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Vor fast 200 Jahren hat David Oehler in Marbach eine Gerberei gekauft. Noch heute wird Leder für Edelmarken dort produziert.

Marbach - Die Welt der Luxusprodukte scheint auf den ersten Blick weit weg zu sein von der Lederfabrik David Oehler, die unterhalb der Marbacher Stadtmauer steht. Besonders der Gebäudeteil aus den 70er-Jahren hat schon bessere Zeiten gesehen. Doch das Leder, das hinter der verwitterten grauen Fassade gegerbt wird, wird einmal zu Handtaschen und Schuhen, die teils mehrere tausend Euro kosten.

Die rohen Kuhhäute, die gerade aus Süddeutschland gekommen sind, sind davon noch weit entfernt. Weiß und glänzend sehen sie aus, weil noch Fett und Bindegewebe an ihnen haften. Als ein Mitarbeiter den Packen aufschneidet, verbreitet sich ein übler Geruch in der Halle. Daneben warten schon gewaltige, drehbare Gerbfässer. Jedes von ihnen fasst drei Tonnen Haut. Pro Tag verarbeitet Oehler rund 1500 Quadratmeter davon zu Leder.

Im Jahr 1823 wären solche Massen noch undenkbar gewesen. Damals bot eine Marbacher Gerberwitwe die Hütte und das Werkzeug ihres verschiedenen Mannes für 800 Gulden zum Verkauf an. Ein Schnäppchen – der junge Gerbermeister Christian David Oehler schlug zu. Doch bis sich die Investition für ihn lohnte, brauchte er einen langen Atem. Denn die Häute wurden monatelang mit Baumrinde und Kalk in einer feuchten Grube vergraben.

Die kleine Hütte wich einer Fabrik, die im Lauf der Jahre immer weiter wuchs. Heute, fünf Generationen später, geschieht das Gerben hier binnen eines knappen Tages mit Essigsäure, Natriumformiat und Chrom. Und natürlich mit viel Wasser: Gut 50 000 Liter entnimmt die Gerberei täglich aus einer Quelle direkt hinter dem Haus. Nach dem Gerben darf vor allem das Chrom aber nicht einfach in den Neckar gelangen, Oehler hat daher seine eigene Kläranlage. „Hier bekommen wir das Wasser zu etwa 80 Prozent sauber. Den Rest übernimmt das Klärwerk Häldenmühle“, erklärt der Geschäftsführer Uwe Oehler. An der Wand hinter ihm hängen die Bilder seiner Vorgänger: Schon immer war die Firma in Familienhand. Seit 1993 ist er an der Reihe.

Auf dem Edelholztisch vor Oehler liegen Hefte mit Farbmustern. Erst vergangene Woche war er in Mailand, die Hefte hatte er mit dabei. Auf einer Modemesse einigten sich Designer und Hersteller darüber, was ihre Kunden im nächsten Winter tragen sollen. „Im Frühjahr werden die Farben wieder kräftiger“, erklärt er. Und im Winter sei das Dunkelblau wieder im Kommen. Zumindest, wenn es nach Marken wie Gucci und Prada geht. Unter anderem für solche Luxuslabels, bei denen eine Damenhandtasche schon mal tausende Euro kosten kann, gerbt die Fabrik aus Marbach das Leder. „Ich selber würde mir eine solche Tasche nie kaufen“, sagt Oehler. Doch besonders reiche Asiatinnen tun das gern. „Dort sind Taschen ein echtes Statussymbol“, sagt Oehler – und das ist wohl der Grund, warum die Firma Oehler überlebt hat. Das war nicht immer einfach: In der Gerberbranche haben in den vergangenen hundert Jahren rund 90 Prozent der Betriebe aufgegeben.

Oehler hat derzeit etwa 40 Beschäftigte. „In den vergangenen 20 Jahren ist das Geschäft auch für uns schwieriger geworden“, sagt Oehler. Denn Lederschuhe sind heute schon vergleichsweise billig zu haben. Auf einen Preiskampf will Oehler sich aber nicht einlassen: „Das ist am Standort Deutschland nicht möglich. Es findet sich immer jemand, der preisgünstiger produziert.“ Wobei er dann, ist Oehler überzeugt, Abstriche bei der Qualität und den Materialien machen müsste.

Aber es ist nicht nur die Konkurrenz aus Fernost, die den Luxusschuhen von Oehler den Rang streitig macht. „Viele Menschen wissen nicht mehr, was ein guter Schuh ist“, sagt Oehler. Ein guter Schuh – für ihn muss der natürlich aus Leder sein. Innen wie außen. Das Naturmaterial faszinierte ihn schon immer. „Es ist dehnungsfähig, nimmt Schweiß auf und gibt ihn wieder ab. Ersatzprodukte können das nicht“, schwärmt er. „Und jede Haut müssen wir individuell bearbeiten. Auch heute noch.“

Wie das aussieht, sieht man einige Meter weiter im Fabrikgebäude. Wenn die Häute aus den hölzernen Gerbfässern kommen, hat das Chrom sie bläulich gefärbt. Dann geht es ans Schleifen, Färben, Trocknen, Walken und schließlich, wenn aus den rohen, glitschigen Häuten weiches, farbiges Veloursleder geworden ist, zur Kontrolle. Im Obergeschoss sind heute Mitarbeiter eines Kinderschuhherstellers dabei, die Lederstücke nach Qualität zu sortieren. Dann geht es für das Leder hinaus in die Welt. Im Erdgeschoss stehen schon Paletten zum Abtransport bereit. Bald wird ihr Inhalt an der Hand einer reichen Chinesin baumeln. Oder im Schaufenster einer Edelboutique Sehnsüchte bei Frauen wecken, die sich eine solche Tasche niemals leisten können.