Das Mädchen wird per Seil, ähnlich einer Marionette, bewegt. Foto: Michael Raubold Photographie

Aus Schillers Gedicht „Das Mädchen in der Fremde“ haben Danai Nielsen und Orestis Chatzitheodorou ein Zeitungsmärchen gemacht.

Marbach - Danai Nielsen und Orestis Chatzitheodorou leben zusammen in einer Wohngemeinschaft inmitten der Marbacher Altstadt. Dort entstehen auch ihre fantastischen Ideen ihrer Kunst. Insofern lässt sich nicht genau sagen, wann die beiden kreativen Köpfe Freizeit haben und wann sie arbeiten. Jedenfalls sind sie schon eine ganze Weile mit dem Konzept von „Das Mädchen aus der Fremde“ beschäftigt. Schillers Gedicht hat die Papierkünstlerin Danai Nielsen zu einem Film inspiriert, „einer Art Metapher für die Zeitung“, wie sie erklärt. Sie hat das Mädchen entworfen, eine Stadt aus Papier gebaut und an der visuellen Umsetzung der Geschichte gefeilt. Das alles schon seit dem Spätsommer. Und jetzt das: Fehlende 6,35 Millimeter bringen das Projekt zum Stoppen.

Kameramann Orestis Chatzitheodorou blickt skeptisch. Die spezielle Kamera, die dank einer hohen Bildwiederholrate ein astreines Zeitlupenbild aufzeichnet, ist ordnungsgemäß vom Technikverleiher aus Berlin geschickt worden. Aber wie soll er die Kamera ohne die nicht mitgelieferte Schraube auf dem Stativ befestigen? Zumal das Gewindemaß zwar typisch für Film- und Fotozubehör ist, sonst aber fast nirgendwo vorkommt. Fürs Erste lässt er die Sorgen sein. Schließlich erlaubt ihm die Kamera, die extrem langsame Bewegungen aufzeichnet, ein einigermaßen flüssiges Bild aus der Hand zu filmen. Eine Technik, „die ich ohnehin sehr mag, lieber als Stativaufnahmen“, gesteht Chatzitheodorou. Dennoch hat er mehrere Hilferufe per SMS losgeschickt. Später in der Nacht sollen Szenen gedreht werden, die ein stabiles Bild voraussetzen.

Während Orestis Chatzitheodorou also auf eine Lösung hofft, kleidet Danai Nielsen die etwa 15 Zentimeter große Puppe – das Mädchen – um. Das lange Gewand, das sie aktuell trägt, strahlte bei Testaufnahmen zu viel Glamour aus. „Sie sah aus wie eine Dame“, berichtet Danai Nielsen. Doch sie ist viel mehr als das. „Sie ist magisch“. Ähnlich wie die Reporter einer Zeitung sei sie diejenige, die fremde Gegenden bereist und von dort etwas mitbringt, was sie den Menschen zu Hause in die Briefkästen steckt. „So, wie die Nachrichten, die Journalisten uns von den Teilen der Erde erzählen, die wir selbst mit eigenen Augen nicht sehen können.“ Was das Mädchen aus der Fremde mitbringt, wird selbstredend noch nicht verraten. Nur so viel: Es wird ihre Welt verändern.

Diese 1,50 auf 2,50 Meter große Stadt aus Papier haben Danai Nielsen und Orestis Chatzitheodorou mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Da ist beispielsweise die „Schillerstraße“, benannt nach „dem Superstar von Marbach“ erklärt Danai Nielsen mit herzergreifendem Lachen. Sein Gedicht vom Mädchen in der Fremde habe sie zunächst auf Deutsch gelesen „und ungefähr fünf Worte verstanden“, sagt die Tochter eines griechischen Vaters und einer dänischen Mutter, wobei sich ihr Lächeln sogar noch weiter steigert.

Im Gegensatz zu dieser Lebensfreude steht die graue Stadt, die sich auf dem Tisch vor Danai Nielsen aufbaut. Ein Zischen unterbricht die Unterhaltung, dem ein stechender Geruch folgt. Es dauert kurz, bis sich der künstliche Nebel aus der Maschine weitflächig verbreitet hat. Das „Go“ von Kameramann Orestis Chatzitheodorou fordert Danai Nielsen auf, das Mädchen durch die Gassen schweben zu lassen. Marionettenartig gleitet die Figur dahin. Der Kameratest soll zugleich helfen, die Frage zu klären, ob ein Seil ausreicht, um das Mädchen dahingleiten zu lassen. „Um eine schöne Bewegung zu haben, sind zwei Seile besser“, glaubt Danai Nielsen, die sofort die Verbesserungen an der Puppe umsetzt.

Danai Nielsen und Orestis Chatzitheodorou arbeiten hochkonzentriert. Vorbereitung ist schließlich alles. Denn wenn tatsächlich die erste Klappe im ehemaligen Archivraum der Marbacher Zeitung, wo die Arbeiten stattfinden, fällt, bleibt für solche Entscheidungen nicht mehr viel Zeit. Gedreht wird nachts, wenn kein Tageslicht mehr die Aufnahmen stört. Was die mythische Stimmung noch unterstreichen soll. „Ich liebe es, mit den kleinen Modellen zu drehen, weil wir dann mit der Beleuchtung eine so große künstlerische Freiheit haben“, erklärt Kameramann Orestis Chatzitheodorou. Was er damit meint, lässt sich auf der Internetseite www.seliniproject.com nachvollziehen. Dort sind Filme zu sehen, die die beiden unter anderem für eine US-amerikanische Jeansfirma produziert haben. Aber auch Musikclips, die sie für ihre eigene Band Than.eye gedreht haben.

Auch die Musik für „Das Mädchen aus der Fremde“ will Danai Nielsen selbst schreiben. „Mal sehen, was es wird“, sagt sie. Zunächst habe sie an ein Klavierstück gedacht. „Aber in Verbindung mit einem Schillergedicht könnte das zu dick aufgetragen sein“, befürchtet sie. Vielleicht werde sie mehr auf elektronische Klänge setzen. Doch bevor sie sich Gedanken um die Musik machen kann, steht sie vor einer ganz anderen Herausforderung. Filme, die auf Papierkunst basieren, „haben oft eine eher kindliche Wirkung“, sagt die Künstlerin. „Wir wollen unserem Film einen mehr erwachsenen Look verpassen.“