Am Stammtisch der Gaststätte Butz hat 1976 alles begonnen. Jetzt ist hier die Vereinsgaststätte. Foto: geschichtenfotograf.de

Für die Carnevalsfreunde Murr hat eine kurze Kampagne begonnen. Die Freitagsreportage ist beim traditionellen Maskenabstauben am 6. Januar entstanden.

Murr - Die beiden jungen Männer, 20 und zwölf Jahre alt, würgen. Der Snack, den sie in ihren Händen halten, treibt ihnen Tränen in die Augen: Fladenbrot, gefüllt mit Wurst, Eierlikörsahne, Senf und einer speziellen, extrascharfen Gewürzmischung. Die Umstehenden johlen, zum Nachspülen gibt es Spezi mit Salz.

Solche gewöhnungsbedürftigen Mahlzeiten gehören zu einer Narrentaufe dazu. Kurz darauf liegt die ersehnte Maske eines Murr’mer Narren, auch Larve genannt, neben Lars Betzelberger auf dem Tisch. Der frisch gebackene Narr kommt aus Beilstein: „Ein Kumpel hatte mich gefragt, ob ich nicht mitmachen will“, erzählt er. Im vergangenen Jahr war er schon dabei, meinte aber: „Wenn ich schon mitmache, dann richtig“ – also mit Maske. Daher die Taufe, inklusive des Schwurs, das närrische Brauchtum zu pflegen, es mit dem Alkoholkonsum nicht zu übertreiben und die Satzung und Häsordnung zu befolgen.

Fasching kann nämlich eine ernste Sache sein. Ein Häs- und Maskenwart achtet nicht nur bei den Carnevalsfreunden Murr (CFM) darauf, dass die Aktiven im Einsatz korrekt gekleidet sind. Häs, schwarze Schuhe, weiße Handschuhe, Maske, Rätsche. Alles muss seine Ordnung haben. „Sonst fragen doch die Leute von anderen Vereinen, was ist denn bei euch los“, erklärt Sibylle Szüsz, Vizepräsidentin der Carnevalsfreunde. Auf ihrer Brust glänzt ein Orden: Der Hirsch am goldenen Vlies, die höchste Auszeichnung des Landesverbands Württembergischer Karnevalsvereine.

Wer ihn wie Sibylle Szüsz bekommen will, muss schon jahrelang aktiv sein, sich rechtzeitig beworben haben und noch ein paar andere Regeln einhalten. Dieser und andere Orden sind einst als Persiflage auf höfische und militärische Sitten entstanden – wichtig sind sie den Karnevalisten dennoch.

An den rot-weiß-gelben Häsern der Murr’mer Narren baumeln auch sogenannte Laufbänder. Der Landesverband gibt die Stoffbänder an alle Vereine aus, sie zeigen an, bei wie vielen Kampagnen ein Hästräger schon mitgelaufen ist. Beim jüngsten Narren, dem frisch getauften zwölfjährigen Jan Holderbach, sind es schon fünf. „Die Bänder dienen aber noch einem anderen Zweck“, erklärt Vizepräsidentin Szüsz. „Sie dienen auch dem Schutz der Zuschauer.“ Damit niemand die Anonymität der Maske ausnutzt, um allzu argen Schabernack oder Schlimmeres zu treiben, ist jeder der Stoffstreifen nummeriert. „Wenn etwas passiert, kann man das Laufband abreißen und einen Hästräger anhand der Nummer identifizieren lassen“, sagt Szüsz. Die Faschings-Kampagne in diesem Jahr ist besonders kurz, aber nicht minder stressig. Der Terminplan der Carnevalsfreunde und ihrer Murr’mer Narren ist voll. An diesem 6. Januar etwa steht nach den Mitgliederehrungen, der Narrentaufe sowie dem traditionelle Abstauben der Masken zum Beginn der Saison ein Besuch im Nachbarort an (wir berichteten). Dieser Austausch ist für die Faschingsvereine wichtig, schließlich ist man auch in Murr auf Gäste von außerhalb angewiesen, die zu den eigenen Veranstaltungen kommen.

In Steinheim angelangt, wummern den Murrern schon die Partyschlager im Viervierteltakt entgegen. Sibylle Szüsz macht in der Menge ihre Runde, begrüßt Freunde und die Vorstände anderer Vereine. Sogar dafür haben die Narren Regeln: „Das waren grade Ittlinger Käfer – bei denen gibt’s immer drei Küsschen, bei uns nur zwei. Da muss man immer höllisch aufpassen“, sagt sie, nachdem sie zwei Jecken in Gelb, Grün und Rot geherzt hat.

Klamme Kälte kriecht allen in die Knochen, leichter Nieselregen fällt. Trotzdem wippen schon die ersten Knie mit: „Wenn die Saison einmal angefangen hat, zieht die Gruppe jeden mit“, meint Szüsz. Die Guggenmusiker aus Winnenden tun kurz darauf ihr übriges, der kleine Umzug setzt sich in Bewegung. Mit den Faschingshochburgen im Schwarzwald oder dem Rheinland lässt sich das närrische Treiben zwar nicht vergleichen, dennoch legen sich alle mächtig ins Zeug, um Fasnetsstimmung zu verbreiten.

Kurz darauf setzt sich die rot-weiß-gelbe Truppe aus Murr wieder ins Auto, die Zeit drängt. Schon um 16 Uhr steht der nächste Termin an, ein Besuch in Hemmingen, danach geht es weiter nach Pattonville. Ein Marathon im Namen des Frohsinns.