Der Demonstrationszug hat sich samt Trojanischem Pferd durch die Marbacher Innenstadt geschlängelt. Foto: avanti

An einem Protestmarsch gegen das transatlantische Freihandelsabkommen haben viele Menschen teilgenommen. Der Tross erstreckte sich über mehrere hundert Meter.

Marbach - Der erste Protestmarsch gegen TTIP in der Schillerstadt vor gut einem Jahr hat schon eine Menge Menschen mobilisiert. Doch was sich am Samstag bei der zweiten Demo gegen das transatlantische Freihandelsabkommen in Marbach abspielte, war eine Nummer größer. Mehrere Hundert Meter lang war der bunte Zug aus Erwachsenen, Kindern und Traktoren, der sich von der Rielingshäuser Straße aus über die Güntterstraße bis nach oben in Richtung Schillerhöhe schlängelte. Dort stand unterhalb des Schillerdenkmals eine Kundgebung auf dem Programm. „Die Resonanz ist brutal gut“, zeigte sich der Hauptversammlungsleiter Wolfgang Simon vom Verein Gentechnikfreie Landkreise Ludwigsburg/Rems-Murr schon kurz nach dem Start begeistert. Und da hatten sich viele Unterstützer, die per Bus oder Bahn angereist waren, noch gar nicht in den Lindwurm eingereiht.

Statt nur ein Traktor wie bei der ersten Auflage tuckerten dieses Mal gleich neun Trecker über den Asphalt. Hinter, auf und zwischen den Maschinen waren laut Veranstalter mehr als 450 Demonstranten unterwegs, und damit etwa 50 mehr als im vergangenen Jahr. Wie meist in solchen Fällen kam die Polizei aber zu einem anderen Ergebnis. Man habe 150 Personen bei der Kundgebung gezählt, sagte ein Beamter. Beim Protestzug dürften es auch nicht viel mehr gewesen sein, fügte er hinzu.

So oder so dürfte die gemeinsame Aktion des Vereins Gentechnikfreie Landkreise, des BUND-Bezirksverbands Marbach-Bottwartal, der Grünen aus Marbach, Steinheim, Murr und Erdmannhausen, des Marbacher SPD-Ortsvereins sowie des Ortsverbands Marbach-Bottwartal der Linken ihr Ziel erfüllt haben. Und das lautete: die Leute darauf hinzuweisen, welche Gefahren ihnen durch TTIP drohen. Und zwar „in allen Lebensbereichen“, wie Wolfgang Simon betonte. Dafür sorgten nicht zuletzt die ganzen Botschaften, die an den Traktoren hingen, auf Transparenten hochgehalten wurden oder auf T-Shirts gekritzelt waren. „TTIP macht uns zu Sklaven“, „Wer TTIP sät, wird Gentechnik ernten“, oder „Europa – kein Freiwild für US-Konzerne“, lauteten die Slogans, mit denen eindringlich vor dem Handelsabkommen gewarnt wurde.

Ein Hingucker war ein großes Trojanisches Pferd, das auf einem Schlepper gezogen wurde und vor allem symbolisieren sollte, dass man via TTIP durch die Hintertür etwas ganz anderes bekomme als das versprochene Wirtschaftswachstum und die neuen Arbeitsplätze, erklärte der Marbacher Grünen-Stadtrat und stellvertretende Versammlungsleiter Sebastian Engelmann vor dem Start der Demo. So drohten Kommunen und Landkreisen Klagen durch Konzerne, sagte Engelmann. Durch TTIP könnten die Global Player nämlich Schiedsgerichte anrufen, wenn sie ihre Gewinninteressen durch Umweltschutzauflagen oder Ähnliches bedroht sehen. Jeder könne sich auch ausmalen, wer so eine juristische Auseinandersetzung gewinne, wenn ein Unternehmen mit einer Armada von Anwälten einlaufe, erklärte er später bei seiner Rede vor dem Schillerdenkmal. Dort erklärte er zudem, dass Kommunen nicht mehr frei wählen könnten, ob sie Wasser, Kultur, ÖPNV oder Bildung selbst verwalten wollen. Das entscheide dann der Markt – so dass all diese Güter in privater Hand landen könnten. „Es geht allein um Konzerninteressen“, fasste Engelmann zusammen – und erntete dafür großen Applaus bei den Teilnehmern der Kundgebung.

Ebenso begeistert wurde die Rede von Ute Rößner aufgenommen. Dabei hat sie als Vorsitzende der Marbacher SPD bei dem Thema eigentlich keinen allzu leichten Stand – steht doch ihre Partei als Mitglied der Bundesregierung eher für einen TTIP-freundlichen Kurs. „Doch auch bei der SPD darf man anders denken“, sagte Ute Rößner. Und sie wolle auf keinen Fall ein Abkommen, das unter anderem die Arbeitnehmerrechte schwäche und das hohe Niveau des hiesigen Verbraucherschutzes gefährde. „Der große Verlierer sind wir Verbraucher, die Umwelt und die Landwirtschaft, der Gewinner die großen Konzerne“, erklärte sie.

In dieselbe Richtung argumentierte der Kirchberger Bio-Bauer Robert Trautwein. Das Ende vom TTIP-Lied werde sein, dass gentechnisch verändertes Saatgut, das in den USA eine Zulassung erhalten hat, auch in der EU auf den Markt kommen dürfe. Enttäuscht ist Trautwein, dass auch die Bundesregierung die Risiken der Gentechnik nicht sehen wolle. „Frau Merkel will den Gentechnikanbau in Europa“, sagte er. Dabei solle doch in der ganzen EU genau das verboten werden, forderte er. „Denn Pollen kennen keine Grenzen“, stellte Robert Trautwein fest. Kurzum: man brauche kein TTIP, sondern „einen fairen Handel mit allen Ländern“, ergänzte er.

„TTIP darf nicht kommen, das ist die einzig mögliche Schlussfolgerung“, sagte auch Brigitte Dahlbender, die Vorsitzende des BUND Baden-Württemberg. Es habe immer geheißen, durch das transatlantische Abkommen würden Arbeitsplätze entstehen und die Wirtschaft wachsen. Aber diese Prognosen „haben sich in Luft aufgelöst“. Was hingegen kommen solle, sei eine Angleichung der Standards in den USA und Europa, sagte sie.

Doch da spreche man von völlig unterschiedlichen Herangehensweisen. Während in Europa vor der Markteinführung eines Produkts aufgezeigt werden müsse, dass es unbedenklich ist, sei es jenseits des Atlantiks genau umgekehrt. Da müsse den Konzernen nachgewiesen werden, dass ihr Produkt schädlich ist. Aber auch solche Dinge wie die Förderung von Kleinkultur könne man sich abschminken. Kurzum: alles werde unter dem Diktat der Großkonzerne stehen.

Hans-Jürgen Kemmerle, der Fraktionschef der Linken im Ludwigsburger Kreistag, gab zu bedenken, dass das Ganze nicht nur auf Treiben der USA zustande komme. „Auch unsere europäische Elite mischt bei TTIP kräftig mit.“ Kemmerle schoss auch gegen Grün-Rot im Land, deren Vertreter im Zusammenhang mit dem Abkommen von einer „Chance“ sprächen. Dabei würden Umweltschutzstandards gefährdet und Arbeitnehmerrechte ausgehöhlt. Um das zu verhindern, brauche es mehr öffentliche Empörung – und vielleicht auch ein Bekenntnis der Kirchen gegen TTIP, wie Brigitte Dahlbender meinte. Denn diese seien bei dem großen Bündnis gegen das Abkommen leider noch nicht im Boot. „Dabei reden wir doch über das Bewahren der Schöpfung“, sagte die BUND-Vorsitzende.