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Der Angeklagte bricht sein Schweigen und gibt an, aus Notwehr gehandelt zu haben.

Marbach - Der zweite Verhandlungstag der achten großen Strafkammer am Landgericht Heilbronn im Prozess um eine Straftat, die sich am 12. Dezember 2017 auf dem Lidl-Parkplatz zugetragen hat, begann gestern mit einer Aussage des Angeklagten. Zusammen mit seinem Verteidiger zeigte der türkischstämmige 32-Jährige aus Erdmannhausen seine Sicht der Geschehnisse auf. Vom Opfer, einem 34-jährigen Russlanddeutschen, sei er zum Treffpunkt auf den Parkplatz gelockt worden. Er habe befürchtet, dass es nur ein Vorwand wäre und eigentlich das Bistro seines Bruders hätte überfallen werden sollen. „Komme her, sonst stürme ich mit den Pattonville-Russen deinen Laden“, habe das Opfer ihm am Telefon gedroht. Gemeint habe er den Laden des Bruders, vor dem es einen Monat vor der Tat bereits eine Schlägerei gegeben hatte, in die das Opfer involviert war.

Ein Vorwand war es jedoch nicht, denn der Russlanddeutsche erschien und soll mit einem langen Starkstromkabel mit einem Kupfersdraht im Inneren und einem Messer bewaffnet gewesen sein. Der Angeklagte habe die Angelegenheit friedlich mit Worten klären wollen, doch sein Widersacher sei alkoholisiert und aggressiv immer weiter auf ihn zukommen. Um sich zu verteidigen, habe er die Gaspistole gezogen, die er bei sich führte. Diese habe er in der Stuttgarter Innenstadt in einem Waffenladen erworben. Mit ihr schoss er dem Angreifer ins Gesicht und verletzte ihn schwer am Auge. Mit einem Schlagstock habe er ihn in die Kniekehlen geschlagen und zu Boden gedrückt, um ihn zu fixieren. Der am Boden Liegende habe sich übergeben, daher habe er ihn ein Stück zur Seite geschoben. Er habe seinen Bruder benachrichtigt, der am Tatort mit einem Mann mit kroatischem Hintergrund erschien. Sie tasteten den Russlanddeutschen ab, um sicherzustellen, dass er keine weiteren Waffen bei sich hatte. Geld hätten sie ihm nicht entwendet, was dem Vorwurf des schweren Raubes, den die Staatsanwaltschaft erhebt, entgegensteht.

Anschließend hätten sie dem körperlich Geschädigten Wasser zum Auswaschen seiner Augen gegeben und beobachtet, wie er zum Taxistand ging. Ob sein Verhalten angemessen gewesen sei, wollte der Angeklagte vom Richter wissen. Dieser entgegnete, dass man sich bei Gefahr verteidigen dürfe. Falls der Angeklagte die Wahrheit sage und in eine Falle gelockt wurde, hätte er aus Notwehr gehandelt und wäre unschuldig. Aus taktischen Gründen habe sich die Verteidigung am ersten Verhandlungstag zurückgehalten mit einer entlastenden Aussage. Froh war sie, dass der Geschädigte anführte, mit einem Messer und einem Kabel bewaffnet gewesen zu sein. Warum nicht in Richtung einer Bewaffnung des Nebenklägers seitens der Polizei ermittelt wurde, musste sich ein Kriminalkommissar des Polizeipräsidiums in Ludwigsburg fragen lassen, der als Zeuge geladen war. Eine Antwort auf solch eine Frage zu bekommen, schien dem Polizisten aussichtslos, da auch der Hintergrund der Streitigkeiten unklar blieb. Das Opfer gibt an, dass der Streit im November der Auslöser war, der Angeklagte sagte gestern jedoch, er wüsste es nicht. Er gab an, dass es sich um einen Disput wegen eines Geschäftes gehandelt haben könnte, dass der Russlanddeutsche ihm vorschlug. Es habe sich um Gold, weitere Schmuckgegenstände und Fitnessgeräte gehandelt, die der Angeklagte an kroatischstämmige Kunden vermitteln sollte.

Ob die Variante des Nebenklägers oder die des Opfers wahr ist, muss der Richter nun prüfen. Ebenso eine beantragte Freilassung des Angeklagten aus der Untersuchungshaft. Da ein weiterer Ermittlungstatbestand in Stuttgart anhängig ist, konnte darüber unter anderem nicht entschieden werden. Prozesskostenhilfe für das Adhäsionsverfahren wurde beiden Seiten genehmigt. Am nächsten Prozesstag, am 19. September, möchte der Richter nun den Bruder des Angeklagten, dessen kroatischstämmigen Bekannten, den zuerst befragenden Polizisten und den zuerst kontaktierten Rechtsanwalt des Angeklagten hören.