Bei einer Geburt braucht es so manche helfende Hand. Foto: factum/Weise

Die Versorgungslage im Raum Marbach/Bottwartal verschlechtert sich.

Marbach/Bottwartal - Hebammen sind nicht nur wichtig, sondern unentbehrlich – da sind sich Politik, Krankenkassen und Haftpflichtversicherungen einig. Gleiches betonen die Hebammen selbst, ganz zu schweigen von den Eltern. Tatsache ist aber auch, dass dem Hebammen-Beruf nicht zuletzt aufgrund der Haftpflichtproblematik bundesweit langsam, aber sicher das Aus droht. Ganz konkret betrifft das auch Marbach und das Bottwartal, wo die Hebammensituation seit Jahren angespannt ist.

Mit dem 1. Januar 2017 hat sich die Lage speziell in den Gemeinden Murr, Steinheim, Großbottwar und Oberstenfeld aber noch einmal dramatisch verschärft. Denn: Mit Inge Seitz aus Murr, die sich mit 72 Jahren in den Ruhestand verabschiedet hat, und Angela Tremmel aus Oberstenfeld, die sich in Zukunft hauptsächlich auf ihre Arbeit im Bietigheimer Kreißsaal konzentrieren wird, geben zwei weitere Hebammen ihre freiberufliche Tätigkeit auf. Damit verbleiben für das Bottwartal mit Sigrid Böhle aus Steinheim, Ines Pantle aus Großbottwar und Ilona Schroth-Hoppe aus Oberstenfeld nur noch drei Hebammen, die Vor- und Nachbetreuung anbieten.

Ein Zustand, der nicht nur werdenden Müttern und jungen Eltern den Angstschweiß auf die Stirn treibt, sondern auch die verbliebenen Hebammen selbst vor eine unlösbare Aufgabe stellt, wie Sigrid Böhle erklärt: „Die Lage im Bottwartal war bis zum 31. Dezember bereits sehr, sehr angespannt.“ Etliche Frauen hätten keinen Platz mehr in Geburts-Vorbereitungskursen bekommen oder keine Hebamme für die Wochenbettbetreuung gefunden. Ab dem neuen Jahr wird es aber massive Engpässe geben, das Bottwartal leide noch mehr an einer Unterversorgung. „Ich selbst kann tatsächlich erst wieder Frauen mit Geburtstermin Mitte September 2017 annehmen – die sind aber leider noch gar nicht schwanger.“ Und bei Böhles Kolleginnen sehe es nicht besser aus. „Für die Frauen, die keine Hebamme mehr finden, ist das dramatisch und für uns Hebammen ist das momentane Arbeitspensum fast nicht mehr machbar.“

Die Hebammen, für die das Arbeiten am Wochenende und in den Ferien zum täglichen Brot gehört und die von jeher unter der Unvereinbarkeit von Beruf und Familie leiden, können ihren Anspruch an gute Hebammenarbeit deshalb auch immer weniger erfüllen. Zumindest wenn sie sich an die von den Krankenkassen veranschlagten Zeitvorgaben und Leistungen halten. Genau 32,87 Euro bekommt danach eine Hebamme pauschal für einen Hausbesuch beispielsweise zur Nachsorge von den Krankenkassen vergütet – Abzüge nicht mit eingerechnet. Einen Aufenthalt von 20 Minuten plant die Kasse dabei als Standard ein. Wie weit dieses Zeitfenster von der Realität abweicht, macht Sigrid Böhle klar: „In 20  Minuten bekomme ich vielleicht das Medizinische geregelt, das heißt, ich werfe einen kurzen Blick auf Uterus, Blutung, Brust und Nabel – zumindest, wenn ich mich beeile.“ Um aber alle Fragen zu klären, müsse sie dasitzen und eine Vertrauensperson sein. Nur so erkenne sie auch, wie die Interaktion zwischen Mutter, Kind und Vater funktioniere und wo es möglicherweise Probleme gebe, erklärt Böhle. Das reiche von der Prävention vor Kindesmissbrauch bis hin zur Früherkennung einer Wochenbettdepression. „Das Riesenthema heißt Bindung – und die baue ich nur auf, wenn ich signalisiere, ich bin gesprächsbereit und beantworte deine Fragen gerne.“ Es gilt also, zu erkennen, wo das Kernproblem liegt – in den dafür eingeplanten 20 Minuten ist das nicht machbar.

„Hebammen, die Frauen in Ludwigsburg betreuen, haben in dieser Zeit mit viel Glück gerade einmal einen Parkplatz gefunden“, so Sigrid Böhle. Das Psychosoziale, das die Hebammenarbeit letztendlich gut macht, bleibt so entweder auf der Strecke oder die Hebammen werden ihrem eigenen Anspruch gerecht und nehmen sich die nötige Zeit.

Die Großbottwarer Hebamme Ines Pantle, die selbst drei Kinder hat, macht klar: „Junge Mütter, die keine Hebamme finden, behelfen sich heute auch mit Dr.  Google, aber das ist kein Ersatz. Es sind oft Kleinigkeiten, die wir abfangen.“ Etwa, dass bei einer starken Blutung eben nicht der Krankenwagen gerufen werde und das Ganze mit einem Krankenhausaufenthalt ende. Kein Wunder, dass Sigrid Böhle prophezeit: „Es wird mehr Schäden geben, beispielsweise deutlich mehr Kinder, die wegen einer Gelbsucht auf der Intensivstation landen, weil einfach kein Profi draufguckt.“ Gemeinsam habe man bereits verschiedene Möglichkeiten durchgespielt, wie zum Beispiel, dass nur noch Erstgebärende für Vorbereitungskurse angenommen werden könnten. „Aber das ist auch keine Lösung, denn auch Zweit, Dritt- oder Viertgebärende haben Fragen“, so Sigrid Böhle. Dass sich die Hebammen-Situation in naher Zukunft im Raum Marbach und im Bottwartal entspanne und der Beratungsbedarf werdender Mütter wieder gedeckt werden könne, sei unwahrscheinlich. Denn: Die Hebammen werden, so Böhle, trotz der hohen Verantwortung, die sie tragen, nicht nur völlig unangemessen bezahlt, sie können von ihrer Arbeit aufgrund der steigenden Haftpflichtprämien schlichtweg nicht mehr leben. Was drohe, sei eine Geburtshilfe ohne Hebammen.