Dass an Dieselfahrverboten nur „Brüssel“ schuld ist, „Berlin“ oder „das Rathaus“ – das ist ein bisschen kurz gesprungen. Foto: MZ

Dieselfahrverbote sind ein Symptom. Schuld am Verkehrskollaps sind Politiker und Wähler, also: wir alle!

Marbach/Bottwartal - Teil 2 des Films „Zurück in die Zukunft“ hat mich 1989 im Ludwigsburger Kino Central mit auf eine Reise ins Jahr 2015 genommen. Wie sich die Regisseure damals die Zukunft ausmalten, faszinierte nicht nur mich: Bei Filmfamilie McFly gibt es biometrische Sicherheitssysteme zur Türöffnung, vor allem aber vor der Türe: fliegende Autos! Die schwirren im Film hoch über den Straßen, die den Fußgängern gehören. Was für eine herrliche Vision!

Der Abgleich dieser Fantasie mit der Realität des Verkehrs heute in Stuttgart und Region bringt uns ziemlich unsanft auf den Boden zurück. Die Blechlawine, darunter viele Brummis mit Kennzeichen aus aller Herren Länder, quält sich im Dauerstau über A 8 und A 81, um dann auszuweichen über Land, etwa durch Affalterbach und Marbach. Jetzt kommen also wahrscheinlich Dieselfahrverbote, die niemand will. Warum hat das keiner verhindert? Die Kommentare auf Facebook unter Artikeln zu Luftreinhalteplänen für Marbach und Steinheim sprechen eine klare Sprache: Die EU sei verantwortlich mit ihren total übertriebenen Grenzwerten! Die Messungen sind manipuliert! Stuss sei die ganze Berichterstattung. Vor der Aufklärung hat man die Überbringer schlechter Nachrichten ja auch gerne geköpft.

Einer schreibt: „Da zahlt man Kfz-Steuer und darf nicht mehr auf die Straße.“ Das klingt nach „Freie Fahrt für freie Bürger“, legt den Finger aber durchaus in die Wunde. Die zuständigen Politiker haben es versäumt, die Einhaltung der gültigen Grenzwerte zur Schadstoffbelastung zu gewährleisten. Dass daran nur „Brüssel“ schuld ist, „Berlin“ oder „das Rathaus“ – das ist ein bisschen kurz gesprungen. Die dortigen Politiker sind alle gewählt. Und wir, die Wähler, haben uns in der Vergangenheit offenbar zu wenig darum geschert, den Verkehr von der Straße zu bringen oder bei der Autoindustrie schadstoffarmere Autos nachzufragen. Stattdessen bestellen wir fröhlich bei Amazon, die Pakete in großen Lkws ankarren, von Paketboten in (Diesel-)Lieferwagen bis vors Haus. Wenn wir nicht auf fliegende Autos warten wollen für eine lebenswertere Umgebung, müssen wir jetzt Industrie und Politik in die Pflicht nehmen für modernere Autos, intelligenteren Nahverkehr, neue Mobilitätslösungen. Vor allem müssen wir aber aufhören, nur Sündenböcke zu suchen. Fangen wir lieber bei uns an, hinterfragen wir tägliche Gewohnheiten darauf, ob sie mit unseren Vorstellungen von lebenswerten Städten und Dörfern übereinstimmen können.