Verladung der Trambahn in Erdmannhausen für Kunden in China Foto: KS-Images.de

Die Firma AMF-Theaterbauten stellt eine historische Trambahn her, die in Nanchang ausgestellt wird.

Erdmannhausen - Aufgeregt tummelt sich eine Kinderschar vor dem Werkstor. Die Kleinen klatschen und feixen umher, während die Eltern neugierig Ausschau halten. Es hat sich in Erdmannhausen herumgesprochen, dass an diesem Donnerstag gegen 14  Uhr im Gewerbegebiet etwas Großes auf die Reise geht. Und tatsächlich – ein riesiger Kran wartet. Noch ist nicht zu erkennen, was er hochheben soll.

Nach einiger Zeit löst sich das Rätsel: Ein fünf Tonnen schweres Monsterpaket wartet darauf, verfrachtet zu werden. Die Eltern und ihre Kinder wissen schon: Es soll nach China geliefert werden. Die Rede ist auch von Köln, aber was steckt dahinter?

Die Geschichte beginnt in der Stadt am Rhein: In der Kölner City zirkuliert die Trambahn von TimeRide VR. Sie entführt Touristen mit Hilfe modernster virtueller Brillen in die Kölner Kaiserzeit von 1910. Damit die künstliche Erlebniswelt auch vom Gehirn als Realität empfunden wird, muss das Gefühl stimmen. Die richtige Kulisse muss her – nur so entsteht eine Erlebniswelt aus längst vergangenen Zeiten in Echtzeit. Und die Hersteller dieser über zehn Meter langen Erlebnistram befinden sich nicht etwa in Köln, sondern in Erdmannhausen.

Die Werkstatt von AMF-Theaterbauten liegt unscheinbar an der Robert-Bosch-Straße im Gewerbegebiet. Die Geschäftsführer Holger Herthnek und Tobias Rodinger haben sich mit Jonas Rothe, dem Gründer von TimeRide VR, zusammengetan. In einem Team mit 15 Mann überbrücken sie die zeitliche Kluft und bauen eine Trambahn aus dem frühen 20. Jahrhundert, die Fahrgäste auf eine virtuelle Zeitreise durch das alte „Cöln“ mitnimmt – und das erst seit Herbst vorigen Jahres.

Die VR-Brillen sorgen für authentische Bilder des früheren Stadtlebens, erklärt Holger Herthnek. „Man hört, man sieht, man fühlt – die Sinne werden auf allen Ebenen angesprochen.“ Das schaffe einen Berührungspunkt von Vergangenheit und Zukunft, der so manchen Gast nostalgisch werden lässt.

Vor einigen Monaten klopfte es dann erneut an Herthneks Tür. Eine identische Trambahn der Kölner Fußgängerzone ging in Bestellung: „China will sich ein Stück Europa ins Land holen“, erzählt Rodinger. Die selbst ernannten Paradiesvögel von AMF-Theaterbauten machten sich ein zweites Mal an das 200 000 Euro schwere Projekt, um auch die Menschen Nanchangs in die Kaiserzeit zu entführen. Drei Monate lang haben die 15  kreativen Köpfe von Schreinern, Elektronikern, Lackierern, Handwerkern und Bühnenmalern ihr Bestes gegeben, um erneut das zu schaffen, was ihnen schon mal gelang: die historische Cölner Trambahn.

Bei einem Projekt dieses Formats sollte ein Team an einem Strang ziehen. „Es muss menschlich oifach passe“, sagt Herthneck. „Mir send älle a bissle verrückt, deshalb harmoniere mir au bei der Arbeit so gut.“ Selbst wenn etwas mal schief gehe, halte die Kreativfamilie zusammen. Dies habe sie auch beim großen China-Projekt getan. Bereits am 20. August hätte das Riesenpaket nach Nanchang geschickt werden sollen, wären da nicht die sieben Zentimeter gewesen. Sieben Zentimeter zu viel an Höhe. Der Trambahn blieb an dem Tag der Zutritt zum Luftfrachtflugzeug leider verwehrt, also hieß es für Geschäftsführer und Team: Die Sieben muss weg. Eine große Ernüchterung für die Paradiesvögel, doch auch diese Hürde meisterten sie erfolgreich, sodass an diesem Donnerstag die Zeitreisemaschine endgültig bereit war.

Große Spannung also, als der riesige Wiesbauer-Kran mit seinen langen Armen die eingepackte Trambahn in die Höhe hievt. Dabei ist höchste Vorsicht geboten, sonst wären drei Monate harte Arbeit für die Katz. Das Risiko elektrisiert auch die Zuschauer, die sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen wollen. Schließlich reist Erdmannhausen ins weit entfernte China!

Ein paar starke Arme und einiges an gebündelter Konzentration später ist die Trambahn sicher auf dem Tieflader befestigt. „Das Baby isch verladen“, freut sich Holger Herthneck. Sein Geschäftspartner Tobias Rodinger will sein „Riesenbaby“ aber noch nicht loslassen, er wird ihm hinterher reisen in das etwa 8700 Kilometer entfernte Nanchang, um beim Aufbau dabei zu sein. Das nächste spannende Projekt erwartet die Kreativköpfe in Dresden.