Foto: geschichtenfotograf.de/Phillip Weingand

Ein Besuch in der Villa Klitzeklein. Sie ist die erste Kita in der Region gewesen. Doch auch sie muss mit der Zeit gehen.

Wenn Azime Kilic das Rolltor öffnet, müssen alle ganz still sein. Gebannt schauen 20 kleine Augen zu, wie die Kita-Leiterin den Schlüssel umdreht. Dann fährt das Rollo hoch und gibt den Blick frei auf das Spielzimmer. Dort tobt kurz darauf das Leben: Manche klettern auf die kleine Rutsche, andere rollen als Rennfahrer durch die Gegend oder verarzten Puppen – alles unter der Aufsicht von Kilic und ihren Kolleginnen. Zwölf Elternpaare vertrauen ihnen regelmäßig ihre Schützlinge an.

Seit August 2013 gibt es in Deutschland einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Vor 40 Jahren sah es nicht so aus, als ob es je so weit kommen würde. Damals richteten Ehrenamtliche von der Arbeitsgemeinschaft Marbacher Frauen (AMF) einen wöchentlichen Spielnachmittag ein, damit Mütter in Ruhe einkaufen oder zum Friseur gehen konnten. Nach dem Tod der Leiterin gab es das Angebot eine Zeit lang nicht mehr, doch Annemarie Keppler, Frau des damaligen Bürgermeisters, rief die Spielstube im ehemaligen Beginenhaus in der Unteren Holdergasse wieder ins Leben. Allmählich entwickelte sich mehr daraus. „Viele Mütter hatten schon damals eine Arbeit angenommen. Sie brauchten für die Kinderbetreuung etwas Regelmäßigeres, und das war mit ehrenamtlicher Arbeit nicht zu schaffen“, erinnert sich Keppler.

Damit betrat sie Neuland. Ringsum habe es damals noch keine Kindertagesstätte gegeben – „in Gerlingen war, glaube ich, die nächste“, sagt Keppler. Entsprechend kritisch sahen viele in Marbach ihren Plan, eine richtige Kita einzurichten. Die Verantwortlichen beim evangelischen Kindergarten fürchteten, ihnen könnten dadurch Kinder fehlen. Und viele ältere Damen der AMF hielten es grundsätzlich für schädlich, ein- bis dreijährige Kinder wegzugeben. „Die musste ich überzeugen, dass viele Mütter auf den Zuverdienst angewiesen sind. Und, dass es manchen Kindern vielleicht auch gut tut, einmal ein anderes Klima zu erleben als das Zuhause.“ Keppler und ihre Mitstreiterinnen hatten Erfolg: Der Gemeinderat schenkte ihnen sein Vertrauen – und Marbach bekam 1989 mit der AMF-Kinderspielstube seine erste Kindertagesstätte für Kleinkinder. Sie wuchs rasch, sodass sie 1991 in die Steinerstraße umzog. Seit knapp zehn Jahren trägt sie den Namen Villa Klitzeklein.

Seit ihrer Gründung, besonders in den Jahren nach 2010, hat sich in Sachen Kleinkindbetreuung einiges geändert. In der Schillerstadt entstanden bis heute drei weitere Einrichtungen, zusammen haben die Kitas 80 Plätze für Kleinkinder. Außerdem bieten etwa 30 Tagesmütter ihre Dienste an. Ab September gibt es zudem zehn U3-Plätze im Pestalozzi-Kindergarten im Hörnle.

Das macht sich auch bei den Anmeldezahlen der Villa Klitzeklein bemerkbar. „Früher hatten wir 30 Plätze und waren voll besetzt“, erinnert sich die AMF-Vorsitzende Claudia Sieck. Heute sind nur noch halb so viele Plätze, von denen drei erst in den kommenden Monaten wieder belegt werden. „Das ist aber auch ein Vorteil“, findet Kita-Leiterin Azime Kilic. „Dann können sich die Kinder auch einmal in Ruhe zurückziehen. So ein ganzer Tag hier ist für sie schließlich fast wie ein Arbeitstag.“ Keine Kita müsse außerdem fürchten, ganz ohne Kinder dazustehen: Regelmäßig planen alle Einrichtungen gemeinsam mit der Stadtverwaltung, wie die angemeldeten Kleinen verteilt werden.

Während Kilic und ihre Mitarbeiterinnen den Kindern beim Spielen zusehen, dringt das Geräusch einer Stichsäge aus dem Nebenraum. Im Bad wird noch gearbeitet. Denn an der altehrwürdigen Villa Klitzeklein ging die Zeit nicht spurlos vorbei. „Vieles war nicht mehr zeitgemäß. Die Einrichtung war zusammengewürfelt, viele Spielsachen nicht unbedingt kindgerecht“, sagt Claudia Sieck. Die alte Spielebene etwa hätten die Kinder nur unter strenger Aufsicht betreten dürfen. So etwas schlug sich auch im Ansehen der Kita nieder.

Doch seit dem Beginn der Sommerferien ist viel passiert. Die Stadt hat Fassade und Garten des Hauses an der Steinerstraße richten lassen, innen sind die Wände frisch gestrichen und die Kleinen turnen mit neuen Spielsachen auf einer flacheren Spielebene herum. Die Kita-Mitarbeiterinnen bereiten das tägliche Frühstück in einer nagelneuen Küche zu. Fünf Tage pro Woche, für bis zu drei Jahre lang, sind sie fast wie eine Familie für die Kleinen. Dann geht es weiter in den Kindergarten. Doch für manche von ihnen schließt sich der Kreis und sie kommen wieder – zum Beispiel fürs Schulpraktikum.