Der Landtagsabgeordnete Andreas Stoch (links) hat den Bundestageskandidaten Thomas Utz zum Redaktionsgespräch begleitet. Foto: KS-Images.de

Der Bundestagskandidat im Wahlkreis Neckar-Zaber, Thomas Utz, hat gemeinsam mit dem MdL Andreas Stoch die Redaktion besucht.

Marbach - Der SPD-Bundestagskandidat des Wahlkreises Neckar-Zaber, Thomas Utz, hat gemeinsam mit dem Fraktionsvorsitzenden der SPD im Stuttgarter Landtag, Andreas Stoch, die Redaktion besucht. Nach dem Geschmack der beiden Politiker könnte der Wahlkampf zur Bundestagswahl am 24. September allmählich an Fahrt gewinnen.

Julia Spors Herr Stoch, Herr Utz, haben Sie beide denn bereits auf den Wahlkampfmodus umgeschaltet?
Andreas Stoch Wie sagte schon der ehemalige Fußball-Nationaltrainer Sepp Herberger: ‚Nach dem Spiel, ist vor dem Spiel.’ Ich habe das Gefühl, kaum ist eine Wahl vorbei, steht die nächste an. Allerdings habe ich den Eindruck, man muss manchen Leuten noch sagen, dass eine Bundestagswahl etwas ziemlich Wichtiges ist. Vor allem in Baden-Württemberg, wo ja aktuell Schulferien sind, ist die Wahl noch nicht richtig ins Bewusstsein gerückt.
Sandra Brock Herr Stoch, Sie haben gerade Abitur gemacht, als Thomas Utz auf die Welt kam. Was geben Sie einem so jungen Kollegen mit auf den Weg?
Stoch Man fühlt sich ja immer jünger, als man tatsächlich ist. Ich fühle mich also nicht in der Situation, der nachfolgenden Generation zu sagen, was sie machen soll. Auch wenn ich bei vier Kindern da nicht ganz drumherum komme (lacht). Thomas Utz kann ich sagen, man kann Politik nur dann glaubhaft machen, wenn man von den Inhalten überzeugt ist, für die man eintritt. Wenn man sich aber mit sozialdemokratischen Werten identifiziert – nämlich die Gesellschaft zusammenzuhalten – dann ist man in der Politik gut aufgehoben. Dann gibt es auch viele Möglichkeiten sich zu engagieren.
Spors Woran liegt es denn, dass der Wahlkampf in Deutschland noch so verhalten ist?
Stoch Politikwissenschaftler sagen, die Zurückhaltung der Kanzlerinnenpartei CDU ist Teil ihrer Strategie. Mit dem Gefühl, dass es den Bürgern im Grunde gut geht, hat Angela Merkel ja bereits die letzte Wahl gewonnen. Der weit verbreitete Glaube scheint zu sein, wenn wir alles so belassen, wie es ist, geht es uns weiterhin gut. Diese Haltung wird meiner Meinung nach unterstützt durch das, was im internationalen Kontext geschieht: In England haben wir den Brexit, in Frankreich bricht das politische System mehr oder weniger auseinander und in Österreich wird fast ein Rechtsradikaler zum Präsidenten gewählt. Um uns herum passieren also starke Veränderungen. Viele wollen diese Veränderungen einfach von sich fernhalten. Genau dafür steht Angela Merkel, die aus meiner Sicht versucht, den Wahlkampf zu entpolitisieren, ihn frei von Inhalten zu halten.
Thomas Utz Das merkt man daran, dass Themen wie die Rentendiskussion einfach ausgeblendet werden. Wenn die Regierungspartei sich jetzt nicht positioniert und sagt, das regeln wir nach der Bundestagswahl, spricht da ein Stück weit die Arroganz der Macht. Gegenüber den Wählerinnen und Wählern ist das nicht ehrlich. Wahlen sind Feste der Demokratie. Es geht darum, sich mit Respekt zu begegnen, aber inhaltlich zu fetzen. Es ist ein Wettstreit der besseren Konzepte und Ideen für die Zukunft. Im Moment tun wir uns schwer damit. Wie wollen Sie den Kampf aufnehmen, wenn der Gegner sofort aus dem Ring flüchtet, sobald Sie einsteigen?
Spors Vielleicht liegt es ja daran, dass es uns tatsächlich zu gut geht und die Bürger einfach keine neue Regierung haben wollen?
Stoch Ich glaube, wir brauchen den Machtwechsel, um für die Zukunft die richtigen Lösungen zu bekommen. In der Momentaufnahme geht es vielen Menschen sicherlich gut. Beispielsweise haben wir eine sehr niedrige Arbeitslosenzahl. Gleichzeitig sind aber auch viele von der Angst getrieben, ob sie das rasante Tempo in der Arbeitswelt, Stichwort Digitalisierung, mitgehen können. Da ist die Politik gefordert, Ideen zu entwickeln, wie mit dieser Veränderung umzugehen ist. Und zwar so, dass sie nicht zu einer Verschlechterung für die Menschen wird. Vor dem, was in zehn Jahren sein wird, haben viele Angst. Wir müssen verhindern, dass Populisten und Extremisten diese Ängste einsammeln und zu Kräften im Parlament werden.
Spors Allerdings verheißt der Blick auf die Umfragewerte der SPD nicht unbedingt Gutes. Sowohl was die Partei, als auch was ihren Spitzenkandidaten Martin Schulz angeht.
Stoch In den nächsten Wochen geht es für uns darum, deutlich zu machen, dass es nicht um die Frage geht, ob wir den Wandel wollen oder nicht. Er findet bereits statt. Die Frage ist, ob wir die Chancen, die in ihm stecken, aktiv aufnehmen. Was die Person angeht: Die SPD hat sicher in der Vergangenheit ihre Kandidaten nicht immer optimal unterstützt. Sigmar Gabriel zum Beispiel war als Kanzlerkandidat nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in den eigenen Reihen umstritten. Aber noch kein Parteivorsitzender hat bisher einen solchen Zuspruch erfahren wie Martin Schulz.
Spors Außerhalb der Partei bröckelt die Zustimmung allerdings weiter.
Stoch Martin Schulz hat Ecken und Kanten und versteckt sich nicht. Das gefällt nicht jedem. Aber er steht für etwas.
Spors Nur für was ist noch nicht allen klar.
Stoch Das hat mich ehrlich gesagt gewundert, dass nach der Kür von Martin Schulz zum Bundesvorsitzenden und zum Spitzenkandidaten, in der Medienlandschaft gefragt wurde, wofür er überhaupt stehe. Mit Verlaub, die SPD hat keinen Rechtfertigungsdruck zu sagen, wofür wir stehen. Wir haben ein gemeinsames Wahlprogramm und sind kein Kanzlerwahlverein, in dem Martin Schulz am Tag seiner Ernennung erklären kann, wofür die Partei steht.
Utz Wenn Sie sich die Umfragen von Anfang des Jahres anschauen, als nach der Kandidatenkür von Martin Schulz die Werte auf einmal auf 33 Prozent hochgegangen sind; das kommt doch nicht von ungefähr. Offensichtlich will ein Teil der damals telefonisch Befragten Angela Merkel nicht mehr als Kanzlerin. Sprich, der Wechselwille ist vorhanden. Was wir schaffen müssen ist, mit den Menschen über unsere Themen ins Gespräch zu kommen. Das sind zum Beispiel bezahlbarer Wohnraum, die Verkehrsprobleme in den Griff zu bekommen, die Wirtschaft für die Zukunft zu wappnen, aber auch die Sorgen und Hoffnungen der jungen Generation. Wir haben ein zukunftsweisendes Programm, nicht nur beim Thema Rente, sondern genauso bei Investitionen, der Infra-stuktur oder der Arbeitsmarktgestaltung.
Spors Während sich die etablierten Parteien allerdings schwertun, die Bürger zu erreichen, hat es die AfD ganz gut geschafft, die Wähler mitzunehmen.
Stoch Die AfD ist ein Phänomen, das ganz stark von Umständen abhängt, die gar nichts mit dieser Partei zu tun haben. Als sich 2015 der Lucke-Flügel abgespalten hatte, haben einige gedacht, damit hat sich die Nummer erledigt. Als dann im Juli und August des gleichen Jahres die Flüchtlingszahlen angestiegen sind, war die AfD auf einmal ein politischer Faktor. Die AfD versucht immer wieder, die Angst zu schüren und eines unserer Hauptziele ist, sie nicht in den Bundestag kommen zu lassen.
Utz Entscheidende Zukunftsfragen blendet diese Partei einfach aus. Kein Wort zum Klimawandel, nichts zu Fragen der Arbeit. Niemand wählt die AfD wegen ihres Programms, das ist reiner Protest. Den wir anderen Parteien allerdings ernst nehmen und uns fragen müssen, warum wir diese Protestwähler nicht mehr erreichen. Eine Lösung ist, dass wir bürgerlichen Parteien Personen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Hintergründe aufstellen, um möglichst viele Menschen in der Gesellschaft anzusprechen.
Spors Werfen wir den Blick doch mal aufs Ländle. Welche Themen bewegen Sie da aktuell am meisten?
Stoch Im Großraum Stuttgart spielt sicher das Thema Wohnen eine zentrale Rolle. Dabei geht es um die Verfügbarkeit von Grundstücken. In den vergangenen 15 bis 20 Jahren haben wir ja geglaubt, die Gesellschaft schrumpft. Wie wir jetzt wissen, war das ein Irrglaube. Und überall dort, wo es keinen sozialen oder gemeinnützigen Wohnbau gibt, explodieren die Mieten.
Christian Kempf Mit welchen Konzept will die SPD da gegensteuern?
Stoch Eine Möglichkeit sind Programme zur Wohnbauförderung. Im Gegenzug können wir dann von den Bauträgern verlangen, den Mietzins etwas geringer zu halten. Während unserer Regierungszeit haben wir die Zuschüsse für den Sozialen Wohnbau von nahezu null auf jetzt 180 Millionen Euro angehoben. 2010 sind pro Jahr etwa 24 000 neue Wohnungen jährlich entstanden. Durch unsere Regierungszeit sind es heute wieder 40 000. Um allerdings der Marktlage gerecht zu werden, würden jährlich bis zu 60 000 neue Wohnungen gebraucht.
Kempf Auch in Marbach soll ein Neubaugebiet ausgewiesen werden, die Grundstücke haben sich aber private Bauträger bereits gesichert. Insofern drängt die SPD im Gemeinderat vergebens auf soziale Mieten.
Stoch Die Frage ist, wie weit greift die Politik in den Markt ein. In diesem Fall muss sie es tun. Wien geht da mit positivem Beispiel voran. Jährlich ziehen 18 000 Menschen in diese Stadt. Ihr gehören ein Drittel der Wohnungen, ein weiteres Drittel liegt in der Hand kommunaler Wohnbaugesellschaften und ein Drittel ist auf dem freien Markt. Bei einem solchen Modell lassen sich Mietpreise relativ gut steuern. Meine sozialdemokratische Haltung sagt mir, dass es dabei um den Zusammenhalt der Gesellschaft geht. Wenn wir nicht mehr da wohnen können, wo wir wollen, fängt die Gemeinschaft an, auseinanderzubrechen.
Utz Das Beispiel in Marbach zeigt ja, wenn ein finanzstarker Bauträger kommt, kann die Kommune nicht mithalten. Die Politik kann da zum Beispiel Vorkaufsrechte gewähren, sodass die Kommunen den ersten Zugriff haben und entscheiden können, was mit den Flächen passiert. Das alles muss mit Bundesmitteln gefördert werden, weil die Eigentümer ihre Flächen sonst nicht verkaufen werden. Da müssen wir über Steuerungsinstrumente nachdenken. Sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene. Es ist ja nicht nur das Thema Wohnen. Hinzu kommen mehr Ausgaben für den Kindergarten, der Verkehr wird teurer – das alles frisst jede Lohnsteigerung sofort wieder auf.
Spors Da Sie den Verkehr ansprechen, Stuttgart ist ja die Stauhauptstadt . . .
Utz Danach kommt das Bottwartal.
Spors . . .  wie wollen Sie Straßen entlasten?
Stoch Für mich liegt die Antwort für die Ballungsräume in einer stärkeren Verlagerung hin zum öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Wir brauchen leistungsfähigere Netze für Busse, Straßenbahnen und die Bahn, die – und das ist für mich der Schlüssel – verlässlich sein müssen. Hinzu kommt eine Vereinfachung des Tarifsystems, wie es jüngst der Stuttgarter Gemeinderat diskutiert hat. Dazu muss das Land mit an Bord sein. Die Herausforderung lautet: Wie schaffe ich es, dass jemand aus dem Bottwartal die ersten zehn Kilometer mit dem Auto fährt, einen guten P+R Parkplatz findet und dann ohne große Anschlussschwierigkeiten an sein Ziel kommt. Wir werden es nämlich nicht schaffen, jedes Haus an den ÖPNV anzuschließen.
Utz Die angekündigte Erhöhung der Preise für den VVS um 1,7 Prozent belasten die Pendler aus den ländlichen Gebieten in absoluten Zahlen unverhältnismäßig mehr. Man kann zu dem Schluss kommen, die Stadt Stuttgart macht Verkehrspolitik für sich selbst. Insofern braucht es starke Stimmen in Land und Bund, die sagen, bis hierher und nicht weiter. Ein Beispiel dafür sind die Fahrgastbeiträge. Diese tragen60 Prozent zu den Kosten für den VVS bei. Da gib es noch Spielraum nach unten.
Stoch Als Sozialdemokraten wollen wir nicht, dass Mobilität zur neuen sozialen Frage wird. Auch bei Modellen wie der Citymaut muss das Berücksichtigung finden. Wir sehen im Moment den idealen Zeitpunkt für einen Ausbau des ÖPNV, da die Kassen der Finanzministerin voll sind.
Utz Jeder Handwerker, der Geld auf seinem Konto hat, investiert, damit die Geschäfte auch künftig gut laufen. Ich verstehe nicht, warum das Land es nicht so macht. Weder in den Verkehr, noch in die Bildung fließen entsprechende Summen. Da könnte viel mehr passieren, als es auf Bundes- und Landesebene der Fall ist.
Spors Wo die Politik andererseits scheinbar die Augen vor verschlossen hat, ist die Automobilindustrie. Wie ist aus Ihrer Sicht mit dem Dieselskandal zu verfahren?
Stoch Das ist ein vielschichtiges Thema, bei dem es keine einfachen Lösungen gibt. Wir sind im Gespräch mit Gewerkschaftsvorsitzenden, Betriebsräten und Mitarbeitern der Automobilindustrie. Denn dort findet ein Transformationsprozess statt, der sich auf Arbeitsplätze auswirken wird. In Baden-Württemberg sind 325 000 Beschäftigte vom Auto abhängig. Es wäre falsch, sie nicht in die Diskussion einzubeziehen.
Utz Die Frage stellt sich ja auch im Wahlkreis, wo beispielsweise in Bietigheim-Bissingen oder in Abstatt große Automobilzulieferer ihre Firmensitze haben. Die Forderung, bis 2030 keine Verbrennermotoren mehr zu bauen, wird dann plötzlich ganz konkret zur Arbeitsplatzbedrohung. Wenn man diesen Transformationsprozess nicht gestaltet, schickt man viele Beschäftigte sehenden Auges in die Arbeitslosigkeit.
Spors Zu guter Letzt will ich noch wissen, was der Bundestagsabgeordnete Thomas Utz in Berlin für den Wahlkreis bewegen kann?
Stoch Thomas Utz könnte definitiv viel mehr für den hiesigen Wahlkreis tun, als der bisherige Abgeordnete der CDU. Er könnte in seiner Fraktion deutlicher machen, was die Belange dieses Wahlkreises sind. Und ich bin mir ganz sicher, wenn es zum Beispiel um Verkehrsprojekte geht, und da stehen die ganz großen Fördertöpfe nun einmal beim Bund, säße mit Thomas Utz ein junger Mann mit entsprechendem beruflichen Hintergrund und mit Durchsetzungsvermögen in der ersten Reihe. Er lässt sich von den Alphatierspielchen in der Politik nicht einschüchtern.
Utz Man kann als Abgeordneter viel mehr machen, als zwei Mal pro Legislaturperiode Sportberichte vorlegen. Mein Wunschausschuss ist der Haushaltsausschuss. Dort könnte ich Themen wie den Wohnraum in Marbach, den Breitbandausbau auf dem Land aber auch Verkehrskonzepte im Bottwartal ansprechen und mich für den Wahlkreis einsetzen. Die Aufgabe in Berlin erfordert einen engen Schulterschluss mit der Heimat. Nicht umsonst habe ich jüngst fast alle Bürgermeister im Wahlkreis besucht und mit ihnen über drängende Aufgaben gesprochen.