Schon vor dem Gebet finden sich Muslime ein, um dem Imam Saban Hatipoglu zuzuhören. Foto: geschichtenfotograf.de

Nach dem Freitagsgebet diskutiert die Türkische Gemeinde in Erdmannhausen über den Satiriker Jan Böhmermann.

Erdmannhausen - Aus den Lautsprechern dringt arabischer Gesang, der Gebetsraum im Erdgeschoss füllt sich mit Männern. Es ist Freitag, 13.30 Uhr, der Imam Saban Hatipoglu und sein Muezzin versammeln die Türkische Gemeinde Erdmannhausen zum Gebet. Hatipoglu steigt eine hölzerne Empore hinauf für die Hutbe, die türkische Predigt. Kurz darauf erfüllt Murmeln den Raum und die Muslime sind im Gebet zu Allah versunken. Sie verrichten vier „Rekat“, stehen, verbeugen, niederwerfen, mit dem Gesicht gen Mekka. Ab der Pubertät ist das Freitagsgebet für einen männlichen Muslim Pflicht. Rund 100 Männer sind in die Gemeinderäume gekommen, in das unscheinbare Haus am Bahnhof, neben der ehemaligen Metzgerei.

Nach dem Gebet setzen sich einige Männer noch in die Teestube nebenan. An gefliesten Wänden hängen Bilder von der Prophetenmoschee in Medina und der Kaaba in Mekka. Es gibt Chai, den typisch türkischen starken Schwarztee, einer hat Lokum, eine Süßigkeit aus Ostanatolien mitgebracht. Die Männer verspeisen ein süßes Stück Heimat nach dem anderen.

Das Gespräch dreht sich um Jan Böhmermann. Rund eine Woche zuvor hatte der ZDF-Moderator ein Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan verlesen. Vor allem der Kassenprüfer Seyfettin Sedef regt sich auf: „Böhmermann ist in meinen Augen ein Idiot. Mit dem Gedicht hat er nicht nur Erdogan, sondern uns alle beleidigt“, sagt er. Das Extra-3-Video, dessen Löschung Erdogan kurz zuvor verlangt hatte, sei noch etwas anderes gewesen. „Das hat uns ja nicht auf diese Weise angegriffen.“ Sedef hat gegen Böhmermann Anzeige erstattet: „Ich bin deutscher Staatsbürger und bezahle das ZDF mit meinen Beiträgen. Da muss ich mich doch nicht beleidigen lassen.“

Das Klima, so sehen es die meisten in der Teestube, ist seit dem Krieg in Syrien, der Flüchtlingskrise und dem Wahlerfolg der AfD rauer geworden. „Meine Frau verschleiert sich, deswegen ist sie neulich von einem Wildfremden als Terroristin bezeichnet worden“, erzählt Sedef. Er lebt in zweiter Generation hier, seine Kinder in dritter. In den Jahren zuvor sei der Schleier nie ein Thema gewesen.

Allahu akbar, Gott ist am größten. Dieser Satz markiert den Beginn der täglichen muslimischen Pflichtgebete – doch viele Nicht-Muslime bringen ihn derzeit mit vermummten Kämpfern, Selbstmordanschlägen und Exekutionen in Verbindung. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid fühlen sich 23 Prozent der Deutschen vom Islam bedroht. „Dabei ist es im wahren Islam strengstens verboten, einen Menschen zu töten, egal, welchen Glauben er hat“, sagt Yunus Dumlu, der Zweite Vorsitzende der Gemeinde. Und Seyfettin Sedef ergänzt: „Viele islamische Staaten kämpfen gegen Isis – das zeigt doch, dass die Terroristen unislamisch sind.“ Für das Massaker, das der Norweger Anders Breivik 2011 angerichtet hat, müssten sich schließlich auch keine Christen rechtfertigen, obwohl er sich selbst als Kreuzritter verstehe.

Die Türkische Gemeinde ist seit einigen Monaten Mitglied von Ditib. Der Dachverband der türkisch-islamischen Moscheen steht nach eigenen Angaben gegen Gewalt, für Toleranz und die freiheitlich-demokratische Grundordnung ein. Die Ditib ist ein Ableger der staatlichen türkischen Religionsbehörde – Kritikern gilt sie daher auch als „langer Arm Erdogans“, der die Integration der türkischen Muslime in die deutsche Gesellschaft erschwere.

Die Türkische Gemeinde Erdmannhausen bemüht sich allerdings, ein Teil des deutschen Gemeindelebens zu sein. Die Kinder lernen Deutsch, zur Kermes in der Halle auf der Schray kommen regelmäßig viele Gäste, auch Deutsche. „Und wir machen bei allen Straßenfesten mit“, betont Dumlu. Von der Mitgliedschaft bei der Ditib verspreche sich die Gemeinde Hilfe in bürokratischen Dingen, beim Kauf von Lehrmaterial und einen eigenen Imam. Bislang hatten die Prediger aus der Türkei alle drei Monate gewechselt.

Die rund 120 Mitglieder des Erdmannhäuser Vereins, der seit dem Jahr 2000 existiert, führen ein Leben zwischen Integration, Tradition und Identitätssuche. Die Worte des Imam werden manchmal synchron auf Deutsch übersetzt. „Viele jungen Leute können nicht mehr so gut türkisch“, sagt Dumlu. „Die Kinder sollen aber ihre Religion und ihre Kultur nicht vergessen.“

Im Obergeschoss, neben den Räumen der Frauen, sind die Zimmer, in denen sonntags die Kinder unterrichtet werden. „Bismillah“, im Namen Gottes, steht in ausgeschnittenen bunten Buchstaben an der Wand. Vizechef Dumlu, heute 52, ist mit 16 Jahren ins Schwabenland gezogen. „Ich fühle mich als Erdmannhäuser, obwohl ich die türkische Staatsbürgerschaft habe“, sagt er.

Dumlu hat drei Kinder, sie sind hier in Deutschland geboren. Doch zwei von ihnen sind schon zurückgezogen in die Türkei. Für Yunus Dumlu und seine Frau kommt das nicht in Frage: „Das hier“, sagt er und deutet mit dem Kopf Richtung Erdmannhausen, „ist meine Heimat.“