Beim Vielseitigkeitsturnier in Kirchberg. Foto: geschichtenfotograf.de

Das Vielseitigkeitsturnier der Pferdefreunde Obertorhöfe ist über die Landesgrenzen hinaus bekannt – und für die Teilnehmer auch nicht ungefährlich.

Kirchberg - Ein Sprung, und das Hindernis 6a, die Elefantenrolle, ist überwunden. Celine Geissler spornt ihren Oldenburger-Wallach „C’est le Beau“ an. Schon in wenigen Metern wartet Hindernis 6a, der Wassergraben. Der Braune stößt sich ab, ein gewaltiger Satz. Doch bei der Landung knickt er mit den Vorderläufen ein.

Reiterin und Pferd verschwinden in einer Wolke aus Wasser und Matsch. Ein Raunen geht durch die Zuschauer, die Sanitäter sind bereit loszusprinten. Doch Geissler erhebt sich triefnass, aber unverletzt aus der braunen Brühe. Ihr Nackenschutz hat ausgelöst und sie wohl vor Schlimmerem bewahrt. Trotzdem spricht aus ihrem Gesicht Enttäuschung, denn der Sturz bedeutet das Aus.

Seit 17 Jahren veranstalten die Pferdefreunde Obertorhöfe im Murrtal unterhalb von Kirchberg ihr Vielseitigkeitsturnier. Zwischen Flüchtlingsunterkunft und Gewerbegebiet parkt ein teurer SUV mit Anhänger am anderen. Das Event ist über die Landesgrenzen hinaus bekannt, der Olympiasieger Michael Jung ist schon mitgeritten, in diesem Jahr sind immerhin einige Olympiateilnehmer und -sieger der Junioren und jungen Reiter dabei.

In diesem Jahr haben Mensch und Tier mit erschwerten Bedingungen zu kämpfen: Schon am Mittwoch, bei den Stilgeländeritten und den Geländepferdeprüfungen, gießt es in Strömen. „Ist doch eigentlich bestes Reitwetter“, scherzt der Pferdefreunde-Chef Herbert Adelhelm, als er in die graue Wolkensuppe über sich blickt. Er hat viel zu tun, an seiner Brust quäkt aufgeregt ein Walkie-Talkie. Die Wiesen, auf denen die Teilprüfungen Dressur-, Spring- und Geländereiten ausgetragen werden, verwandeln sich zusehends in ein Meer aus Matsch. Das Teilnehmerfeld, das am Samstag noch bei Dressur und Springen an den Start gegangen ist, lichtet sich. Viele Reiter trauen sich die Geländeprüfung durch den Matsch nicht zu, beim Highlight, der Teilprüfung Gelände L, gehen gerade einmal 15 von 43 Sportlern mit ihren Tieren an den Start. „Wir haben den Parcours gestern Abend noch komplett umgebaut“, sagt Gerd Haiber aus Burladingen, der für den Aufbau der Hindernisse verantwortlich ist. Die gefährlichsten Sprünge sind entschärft, Adelhelm und seine Leute fahren unentwegt Kies auf das Geläuf.

Trotzdem sieht die Strecke aus wie ein Schlachtfeld anno 1917. Passt eigentlich. Von 1912 bis zum Jahr 2000 war die olympische Sportart als „Military-Reiten“ bekannt. Sie entstand aus dem Ausbildungsprogramm der Kavallerie. Die Pferde, die dabei am erfolgreichsten abschnitten, wurden zur Zucht auserkoren. Die Champions sollten alle Eigenschaften mitbringen, die im Kampf über Leben und Tod entscheiden konnten. Das Militär wünschte sich tierische Kriegsmaschinen, zähe Langstreckenläufer, die Hindernisse schnellstmöglich überwinden konnten. Und blind gehorchten, selbst wenn das den eigenen Tod bedeuten konnte.

„Vom Begriff Military wollen wir deswegen seit längerer Zeit weg“, erklärt Rüdiger Rau, der als Technischer Delegierter für den Ablauf des Turniers mitverantwortlich ist. Die Military-Disziplin hat sich im Lauf eines guten Jahrhunderts von der Offiziersdomäne zur zivilen Sportart gewandelt. Nachdem bei den Olympischen Spielen 2000 jeder vierte Reiter im Gelände gestürzt war, gab es ein Umdenken. Seitdem firmiert der Sport mit entschärften Regeln als Vielseitigkeit. Der Tod sitzt trotzdem manchmal mit im Sattel: Vor zwei Jahren etwa verunglückte ein Vielseitigkeitstalent aus Nordrhein-Westfalen bei einem Wettkampf in Niedersachsen tödlich, im März überlebten in Australien eine Reiterin und ihr Pferd einen Sturz nicht. „Solche Unfälle passieren aber eher bei den noch schwereren Prüfungen“, beruhigt Rau.

Die Hindernisse in Kirchberg sind dennoch nicht ohne. Der Absprung mit anschließendem Steilhang, direkt neben dem Hochstand der Richter, flößt besonders jüngeren Reitern Respekt ein. „Das ist doch lebensmüde“, meint eine Zuschauerin, als ein Mädchen über den Abhang an ihr vorbeidonnert. „Ich reite selbst, aber Dressur. So etwas würde ich nie machen.“

Die 23-jährige Lokalmatadorin Lara Adelhelm betreibt den Sport schon seit zehn Jahren. „Vielleicht ist ja gerade die Gefahr der Reiz daran“, meint sie, als sie am Mittwoch durchnässt vom Regen ihre achtjährige Stute Freestyle Blues in den Hänger verlädt. Für den Technischen Delegierten Rüdiger Rau ist die Vielseitigkeit gar die Königsdisziplin des Reitens: „Pferd und Reiter müssen in allen drei Disziplinen gut sein. Und am Schluss gewinnt der vielseitigste Reiter.“

In der Klasse L ist das diesmal Katja Wolf, da die sicher geglaubte Favoritin Eva Terpeluk nach zwei Verweigerungen vor der Elefantenrolle aufgibt. Sie ist nicht die einzige – doch im nächsten Jahr sind die Karten wieder neu gemischt. Hoffentlich ohne den Schlamm.