Der Saatguthersteller Hild hat seinen Sitz am Kirchenweinberg in Marbach. Foto: geschichtenfotograf

Seit fast 100 Jahren ist Hild auf Saatgut spezialisiert. Der Weg zur neuen Sorte dauert Jahre.

Marbach - Das Gebläse kämpft. 35 Grad Celsius herrschen draußen, auf der anderen Seite von Plexiglas und Fliegennetz. Doch in der feuchten Luft im Innern des Gewächshauses scheint die Hitze kaum erträglicher. „Heizen kann man ein Gewächshaus ohne Probleme“, erklärt Paul Rubitschek. „Kühlen aber nicht.“ Doch im Lauf der fast 100-jährigen Geschichte des Saatgutproduzenten Hild haben die Pflänzchen schon einige Wetterkapriolen überstanden.

Seit Karl Hild senior im Jahr 1919 einen Samenhandel gründete, ist viel passiert. Der einstige Rielingshäuser Familienbetrieb entwickelt und produziert heute auf 15 Hektar Freifläche und in Gewächshäusern von einem Hektar Saatgut. Derzeit bricht ein neues Kapitel in der Firmengeschichte an: Der 65-jährige Paul Rubitschek, seit 1989 an der Spitze von Hild, legt die Geschicke in die Hände von Michel ten Hacken. Mit dem Schwäbischen tut sich der gebürtige Holländer noch etwas schwer – zur Not springt in der Übergangsphase noch Rubitschek als Dolmetscher zur Seite.

Es geht zur Führung durchs Betriebsgelände. Überall hängen Schilder wie „Bitte Türe geschlossen halten!“. Die Pflänzchen sind sensibel. Kein Saatkorn darf in Kleidung oder Schuhsohle in ein Gewächshaus mit einer anderen Sorte gelangen. Und keine Insekten sollen fremde Pollen einschmuggeln.

Doch die Netze, die um viele Pflanzen und vor fast allen Türe und Fenstern hängen, haben noch einen weiteren Grund: Sie sollen ganz besondere Arbeiter an der Flucht hindern. Denn neben 80 Mitarbeitern und bis zu 16 Saisonkräften schaffen auch abertausende nicht-menschliche Kräfte für Hild. Zwischen den Reihen der Gurkenpflanzen summt es. „Wir bestäuben mit Hummeln und Fliegen“, erklärt Elisabeth Esch, sie ist verantwortlich für die Hild-Zucht. Bienen bräuchten mehr Pflege, sie müssten auch über den Winter gebracht werden. „Die Hummeln können wir vor dem Winter freilassen, sie suchen sich einen Unterschlupf und überleben. Wir kaufen im nächsten Jahr dann neue Hummelvölker“, erklärt Esch.

Manche Marbacher halten Hild für eine Art große Gärtnerei. Tatsächlich verkauft die Firma überhaupt keine Salatköpfe oder Zwiebelbünde: Ziel ist einzig die Produktion und Vertrieb von Saatgut. Ob Schnittlauch, Petersilie, Feldsalat, Rettiche oder Zuckermais: Hild verkauft die Samen zu 85 Prozent an Profis, die ihr fertiges Gemüse dann zum Beispiel an Discounter liefern. Die Kunden von Hild geben dem Saatgutlieferanten Zuchtziele. „Oft ist das ein guter Ertrag oder Haltbarkeit, meistens aber schönes Aussehen und Gleichmäßigkeit“, erklärt Paul Rubitschek.

Der Geschmack dagegen ist meistens zweitrangig. Ein wenig bedauert die Zuchtchefin Elisabeth Esch das: „Es wäre ja machbar, zum Beispiel eine robuste und obendrein schmackhafte Radieschensorte zu entwickeln“, erklärt Esch. Doch die Zucht wäre für den Kunden dann teurer und würde länger dauern. Noch länger.

Denn was hinter Glas und Plastik heranreift, ist die Arbeit von Jahren. Generation um Generation picken sich die Züchter Pflanzen mit den gewünschten Eigenschaften heraus. Dies kann bei zweijährigen Pflanzensorten bis zu 18 Jahren dauern. „Wir müssen im Prinzip schon jetzt wissen, welche Eigenschaften dann gefragt sein werden“, meint Rubitschek. Im Idealfall steht am Ende die Zulassung und der EU-Sortenschutz für eine neue Sorte. Für 25 Jahre lang darf dann nur der Entwickler sie gewerblich anbauen. Die Bohne „Neckarkönigin“, etwa ist schon doppelt so alt, aber immer noch beliebt bei Hobbygärtnern – die Resistenzen, die die neuen Sorten aufweisen, brauchen sie nicht unbedingt.

Bis die ersten Gemüsesorten, die unter der Regie des neuen Hild-Chefs Michel ten Hacken entstanden sind, auf den Feldern, in den Regalen und schließlich auf dem Teller landen, wird also einige Zeit vergehen. Und bis dahin klappt es vermutlich auch besser mit dem Schwäbisch.