Hier sind 13 Kriegsgefangene aus Russland und der Ukraine beerdigt. Foto: geschichtenfotograf

Vor 70 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Doch Spuren des Dritten Reiches sind noch heute zu sehen. Der Kirchberger Heinz Renz hat recherchiert, was sich in den letzten Kriegsmonaten zugetragen hat.

Bottwartal - Kaum ein Spaziergänger beachtet die verwitterte Steinplatte neben der Alten Kleinbottwarer Straße am Rand von Steinheim. Doch sie erzählt von einem tragischen Schicksal: Während im April 1945 deutsche Truppen versuchen, die von Heilbronn aus vorrückenden Amerikaner aufzuhalten, erfährt der Wehrmachtssoldat Erwin Kreetz vom Tod seiner Frau. Verzweifelt zieht der vierfache Vater Zivilkleidung an und will sich absetzen. Doch im Kleinbottwarer Steinbruch greifen Soldaten ihn auf und richten ihn als Deserteur hin. Seit 1989 erinnert der Gedenkstein an Kreetz – und die Tage, an denen der Krieg im Bottwartal zu Ende ging.

Das Bewahren von Erinnerungen war auch das Ziel des Kirchberger Grafikers Heinz Renz. Im Jahr 2006 hat er in dem Buch „D’r Ami kommt!“ Erinnerungen von Zeitzeugen zusammentragen. Rund 180 Seiten sind Zeugnis davon, wie das Dritte Reich sich auf das Leben der Menschen in Kirchberg und Umgebung auswirkte und es schließlich wieder zusammenbrach.

Eine kurze Zeit lang scheint der Krieg damals noch fern, der deutsche Sieg nahe. Von 1940 an leben Kriegsgefangene in Kirchberg, zunächst Franzosen, später auch Polen und Russen. Sie werden laut Renz‘ Recherchen recht gut behandelt, abgesehen von einer Schussverletzung nach einem vermeintlichen Fluchtversuch.

Die Nationalsozialisten geben sich Mühe, schlechte Nachrichten von der Front zu verschweigen und ihre Propaganda unters Volk zu bringen; in Marbach muss dafür sogar der berühmteste Sohn der Stadt herhalten. Die Volontärin der Marbacher Zeitung, Fenja Sommer, hat sich im Rahmen ihrer Dissertation mit dem Schillerkult im Dritten Reich beschäftigt. „Als die Nationalsozialisten 1934 das Kriegerdenkmal am Torturm einweihten, übernahmen sie ein Zitat aus Schillers Jungfrau von Orleans, das im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung eine andere Bedeutung erhielt“, erklärt Sommer. Auch die jährlichen Schillerfeiern wurden für NS-Propagandazwecke missbraucht.

Schon bald kommt der Krieg damals immer näher – zunächst aus der Luft. Schon im September 1940 fliegt die britische Luftwaffe einen Angriff auf Großbottwar, bei dem ein Mensch ums Leben kommt. In den folgenden Jahren stürzen nachts immer wieder getroffene Bomber im Bottwartal und der Umgebung ab – etwa im März 1943, als ein deutscher Nachtjäger über Mundelsheim eine britische Halifax abschießt.

Doch der Krieg tobt nicht nur zwischen Soldaten unterschiedlicher Nationen. Ein damals zwölfjähriger Zeitzeuge beobachtet im Jahr 1944 immer wieder eigenartige Gefangenentransporte, die in Güterwaggons Richtung Backnang unterwegs sind. „Hinter den Seitenluken kann man dunkle Gesichter mit Hilfe heischenden Augen erkennen“, schreibt er in Renz’ Buch. Er berichtet von Rufen in einer fremden Sprache, die aus den Zügen dringen. Eines Tages wirft ihm ein Gefangener einen Zettel zu – wohl ein letzter Brief. Er erreicht seine Empfänger nie, denn aus Angst vernichtet der Junge das Papier.

Nicht nur Menschen aus weiter Ferne fallen dem Rassenwahn zum Opfer. In Kirchberg trifft es die erst vierjährige Tilly Baier. Das geistig schwer behinderte Mädchen ist mit seiner Mutter aus Karlsruhe evakuiert worden. Die Kirchberger Gastfamilie veranlasst, dass das Mädchen in eine Anstalt nach Stetten im Remstal gebracht wird – von dort aus bringen die berüchtigten grauen Busse Tilly am 18. September 1940 in die „Landespflegeanstalt“ nach Grafeneck. Das Mädchen wird dort vermutlich noch am selben Tag getötet. Die meisten Opfer der NS-Rassenpolitik aus der Gegend müssen wie Tilly im Rahmen der Euthanasie sterben. Mindestens zwei weitere Kirchberger, die gebürtige Marbacherin Pauline Stiegler sowie drei Menschen aus Erdmannhausen trifft dieses Schicksal. Aber auch politische Gegner lässt das NS-Regime aus dem Weg räumen. Ein Sozialdemokrat und vermutlich auch Kommunisten aus Marbach werden ins Konzentrationslager Heuberg gebracht.

Derweil rücken die alliierten Bodentruppen immer weiter vor – von Norden die Amerikaner, auf der westlichen Seite des Neckars die Franzosen. Nachdem Heilbronn in amerikanische Hände gefallen ist, tobt Mitte April der Kampf um Beilstein. Nachdem die Stadt am 19. April erobert wird, verstreut sich die deutsche Wehrmacht weitgehend. Der US-Armee setzt sie auf ihrem Weg über Kirchberg kaum Widerstand entgegen. Gesprengte Brücken wie das Eisenbahnviadukt in Marbach können die Alliierten nicht lange aufhalten. Am 21. April erreicht eine US-Kolonne Kirchberg, der stellvertretende Bürgermeister Karl Layher übergibt den Ort kampflos. Für die Kinder im Ort endet der Krieg mit Schokoladestückchen, die GIs genehmigen sich Most – nachdem ein Einheimischer vorgekostet hat.

Die Zeitzeugen des Krieges werden immer seltener. Jedes Jahr macht Heinz Renz Kreuze neben einige Namen auf den letzten Seiten seines Buchs. Doch wer genau hinsieht, kann immer noch Spuren der NS-Zeit entdecken. Etwa die verblassenden weißen Pfeile, die am Kirchberger Bahnhof auf den Luftschutzkeller hinwiesen. Die Gräber im Pleidelsheimer Wald, in denen Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter liegen. Oder eben Gedenksteine wie der für den verzweifelten Deserteur Erwin Kreetz.