„Wer es vorher kann, kann es auch in der Prüfung“, weiß Walter Rittberger. Er soll Recht behalten. Foto: Michael Raubold Photographie

Ein Pilot-Projekt des Beilsteiner Freundeskreis Asyl hilft Neubürgern dabei, den deutschen Führerschein zu bekommen.

Beilstein - Moment mal! Wer hat hier Vorfahrt?“, fragt Fahrlehrer Walter Rittberger und weist auf einen Wagen, der sich von rechts näher. „Nicht der Größere.“ Eine kurze Ermahnung und der Hinweis, dass man sich an Kreuzungen mit Rechts-vor-Links-Regelungen immer deutlich umsehen muss und schon kann die Fahrt weitergehen. Am Donnerstag steht schließlich schon die praktische Fahrprüfung an. Die Szene wirkt wie eine ganz gewöhnliche Fahrstunde. Doch neben dem Fahrlehrer sitzt keine nervöse 17-Jährige oder ein 18-Jähriger Autofan, sondern Amr Abou Traba. Er ist 27, Syrer und längst im Besitz eines Führerscheins – doch der gilt hier in Deutschland nicht.

„Um auch hier fahren zu dürfen, muss man eine theoretische und eine praktische Prüfung ablegen“, erklärt Andreas Budde vom Beilsteiner Freundeskreis Asyl. Gemeinsam mit anderen Helfern hat er im Mai 2016 ein Pilot-Projekt gestartet, das seinen Schützlingen helfen soll, die Fahrerlaubnis zu bekommen. Und die ist für viele Berufsfelder unerlässlich. Denn mit der Anerkennung als Flüchtling ist es nicht getan. Wer hier dauerhaft leben darf, braucht eine Wohnung. Die kostet Miete und dafür braucht es ein Einkommen.

Dabei litt das Projekt zunächst unter Startschwierigkeiten, da es nur deutsche Unterlagen für den Theorieteil gab. „Wer selbst den Führerschein gemacht hat, weiß ja wie verworren die Fragestellungen teilweise sind. Viele Flüchtlinge haben sich da sehr schwer getan“, erinnert sich Andreas Budde zurück. Ein Lichtblick folgte im Herbst: Seit dem 1. Oktober kann die theoretische Prüfung auch in arabischer Sprache geschrieben werden. Ein Kurs bei einer Fahrschule ist dafür eigentlich nicht nötig, helfe aber ungemein. „Wir haben damals beim Radfahren schon bemerkt, dass es gewisse Schwierigkeiten mit den Verkehrsregeln gibt“, so Walter Rittberger. Also hat er sich bereit erklärt ein reduziertes Kursprogramm für die Syrer zu erstellen. „Das sind ja alles gestandene Fahrer, teilweise Lastwagenfahrer“, so Budde.

Und auch Amr Abou Traba steigt routiniert in das Fahrschulauto. „Aber anständig fahren, nicht syrisch“, ermahnt Rittberger ihn mit einem Schmunzeln ehe die Fahrt beginnt. Dabei lenkt er aber auch direkt ein, dass Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht das Problem sind. „Es ist Vieles anders als bei uns“, bestätigt auch Amr Abou Traba. Ampeln mit Grünpfeil beispielsweise. „In Syrien darf man dann einfach durchfahren, ohne anzuhalten.“ Und auch das Blinken beim Ausfahren aus dem Kreisverkehr sei nicht notwendig. Den am Beilsteiner Ortseingang bewältigt er aber souverän, was ihm direkt ein Lob seines Fahrlehrers einbringt: „Du bist mein Bester.“ Das wird aber umgehend revidiert, als der 27-Jährige schon vor dem Ortsschild aufs Gaspedal tritt. „Aber da ist 70“, verteidigt sich der studierte Informatiker prompt. „Die 70 gilt aber erst dann, wenn wir am Ortsschild vorbei sind“, kommt es von Rittberger zurück. Die Stimmung ist gut, man witzelt miteinander. Und auch die Sprachbarriere wird gemeistert. Unter all dem leidet aber nie die Aufmerksamkeit des Fahrlehrers.

Kein Wunder – Walter Rittberger ist schließlich „Urgestein am Ort“, wie Andreas Budde es ausdrückt. Und er kann auf eine lange Tradition zurückblicken. „Mein Großvater hat 1909 als Erster seinen Führerschein in Marbach gemacht“, erzählt Rittberger. Macht summa summarum also über 100 Jahre Autofahrer-Erbe in seiner Familie. Und auch er selbst blickt auf einige Jahrzehnte als Fahrlehrer zurück. Das hat ihn unter anderem eins gelehrt: „Wer es vorher kann, kann es auch in der Prüfung.“ Damit soll er Recht behalten, drei Tage später kann Amr Abou Taba seinen deutschen Führerschein in den Händen halten. So wie es vor ihm auch schon Ibrahim Albakkar und Mohammed Ayoubi direkt auf Anhieb geschafft haben.

Das hat Nassim al Khalil noch vor sich. Er löst an diesem Nachmittag Amr Abou Traba ab. Auch er ist Syrer und lebt mit seiner Frau und ihrem neugeborenen Kind in Beilstein. „Die beiden sind relativ gebildet. Nassim ist Tierarzt und seine Frau Bisan ist Juristin“, weiß Andreas Budde. Seit einem Jahr haben sie eine eigene Wohnung. Zum perfekten Glück fehlt also nur noch der Job. Und für den braucht man …  genau, einen Führerschein. Neun syrische Neubürger beteiligen sich insgesamt an dem Projekt. Finanziert wird es aus Eigenmittel der Teilnehmer, dem Spendenkonto des Freundeskreises Asyl und der Nachbarschaftshilfe in Beilstein. „Hier unterstützt man sich gegenseitig“, erklärt Andreas Budde.

Und dieses Miteinander soll auch im Straßenverkehr herrschen. „Wir fahren ein bisschen schneller, damit keiner auf doofe Ideen kommt“, weist nun Rittberger al Khalil an. Zu langsames Fahren provoziere riskante Überholmanöver. Mit mehr Gas und jeder Menge Anekdoten – von der Tour de France bis zu Parktipps – geht es nach Heilbronn, um das Fahren im Stadtverkehr zu üben. Nassim al Khalil hält das Auto an einer Kreuzung an – ohne Notwendigkeit. Er habe erwartet, dass die Frau auf dieFahrbahn läuft, erklärt sich Nassim al Khalil. Ein ganz typisches Problem, so Walter Rittberger: „Viele haben kein Vertrauen in die anderen Verkehrsteilnehmer.“