Foto: Werner Kuhnle

Der verkaufsoffene Sonntag hat das Motto „Vamos Marbach“ gehabt. Mit Samba, Capoeira und Caipirinha ging es in der Schillerstadt richtig rund.

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Marbach - Der Himmel ist grau, das Thermometer zeigt 18 Grad, und es nieselt. Haben sich die brasilianischen Tänzerinnen deshalb verspätet? Eigentlich sollten sie schon um 12.30 Uhr, zum Beginn des Erlebnistages der Interessengemeinschaft der Selbständigen (IGS) unter dem Motto „Vamos Marbach“, am Marktbrunnen brasilianische Lebensfreude verbreiten. Mit 20 Minuten Verspätung taucht ein buntes Häufchen auf: die lautstarken Trommelkünstler von BeoBeo und vier Tänzerinnen, die ihre Schaltücher fest um die Schultern geschlungen haben. Auf die Tücher können sie bald verzichten. Die flinken Schrittfolgen, die die Mulatos Marvilhosas aufs Pflaster zaubern, heizen ihnen ein. Einige Wagemutige im Publikum wippen und klatschen mit. „Super, ihr könnt mitmachen, wir stellen euch ein“, lobt der Cheftrommler.

Schrille Schreie ertönen auf der anderen Seite des Torturms. Wird da jemand überfallen? Nein, aber Kinder und Erwachsene können auf dem Lugplätzle neben dem Hörzentrum testen, wie laut sie schreien können. 80 Dezibel für mindestens drei Sekunden waren vorgegeben und werden locker überschritten. Auf sage und schreibe 128 Dezibel bringt es die kleine Anna gleich beim ersten Versuch. Das ist der Lärm, den zwei Düsenjäger beim Start produzieren . . . Respekt für die, die das den ganzen Nachmittag über aushalten. Bleibt nur zu hoffen, dass dem Fotografen, der den Moment des Urschreis bildlich festhält, nicht vor Schreck der Finger vom Auslöser rutscht. Die lautesten Schreihälse erhalten einen Sonderpreis. Anna hat gute Chancen.

In der Güntterstraße bietet Adelaide de Jesus brasilianisches Fingerfood an. Die frittierten Salgados sind Hähnchenkroketten, Hackfleischbällchen oder mit Käse gefüllte Kroketten und duften verführerisch. „Schmeckt’s?“, fragt die Köchin ein älteres Ehepaar. „Ja, prima!“ Sie nicken, während der Käse lange Fäden zieht.

Vor dem Teeladen in der Marktstraße steht ein Mann mit karierter Schildmütze, in langem schwarzem Gehrock, Rüschenhemd und hohen Stiefeln und lädt zu verschiedenen flüssigen und cremigen Kostproben ein. „Ich trage einen original englischen Anzug von 1795“, erklärt Johannes Botz. „Wenn wir schon in einem historischen Städtchen sind, müssen wir auch Kostüme tragen“, findet der gebürtige Rheinländer. Er und seine Frau Silvia Reuschlen, die in weißer Rüschenbluse und langem schwarzen Rock frische Salate anbietet, kostümieren sich gern, wenn der Anlass passt. Das einzige Problem dabei: „Früher waren die Männer kleiner und dünner“, schmunzelt Botz. „Mein Anzug hat vermutlich einem Schmied gehört, deshalb passe auch ich da rein.“ Auch die Optiker nebenan haben sich verkleidet. Sie setzen, passend zu den brasilianischen Cocktails, die sie anbieten, auf Strohhüte, dunkle Sonnenbrillen, schwarze Hemden und weiße Krawatten.

Inzwischen geht es auf 14 Uhr zu. So langsam beginnt der brasilianische Sänger und Komponist Renato Pantera seine Musikanlage und Instrumente aufzubauen. Bei der Ruhe, die er dabei ausstrahlt, sollte man kaum glauben, dass sein Auftritt eigentlich schon eine Stunde zuvor sein sollte. In Brasilien ticken die Uhren offenbar wirklich anders. Oder sollte er sich etwa an der großen Uhr auf dem Marktplatz orientiert haben? Die zeigt schon seit Stunden hartnäckig auf 10.25 Uhr. Inzwischen taucht schon die nächste Samba-Gruppe unter lauten Trommelklängen auf. Schadet nichts, Renato Pantera hat ja Zeit. Auf seiner knallgelben Tasche steht übrigens in großen Lettern: „Ich komme schneller, als du denkst.“

Brenda Bobke, Marbacherin mit brasilianischen Wurzeln, hat zum Samba-Workshop in das Backstage Ballett-Atelier Boos eingeladen. Vier Frauen sind der Einladung gefolgt, aus erster Hand Sambaschritte zu lernen – gegen eine Spende an den Marbacher Verein Stückchen Himmel, der sich um Kinder aus dem Armenviertel der brasilianischen Großstadt Aracaju kümmert. Nach einer Einführung über die Entwicklung des Sambas in Brasilien geht es im Tanzstudio mit einem Samba Reggae gleich zur Sache. „Ich habe bis heute nicht verstanden, warum das Samba Reggae heißt“, sagt die Tanzlehrerin und Fitnesstrainerin. „Darin ist null Reggae.“ Sie tanzt mit dem Rücken zu den Workshop-Teilnehmerinnen vor, die vier machen es ihr flink nach. Ein paar Schritte vor, ein paar zurück, ein Hüftschwung, leicht in die Hocke gehen und mit dem Popo wackeln – das gibt nicht nur Muskelkater in Waden und Oberschenkeln, sondern man versteht auch, warum Sambatänzerinnen solch eine tolle Figur haben.

Weit außerhalb des bunten Treibens in der Einkaufszone liegt die Alexanderkirche, doch sie ist trotzdem mittendrin an diesem Tag. Bei der Alexanderkirchen-Rallye für Kinder und Erwachsene gibt es 16 knifflige Aufgaben zu lösen, beispielsweise: „Wie viele Orgelpfeifen siehst du, und wie viele gibt es wirklich?“ oder „Was könnte sich hinter der Tür mit den beiden Engeln am oberen Türrahmen verbergen?“. Wer nicht alle Fragen lösen konnte, ist eingeladen, an einer der nächsten Familienführungen durch die Kirche teilzunehmen.