Die Kühe entscheiden selbst, mit welchen Artgenossen sie an welchem Ort im Stall fressen. Foto: Michael Raubold Photographie

Bei dem Kirchberger Landwirt Steffen Lederer entscheiden die Tiere selbst, wann sie gemolken werden.

Kirchberg - Ganz so jung ist der Morgen gegen 9  Uhr schon nicht mehr. Immer noch sind einzelne Kühe im Stall in den Kirchberger Obertorhöfen nicht gemolken. Steffen Lederer bleibt trotzdem ganz cool. Der Landwirt blickt in dem recht hellen 70  Meter langen und 36 Meter breiten Gebäude zufrieden auf seine 198 Kühe. Einige von ihnen stehen an den beiden Melkrobotern. Geduldig wartet jede einzelne, bis sie dran ist.

Alle acht bis neun Stunden will eine Kuh gemolken werden. Sie gibt jedes Mal zwischen 12 bis 15 Liter Milch, erklärt Lederer. „In den alten Ställen sind immer zwölf Tiere bei festen Melkzeiten angeschlossen worden – hier können sie selbst entscheiden, wann sie gemolken werden wollen.“

Was sich nach Anarchie anhört, wird wie von geheimer Hand überwacht. Jede Kuh trägt ein Halsband mit GPS-Empfänger und digitaler Datenübermittlung. Der Computer in Lederers Büro empfängt alle zehn Minuten den aktuellen Stand der Körpertemperatur, der Milchqualität und der Laktosewerte – über Mikrofon erfährt der Tierhalter sogar, wie etwas wiedergekaut wird. Big Bauer is watching you: Die Überwachung im Kuh-Stall 4.0 dient der möglichst effizienten Produktion, macht aber auch die Tierhaltung freundlicher, ist sich Steffen Lederer sicher: „Unsere Rinder sollen sich wohlfühlen – nur ein gesundes Tier bringt auch Leistung.“

Die Gesundheit hat in dem Stall mit dem Auslauf absoluten Vorrang. Alice, eine Kuh mit besonders großen dunklen Augen hat es sich auf dem 20 Zentimeter dicken Strohboden gemütlich gemacht. „Eine Kuh soll fressen oder liegen“, sagt Steffen Lederer. Eine Kuh döse eben gerne vor sich hin. Zu viel stehen zu müssen, stresse sie nur. Das Stroh vermindere die Verletzungsgefahr, wenn die Kühe in die Knie gehen.

Durchschnittlich acht bis zehn Jahre lebe ein Rind. Lederer ernährt seine Tiere gentechnikfrei, er verzichtet auf Soja und nimmt stattdessen mehr Raps und andere Eiweißträger. Da Kühe 40  bis 45  Kilo Frischmasse täglich fressen, spielten die Futterkosten eine große Rolle, vor allem, wenn der Milchpreis unter dem Druck der Supermärkte mal wieder sinke.

Steffen Lederer hält seine Kühe artgerecht. Die Temperatur im Stall reicht derzeit von minus fünf bis plus zehn Grad, was ideal für Rinder sei. Genügend Auslauf und Kontakt mit Regen erhalten die Tiere im 30  mal 15 Meter messenden Außenbereich.

Wellness pur sind für die Kühe Fellbürsten. Zu diesen aufgestellten borstigen Rollen trotten sie ganz eigenständig. An diesem Morgen haben aber nur wenige der 112 Milchkühe und 86 Jungtiere im Stall Bedarf. „Kühe sind sehr unterschiedlich, das ist wie beim Menschen“, erzählt der 24-jährige Landwirtschaftsmeister Lederer, der seit zwei Jahren die Verantwortung über den Stall und die Rinderzucht am elterlichen Hof hat. Die Holsteiner seien eine umgänglich Rasse, „nicht so stur wie andere“. Einige Kühe hielten sich eher an der Wand auf, wo es besonders ruhig sei. „Das hat auch etwas mit der Rangfolge in der Gruppe zu tun – die starken Tiere belegen immer die besten Plätze.“

Ein kleines Gerangel gibt es zwischen zwei Kühen am Melkroboter. „Sie machen unter sich aus, wer eher dran darf“, erklärt Steffen Lederer. Das komme aber eher selten vor. Trotzdem herrsche ein gewisser Andrang, auch weil die Kühe generell gerne gemolken werden. Doch der Roboter lässt sich nicht überlisten. Er schickt Tiere, die erst später melkreif sind, einfach weiter.

Wenig später tritt eine Kuh an den Roboter. Per Laser stellt die Maschine fest, wie sie die Euter am besten treffen kann. Vorher werden die Euter mit einer Bürste, hinterher die Melkbecher mit Heißluft gereinigt. Aus dessen Silikonhülsen strömt Ober- und Unterdruck, was die Handbewegungen ersetzt. „Alles ist total hygienisch“, versichert der Landwirt. Die Milch werde ständig untersucht, bevor der Tank alle zwei Tage mit seiner Menge von rund 6500  Litern Milch geleert und die Fracht zur Hohenloher Molkerei nach Schwäbisch Hall gelangt.

Manche Familien aus Kirchberg oder Rielingshausen kommen inzwischen auch zu Lederer an den Hof, um Rohmilch zu holen. „Das ist zwischen 6 und 22 Uhr eigentlich immer möglich“, sagt er, schließlich sei man so gut wie immer da. Lederers Lebensgefährtin Bianca Sinn kümmert sich um die Kälberaufzucht. Und auch die Eltern packen tatkräftig mit an.