Im Gespräch (von links): der katholische Pfarrer Stefan Spitznagel, der Arzt Dr. Michael Herzog, die Ernährungsberaterin Heidi Kessler. Foto: Werner Kuhnle

Die Teilnehmer am Runden Tisch warnen vor einer Fixierung auf ein Speiseverbot.

Marbach/Bottwartal - Das Frühjahr ist die Zeit der Erneuerung an Körper und Geist – unter dieser Maxime haben sich sechs ganz unterschiedliche Personen zum Runden Tisch im Casino der Marbacher Zeitung versammelt. „Wie halten Sie es mit dem Fasten und dem Verzicht?“, lautete die Frage, wobei durchaus auch andere Formen des Verzichts angesprochen waren.

Die Auswahl der Gesprächspartner geschah bewusst: egal ob Carnevals-Vizepräsidentin, Pfarrer, Ernährungsberaterin oder Gastronom, Arzt und Sportler – alle haben mit dem Thema Nahrung und Enthaltsamkeit zu tun, nur eben auf sehr unterschiedliche Weise, wie das gemeinsame Gespräch dann auch zeigte.

Schnell stellt sich heraus, dass nahezu alle Gesprächspartner einer Einschränkung der Nahrung kritisch gegenüberstehe: „Ich habe als Kind genug gefastet – das reicht für den Rest des Lebens“, blickt der Marbacher katholische Pfarrer Stefan Spitznagel geläutert auf strenge Zeiten zurück. Beim Fasten falle den meisten Menschen erst mal das Essen ein. Es gehe aber um eine Haltung, die dahinter stecke, getreu dem Motto: „Wenn du fastest, mache kein finsteres Gesicht.“

Als bewusste Zeit, „aber nicht im Sinne des Fastens“, sieht die Murrer Carnevals-Vizepräsidentin Sibylle Szüsz, im Berufsleben Führungskraft für digitale Datensteuerung, das Frühjahr an. So erlebe sie den Bruch zur Faschingszeit jedes Mal als tiefen Einschnitt: „Spätestens ab Aschermittwoch kann ich keinen Sekt mehr sehen.“ Die Zeit der ständigen Umzüge und des Fastfoods mit Fleischkäsebrötchen, Würstchen und Pommes frites sei vorbei. Bis zum erneuten Beginn der fünften Jahreszeit am 11. November eines jeden Jahres rücke das normale Leben in den Vordergrund. Dazu zählten fest die Treffen mit Freunden, die drei Monate nicht zum Zuge kamen, und das eigene Kochen.

Nicht das totale Fasten, aber eine Ernährungsumstellung vor zwei Jahren habe dazu geführt, dass er sich erheblich wohler fühle, sagte der Marbacher Internist und Kardiologe Dr. Michael Herzog. Zu ihm kommen Patienten, die sagen: „Ich will abnehmen“. Aber meistens gehe die Initiative zum Abnehmen von ihm als Arzt aus, der rate, aufgrund eines Befundes die Ernährung umzustellen. „Vom Fasten halte ich gar nichts – das sage ich auch.“ Alles, was man im Leben verbissen mache, sei nicht gut. Wer etwa viel weniger esse, riskiere den Jo-Jo-Effekt, insbesondere wenn der Grundstoffwechsel mit Kohlenhydraten, Eiweiß und Fett stark sinke.

Nahrung ist auch das Thema von Diätassistentin Heidi Kessler. Sie nutze persönlich mit ihrer Familie das Frühjahr – „nicht, weil wir wer weiß wie gläubig wären, aber als eine gute Zeit“: etwa um Gewohnheiten zu durchbrechen. Dieses Jahr sei der Verzicht auf Süßigkeiten dran, ihr Mann reduziere das Fernsehen, er schaue nur noch Nachrichten an. Beruflich ist die Mitarbeiterin am Adipositas-Zentrum des Bietigheimer Krankenhauses mit Übergewichtigen befasst. Ihre Erfahrung: „Viele Leute denken, wenn sie eine Weile weniger essen, nehmen sie ab.“ Ein Trugschluss: „Die Patienten brauchen eine lebenslange Ernährungsumstellung, und sie müssen sich bewegen und vieles an sich ändern.“

Wenn er Schokolade im Kopf habe, esse er sie auch, bekennt Eberhard Hubrig, der 36 Jahre als Wirt im Goldenen Löwen in Marbach Gäste kulinarisch verwöhnt hat – und nichts von Selbstkasteiung in der Nahrungsaufnahme hält. „Ohne Zucker wird man blöd.“ Dieses Zitat eines Arztes befolgt Hubrig mit eigener Logik: Der Mensch solle ruhig seinen spontanen Genusseingebungen folgen. Im Gasthaus habe er im Frühjahr aber mit Aktionen wie „Keine Butter bei Schillers Mutter“ Akzente gesetzt.

Nach der Schulzeit habe er probiert zu fasten, „aber es war nichts für mich“, erzählt Michael Sommer, Ultramarathon-Läufer aus Oberstenfeld und Forstwirt. „Es wäre eher kontraproduktiv“, sagt er zur Vereinbarkeit von Leistungssport und Verzicht. Fünfmal zu essen am Tag, wie es Eberhard Hubrig für sich als Rhythmus entdeckt hat, „reicht mir nicht“. Der 100-Kilometer-Läufer isst, was er will – der Frühling als besondere Zeit der Bewegung habe ihm früher mehr als jetzt bedeutet.