Der Moment des späten Siegtreffers: Die treuen Fans sind nach einem Wechselbad der Gefühle aus dem Häuschen. Foto: Michael Raubold Photographie

Im Großbottwarer „Schlupfwinkel“ treffen sich die Mitglieder des VfB-Fanclubs „Red Schlupf“. SIe fiebern auch in der zweiten Liga kräftig mit.

Großbottwar - Weiß-rote Fanschals hängen von der Decke, ein Wimpel mit dem Wappen des VfB Stuttgart ziert die Wand, in der Luft liegt der Duft von frisch gezapftem Bier. In der urigen Kneipe „Schlupfwinkel“ inmitten der Großbottwarer Altstadt ist alles angerichtet für die neue Fußball-Saison. Rund 30 Fans sind gekommen, um hier gemeinsam auf zwei Bildschirmen den Zweitliga-Auftakt ihres Herzensvereins gegen den FC St. Pauli zu verfolgen. Die Kneipenbesucher sind jung und alt, Mann und Frau, manche behindert. Vor allem: Sie gehören dem Fanclub „Red Schlupf“ an und haben den roten Brustring, das Markenzeichen des VfB Stuttgart, einverleibt. Man duzt sich, man lacht zusammen, man lässt den Alltag Alltag sein.

Seit der Gründung des Großbottwarer Fanclubs im Jahr 2004 geht das hier so. Woche für Woche. Der Jubel über Erfolge wie die Meisterschaft 2007 oder die Teilnahme an der Champions League ließ das Fachwerk des ehrwürdigen Hauses vibrieren. Das ist lange her: Eine sportliche Talfahrt führte den VfB inzwischen in die zweite Liga. Doch ihrem Verein bleiben die Fans hier treu. Rund 20 Fanclub-Mitglieder sind gegen St. Pauli im Stadion, alle anderen fiebern im „Schlupfwinkel“ mit.

Dafür bedarf es einer Menge an Flexibilität, denn eigentlich hat die Gaststätte montags strikten Ruhetag. Für den VfB und seine Fans machen die Wirtsleute Birgit Messner-Lestrade und ihr Mann Russell Lestrade gegen St. Pauli und bei weiteren VfB-Montagsspielen aber eine Ausnahme. Man muss sich den Gegebenheiten eben anpassen. „Hier bleiben alle zusammen, egal in welcher Liga der VfB spielt“, sagt die Wirtin, die von allen Biggi genannt wird und seit 2000 im „Schlupfwinkel“ hinter der Theke steht. Eigentlich hält sie zum SC Freiburg, doch badisch-württembergische Konflikte gibt es hier nicht.

Einer der Fanclub-Mitglieder ist Martin Reuschle, der standesgemäß aus einem verzierten VfB-Krug trinkt und stets eine Schale mit scharfer Paprika vor sich hat. „Nervennahrung“, so sagt er. Je besser der VfB spielt, desto mehr Paprika isst er. Gegen St. Pauli bleibt die Schale lange unberührt. Erst vergibt der VfB eine Großchance, dann treffen die Hamburger zum 0:1 und zusätzlich den Pfosten. So hatte man sich das mit der Mission „Wiederaufstieg“ nicht vorgestellt. Der VfB wird doch nicht schon wieder verlieren? So mancher hadert. Es ist spürbar: Der Stachel nach dem Abstieg sitzt tief.

Die Blicke richten sich gebannt auf die Bildschirme. Als ein VfB-Spieler die Querlatte trifft, ertönt ein Aufschrei. Wieder nichts – das darf nicht wahr sein. Wie im Stadion werden die Stuttgarter lautstark angefeuert. „Renn, Junge!“ heißt es aus der einen Ecke. „Mach’ a Kischde jetzt!“ in breitem Schwäbisch aus der anderen. „Mund abputzen, weitermachen“, meint Dieter Bast, der am Tresen sitzt, sich als Berufsoptimist bezeichnet und entsprechend fest vom Wiederaufstieg überzeugt ist. „Wir sind abgestiegen, also steigen wir wieder auf“, sagt er. Auch als einstiger Handballer des TV Großbottwar habe er solche sportlichen Berg- und Talfahrten erlebt.

Und tatsächlich: Mit dem 1:1-Ausgleich in der zweiten Halbzeit brandet im „Schlupfwinkel“ Euphorie auf. Fans erheben sich von ihren Stühlen und Barhockern, gestikulieren in Richtung des Fernsehens, als seien sie Verkehrspolizist inmitten einer viel befahrenen Kreuzung. „Entweder wir gewinnen, oder die anderen verlieren“, verkündet ein Fan nun das Motto. Siehe da: Kurz vor Abpfiff gelingt dem VfB doch noch der herbeigesehnte Siegtreffer – und im „Schlupfwinkel“ hält es jetzt niemand mehr auf dem Sitz. Die Fans reißen die Arme nach oben, umarmen sich. Fußballherz, was willst du mehr? Auch Werner Weiß, Vorsitzender des Fanclubs, ist erleichtert. Schon den Aufstieg 1977 hat er als Bube miterlebt, für ihn als VfB-Fan bis heute „einer der schönsten Momente“.

42 Mitglieder zählt der Fanclub „Red Schlupf“, darunter auch manche aus den Theo-Lorch-Werkstätten. „Die sind alle super eingebunden“, sagt Weiß, der selbst Fertigungsleiter in der Behindertenwerkstatt ist. Auf dem Kinderstadtfest und dem Weihnachtsmarkt in Großbottwar ist der Club mit einem eigens errichteten Stand – gehalten in weiß und rot – regelmäßig vertreten. Immer wieder unternehmen die Mitglieder gemeinsame Auswärtsfahrten mit dem Zug. Dieses Jahr soll es in die Bundeshauptstadt zu Union Berlin gehen. Und wer im ICE die Geschwindigkeit des Zugs am schlechtesten einschätzt, der zahlt eine Runde. So will es die Tradition. „Wir haben sogar Dortmund-Fans bei uns mit dabei. Es ist alles erlaubt, außer Bayern-Fans“, schmunzelt Weiß.

Die Verbindung seines Fanclubs zum „Schlupfwinkel“ ist seit jeher gegeben, selbst der Name leitet sich von der Kneipe ab. Entsprechend fiebern die Fans auch heute Abend (20.30 Uhr) mit, wenn der VfB bei Fortuna Düsseldorf spielt. Auch Martin Reuschle sitzt dann wieder hinter einer Schale mit scharfer Paprika. Gegen St. Pauli leerte sich diese dank des Sieges noch ein wenig. Und so wird die Saison im „Schlupfwinkel“ für ihn, so hofft er, noch zu einer richtig scharfen Angelegenheit.