Bis das Bier sprudelt, ist viel Zeit und Arbeit nötig. Foto: geschichtenfotograf.de

Hinter jedem Glas Bier steckt eine Menge Arbeit. Dieter Baader muss es wissen: Seit 16 Jahren braut er in der Marbacher Salzscheuer.

Marbach - Heiße, feuchte Luft schlägt Dieter Baader entgegen, als er die Tür mit dem Brauerstern öffnet. Eben hat er die Kessel in seinem Braukeller angeheizt. Im sogenannten Läuterbottich brodelt schon die Maische, eine trübe, braune Brühe – auf den ersten Blick fällt es schwer zu glauben, dass daraus einmal ein kühles Märzen werden soll. Wäre da nicht der malzige Duft, der sich in Nebelschwaden durch den ganzen Raum ausbreitet und sich feucht an den Fensterscheiben niederschlägt. Baader sieht zufrieden zu, wie die Flüssigkeit im Bottich immer klarer wird.

„Wie aus Stärke und Zucker Alkohol wird, fasziniert mich immer wieder“, sagt er. „Enyzme kitzeln“, nennt er das Brauen daher auch. Und nach 18 Jahren, 16 davon für sein Salzscheuerbräu, weiß er, wo er kitzeln muss. Welche Malzsorten er zu welchem Anteil beimischen kann – heute kommen etwa einige Prozent Caramelmalz dazu. Wann er den Hopfen am besten zufügt. Minutengenau hat Baader sich auch notiert, wann die Maische rasten muss, damit eine bestimmte Biersorte daraus wird. Der erste Eintrag für das heutige Programm: Punkt 5.54 Uhr. Und schon am Vortag hatte er das frisch gelieferte Gerstenmalz mit der Sackkarre die mittlere Holdergasse entlang gewuchtet, Zentnersäcke mit einem Seilzug auf den Dachboden gehievt.

An die Arbeit, die hinter einem rasch geleerten Pils, Märzen oder Weizen steckt, denkt wohl kaum ein Zecher. „Für 130 Liter Bier arbeite ich ungefähr 18 Stunden“, rechnet Baader. Die Reinigung der Fässer und Kessel etwa ist extrem wichtig. „Sonst klappt das mit dem Gärprozess nicht.“ Zum Brauen selbst braucht Baader sieben Stunden. „Und sieben Sachen: Wasser, Gerste, Hopfen, Hefe, Know-How, Geduld und Gefühl“, sagt er. Die Enzyme lassen sich bei ihrer Arbeit nicht hetzen. „Daran musste ich mich auch erst gewöhnen. Ich komme aus der Industrie, dort musste immer alles zack, zack gehen, nich‘“, sagt Baader.

Der Holdergässler hat nicht gerade einen schwäbischen Zungenschlag, obwohl seine Vorfahren einst am selben Tag wie Friedrich Schillers Eltern in der Marbacher Stadtkirche geheiratet haben. Im Jahr 1938 in Berlin geboren, wuchs er in den 1950ern in Argentinien auf, reiste später als Daimler-Ingenieur um die Welt. Die Liebe hielt ihn schließlich in Marbach, heute ist er Rentner. „Eigentlich mit zwei N“, meint Baader. Weil er immer so viel rumrenne. „Die Salzscheuer gehört meiner Chefin, die auch meine Frau ist“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Bis zum Dach ist das Haus heute angefüllt mit Souvenirs aus aller Herren Länder: Muschelfenster von den Philippinen, Blechschilder aus aller Welt, auch eine fast 100 Jahre alte Waschmaschine, die Baader irgendwann auf einem Feld entdeckt und restauriert hat. Fast könnte er damit ein Museum aufmachen.

Von seinen Reisen profitiert er auch auf andere Weise: „Abends saß ich damals immer in irgendwelchen Bars rum – furchtbar langweilig“, erinnert er sich. Zum Zeitvertreib zeichnete er Maschinen und Mechanismen – einige davon hat er jetzt in seiner Brauerei verbaut. Den Kran etwa, der die schweren Kessel anheben kann, hat Baader selbst ausgetüftelt, genau wie den Antrieb, der die Messer des Hackwerks in Bewegung bringt. Und ist ein Kessel vollgelaufen, dudelt durch irgendeinen technischen Clou die Melodie des Westernsongs „Oh, Suzanna“ durch die Salzscheuer.

Gegen 13.30 Uhr ist es so weit: Der Brauvorgang ist abgeschlossen. Das Resultat, die Würze, wird erst gekühlt, dann setzt Baader die Hefe zu. Anstellen nennt der Brauer diesen Vorgang. Doch auch damit ist das Bier noch lange nicht fertig: Das Ganze kommt für acht bis zehn Tage in den Gärtank und dann, in Fässer gefüllt, in den Reifekeller. „Dort drin hat dann der Zoll die Oberhand“, erklärt Baader. Jeden Liter Bier, den er braut, muss er säuberlich notieren, jedes Jahr kommen Beamte zur Kontrolle.

Nach dem Brauen ist für Dieter Baader vor dem Brauen: Er macht sich erst mal ans Putzen. Und ans Resteverwerten: Aus dem sogenannten Treber, der im Sieb des Läuterbottichs übrig geblieben ist, werden Treberbrötchen gebacken. Und sogar für die Hefe, die sich im Gärtank abgesetzt hat, hat Baader eine Verwendung: „Daraus mach‘ ich Creme – ich nenne sie Faltentod“, meint Baader und schmunzelt. Überhaupt ist er ziemlich kreativ, was die Namen seiner Produkte angeht. Rotbier aus der Salzscheuer heißt „Maria Stuart“ – „wie frisch von der Guillotine“. Das Schwarzbier hat Baader das „Marbacher Obamale“ getauft. Es wird allerdings aus aktuellem Anlass bald umbenannt. In „Wallensteins Lager“.