gühring herausgegebene Marbacher Stadtgeschichte verfasste er den Abschnitt „Die Geschichte Marbachs von den Anfängen bis zum Jahre 1302“. 1982 und 2009 organisierte er zwei Ausstellungen zum Marbacher Stadtjubiläum und zur Verleihung des Markt- und Münzrechts. Hans-Ulrich Schäfer lebt seit 1975 in Ulm, wo er von 1985 bis 2006 das Hans und Sophie Scholl-Gymnasium leitete und als Lehrbeauftragter für Schulrecht tätig war. Ehrenamtlich war bzw. ist er Vorstandsmitglied des SSV Ulm 1846 und der Ulmer Goethe-Gesellschaft.bus