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Derzeit besuchen 2350 Schüler das Friedrich-Schiller-Gymnasium in Marbach. Das größte Gymnasium in Baden-Württemberg hat täglich Herausforderungen zu meistern.

Marbach - Hausaufgabenkontrolle. Nach und nach geht die Lehrerin die Sitzreihen durch und prüft nach, ob die Gymnasiasten ihren Stoff gelernt haben. „Jetzt du, Florian“, sagt sie und zeigt auf einen der Schüler vor sich. „Ich bin doch der Felix“, sagt der.

Ein verwechselter Name kann am Marbacher Friedrich-Schiller-Gymnasium (FSG) schon mal vorkommen. Das ist kein Wunder: Pro Jahrgang kommen rund 300 neue Gesichter an das größte allgemein bildende Gymnasium Baden-Württembergs. Es gibt derzeit 2350 Schüler, rund 200 Lehrer, sechs Sekretärinnen, drei Hausmeister, zudem unzählige Lehrbeauftragte, Jugendbegleiter, Referendare und Praktikanten – hier den Überblick zu behalten, ist nicht einfach. Doch bei einem müssen die Fäden zusammenlaufen. Seit fast zwei Jahren ist das Christof Martin. Der Oberstudiendirektor war zuvor Rektor des Königin-Katharina-Stifts, einem Stuttgarter Gymnasium mit gut 600 Schülern. „Das war schon eine Veränderung“, sagt er über seinen Wechsel. „An kleineren Schulen geht es schon familiärer zu.“ Dass am FSG jemand jeden Mitschüler oder Kollegen kenne, sei wohl unmöglich. Aber Martin vergleicht die Schule mit einem Schnellzug: „Der kann auch 300 Meter lang sein. Aber wenn es im Abteil angenehm ist, ist die Länge des Zuges doch egal.“

Doch diesen Zug zu steuern, ist trotzdem eine große Herausforderung. „Hier am FSG gibt es von allem viermal so viel. Schüler, Eltern und Lehrer haben Wünsche – diese Fülle von Informationen gilt es zu verarbeiten“, sagt Martin. Denn von einer Entscheidung sind unter Umständen gleich elf Parallelklassen betroffen. „Hier muss man noch genauer, noch systematischer arbeiten als anderswo“, sagt Martin. Aber man weiß sich zu helfen: Etwa, wenn Schulfächer ausfallen oder vertreten werden. Davon erfahren die Schüler nicht nur über aushängende Bildschirme, sondern neuerdings auch über eine eigene App fürs Smartphone.

Mit der Größe kommen Möglichkeiten. Neue Projekte und AGs lassen sich am FSG laut Christof Martin einfacher realisieren als an kleineren Schulen, die Wahlmöglichkeiten am FSG sind riesig. Die Schüler können zum Beispiel zwischen einem musikalischen, künstlerischen oder sprachlichen Sonderprofil wählen, es gibt einen Hochbegabten- und einen bilingualen Englischzug. „Das Schulfach NWT, Naturwissenschaft und Technik, wurde in den 90er-Jahren hier erfunden“, sagt Schulleiter Martin stolz.

Mit besagtem Fach beschäftigt sich in diesem Moment Martin Merkle mit seinen Schülern. Im FSG-Neubau sind gerade Microcontroller das Thema. Mit den kleinen Chips lässt sich viel anstellen: „Es gibt kaum mehr ein Haushaltsgerät, in dem sie nicht verbaut sind“, erklärt Merkle. Seine Schüler haben sich rund um diese Alleskönner Projekte ausgedacht. Die Neuntklässler Leonard und Simon arbeiten zum Beispiel am Modell eines Hauses: „Wenn man auf die Fußmatte tritt, öffnet ein Servomotor die Türe. Und wenn es dunkel wird, geht im Inneren das Licht an“, erklärt Leonard. Außerdem soll ein Lämpchen in der Garage angehen, wenn ein Spielzeugauto hineinfährt. Viel Zeit bleibt den Nachwuchstüftlern nicht: in weniger als einem Monat müssen sie zeigen, was ihr Haus draufhat.

Andere Talente sind wenig später im Raum 2410 des Hauptgebäudes gefragt. „Nimen hao“, grüßt Chinesischlehrerin Martina Braden die Teilnehmer ihres Schnupperkurses. Artig stehen die Fünft- und Sechstklässler vor ihr auf. Dann lernen sie zum Beispiel etwas über die Brauchtümer und die Geografie des Reichs der Mitte, aber auch einige Worte und Schriftzeichen. Das FSG ist landesweit die einzige Schule, die Chinesisch schon ab der sechsten Klasse als zweite Fremdsprache anbietet. Erstmals war die Sprache in diesem Jahr auch Abiturfach. „Chinesisch wird in Zukunft weltweit eine immer größere Rolle spielen“, ist die Lehrerin Martina Braden überzeugt. „Die Sprache eröffnet viele Perspektiven.“

Ihr Chinesischkurs findet heute in der letzten Stunde statt. Als um 12.45 Uhr die Schulglocken läuten, öffnen sich im Hauptgebäude alle Türen. Eine Flut von hunderten Schülern flutet über die Treppen und in die Aula. Manche hasten zum Bus, andere nutzen die Chance auf einen Flirt oder machen es sich für die Mittagspause bequem. Mit der Größe ihres Gymnasiums haben sich sehr viele arrangiert. Für einen Schüler der Klassenstufe zwei überwiegen die Vorteile: „So eine Auswahl an Fächern gibt es, glaube ich, nur ganz selten“, meint er. Dass es an der Riesenschule dafür etwas anonymer zugeht, macht zumindest den beiden Zehntklässlerinnen, die einige Meter weiter stehen, nichts aus. „Dann mischen sich die Lehrer nicht so oft in private Angelegenheiten ein“, finden sie. Dann gehen sie kichernd ihrer Wege.