Die Retter haben alle Hände voll zu tun. Foto: Phillip Weingand

Am Samstag hat es am Bahnhof eine Notfallübung gegeben. 28 Komparsen und 113 Helfer sind zum Einsatz gekommen.

Erdmannhausen - Noch ist alles gespenstisch still. Benommen blinzeln die beiden Autoinsassen durch die zersplitterte Frontscheibe der Sonne entgegen. Die Türen lassen sich nicht mehr öffnen, die beiden Männer sind schwer verletzt, haben Schmerzen. Sie zahlen einen hohen Preis für ihre Ungeduld: Gerade sind sie unerlaubt an den heruntergelassenen Halbschranken am Bahnübergang vorbeigefahren. Jetzt klemmt ihr Wagen mit Totalschaden zwischen der S-Bahn und der Bahnsteigkante. Nach viereinhalb Minuten, endlich: Der ersehnte Tritonus eines Martinshorns. Fahrgäste im Zug haben den Notruf gewählt. Ein Tanklöschfahrzeug der Feuerwehr Erdmannhausen braust heran, schon springen zwei Mann auf den zerstörten Wagen zu: „Können Sie mich hören, haben Sie Schmerzen?“

Zum Glück hat sich gestern am Erdmannhäuser Bahnhof kein richtiger Unfall ereignet, sondern eine Übung – aber eine sehr realistische. Die Opfer wählen den echten Notruf, die Retter kennen nur den Code: Hilfeleistung 3. Dieser Alarm wird ausgegeben, wenn ein Bus oder eine Bahn in einen Unfall verwickelt ist. Über Anzahl der Opfer, Art der Verletzungen oder Widrigkeiten wissen die Helfer nicht viel. Das gestellte Szenario ist schon oft genug vorgekommen: „Bahnübergänge sind immer ein Risiko“, erklärt Michael Glöckler, Pressesprecher der Bundespolizei. Laut einer Bahn-Studie seien bei 98 Prozent solcher Unfällen die Autofahrer schuld.Das öffentliche Interesse ist groß: Einige Meter weiter stehen interessierte Anwohner, die Presse – und die Erdmannhäuser Bürgermeisterin Birgit Hannemann– sichtlich stolz auf ihre nagelneue Einsatzjacke mit der Aufschrift „Bürgermeisterin“. Nicht nur sie schaut den Rettern auf die Finger: In schwarzweiß gestreiften Westen verfolgen offizielle Beobachter jeden Handgriff. „Ich notiere die Zeiten, zu denen die einzelnen Abteilungen ankommen“, erklärt Thomas Schmierer, stellvertretender Kommandant der Erdmannhäuser Feuerwehr.

Der Aufwand bei der Übung ist groß, 113  Einsatzkräfte packen an, um die 28  Komparsen zu versorgen. Die Retter holen Senioren, Paare und sogar Kinder aus der Bahn. Ein kleiner Junge bekommt im scheinbaren Durcheinander einen Plüsch-Elch als Trost – ein Geschenk des Roten Kreuzes. Neben den Feuerwehren aus Erdmannhausen, Affalterbach Marbach und Ludwigsburg sind nämlich auch die Bundespolizei, die Landespolizei und das Rote Kreuz (DRK) dabei. „Wir werden bei solchen Unfällen gleich mit alarmiert“, erklärt Ulrich Schroth, Feuerwehrkommandant aus Marbach. Einige Meter neben ihm klettern Bundespolizisten schnell in den Führerstand der S-Bahn. Der Zug hat dort alle wichtigen Daten wie Uhrzeit oder Geschwindigkeit elektronisch aufgezeichnet. Die Beamten erhoffen sich Erkenntnisse über den Unfallhergang. Ein Notfallmanager der Deutschen Bahn erteilt wichtige technische Auskünfte, denn der Zugführer ist nicht ansprechbar. Er kann den Helfern zum Beispiel nicht mehr sagen, ob und wie er den Zug nach dem Unfall gegen ein Wegrollen abgesichert hat. „Ziel der Übung ist es vor allem, das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Kräften bei einer Großschadenslage zu proben“, erklärt der Erdmannhäuser Kommandant Reiner Glock. Noch sei die Bahnstrecke im Ort gesperrt, wertvolle Erfahrungen wolle die Wehr schon sammeln, bevor wirklich etwas passiere. Die Retter müssen die Auto-Insassen freischneiden und per Rettungsbrett bergen, auch das Eindringen in eine S-Bahn will gelernt sein. Als die Tragen des DRK auf sich warten lassen, drohen die Zuginsassen in Panik zu geraten. Sie werden erst evakuiert, als alle versorgt werden können – Opfer sollen nicht auf sich gestellt den Zug verlassen.

Um 12.30 Uhr ist alles vorbei. Feuerwehrkommandant Glock ist mit der Übung jedenfalls zufrieden: „Natürlich gibt es an einigen Stellen noch Potenzial zur Verbesserung. Aber wir haben gezeigt, dass wir gut zusammenarbeiten.“ Alle Verletzten hätten das Unglück überlebt.