Die erste Prognose löst bei Eberhard Gienger (Dritter von links) noch keinen Jubel aus.Thomas Utz mit Freunden und Familie im Mille Miglia in Murr. Foto: Werner Kuhnle (2), Sandra Brock

Marc Jongen zieht über Listenplatz der AfD für den Wahlkreis Neckar-Zaber in den Bundestag ein.

Bottwartal - Die bundesweit zu beobachtende Kräfteverschiebung in der Bundestagswahl hat sich auch im Ergebnis des Wahlkreises Neckar-Zaber niedergeschlagen. Zwar holte der CDU-Platzhirsch Eberhard Gienger erneut sicher das Direktmandat, jedoch musste er selbst wie auch seine Partei – ebenso wie der bisherige Koalitionspartner SPD – starke Einbußen im Vergleich zur Wahl vor vier Jahren hinnehmen. Zu den Gewinnern zählen FDP und AfD mit hohen Zuwächsen. Auch die Grünen legen leicht zu und liegen über dem Bundesdurchschnitt.

CDU
Als die ersten Prognosen und Hochrechnungen kurz nach 18 Uhr im Fernsehen ausgestrahlt werden, wirkt Eberhard Gienger im Kleinbottwarer Weingut Waldbüsser noch angespannt. Der CDU-Bundestagsabgeordnete hatte vor vier Jahren das Ergebnis seiner Bundespartei von 45,7 Prozent mit den eigenen 53,2 Prozent getoppt. Was sollte also groß schiefgehen? Gegen 22 Uhr stand fest: Der Reck-Weltmeister von 1974 hat erneut die Nase vorn. „Ich sehe das als Bestätigung meiner Arbeit und werde versuchen, sie weiter zu verbessern.“ Bereits zuvor hatte er, der seit 2002 im Bundestag vertreten ist, von einem „anstrengenden und schwierigen“ Wahlkampf gesprochen und sich darüber beklagt, dass die Anhänger der AfD mit Attacken teilweise „unter die Gürtellinie“ gegangen seien.

SPD
Der Bundestagskandidat Thomas Utz verbringt den Wahlabend im Café Mille Miglia in Murr. „Murr ist meine Heimat und ich wollte zuhause feiern“, erklärt Thomas Utz. Auch, wenn aus dem allzu fröhlichen Feiern an diesem Abend nichts wird. Die Stimmung bei den Sozialdemokraten, bei Freunden und Familie von Thomas Utz ist merklich gedrückt, als kurz nach 18 Uhr die erste Hochrechnung auf der Leinwand erscheint. Trotzdem: Nach einem engagierten Wahlkampf, „bei dem sich so viele Menschen mit großem Einsatz engagiert haben, wollen wir auch bei einem solchen Ergebnis gemeinsam zusammen sein“, so der 28-Jährige. „Ich kannte ja auch die Prognosen und habe gewusst, dass es schwierig wird. Aber dass es so wird, konnte ich mir auch nicht vorstellen“, so Utz über die rund 20 Prozent bei den ersten Hochrechnungen. Betrübt ist er „besonders über das Ergebnis der AfD. Die Rhetorik von Alexander Gauland ist das Erschreckendste an diesem Abend.“ Dass die SPD sofort nach der Hochrechnung verkündet hat, in die Opposition zu gehen, findet Thomas Utz konsequent. „Wir haben keinen Regierungsauftrag erhalten.“ Für Berlin reicht es Thomas Utz nicht. „Das ist schade, aber mir bricht dadurch jetzt kein Zacken aus der Krone. Ich werde weiter politisch engagiert und wahrnehmbar bleiben.“ Eine Kandidatur für die Bundestagswahl 2021 schließt er nicht aus, aber das müssten letztlich die Parteikollegen entscheiden.

Linke
Der Kandidat der Linken, Walter Kubach, ist bei der Wahlparty im Ludwigsburger Ratskeller entsetzt, wie groß der Zuspruch für die AfD ist. „Hätten wir vor vier Jahren schon eine rot-rot-grüne Koalition gehabt, hätte es dieses Ergebnis heute nicht gegeben“, ist sich Kubach sicher. „Wir hätten einiges tun können, um diesen Rechtsruck zu verhindern.“ Andererseits sei er froh, dass seine Partei keine Wählerstimmen verloren habe, sagt der Mundelsheimer. „Ich hatte darauf gehofft, dass wir in Baden-Württemberg über fünf Prozent kommen“, sagt er. Für einen Einzug in den Bundestag hat es für ihn allerdings nicht gereicht.

Grüne
Catherine Kern läutet den Wahlabend gemeinsam mit ihrem Parteikollegen Thomas Fick im K2acht in Heilbronn ein. „Wir sind im selben Ortsverband“, erklärt die Unternehmerin. Für die Wahl haben sie sich trennen müssen, auf die Ergebnisse fiebern sie an diesem Abend aber mit vielen Freunden hin. Als die ersten Hochrechnungen bekannt gegeben werden – 9,4 Prozent – herrscht Freude im Saal: „Wir haben entgegen der Umfragewerte noch Stimmen dazu gewonnen. Das ist in Zeiten, in denen ein Rechtsruck durch unsere Gesellschaft läuft, erfreulich“, so Kern. Für weniger Freude sorgen die übrigen Ergebnisse: Vor allem der hohe Wert der AfD bereitet der gebürtigen Britin Sorgen: „Ich hoffe, sie werden letztendlich nicht die größte Opposition stellen.“ Was die Bildung einer Regierung angeht, stellt sich die Politikerin auf „lange Verhandlungen“ ein. Eine Koalition zwischen FDP und Grünen sei schwierig: „Wir haben Schnittmengen, etwa bei den Themen Datenschutz, Frauenrecht oder Einwanderungspolitik. Was Umwelt und Europa angeht, gehen wir aber doch sehr weit auseinander.“ Dass sie selbst keinen Sitz im Bundestag ergattern konnte, ist für Catherine Kern verschmerzbar: „Diese Kandidatur war eine tolle Erfahrung und eine Bereicherung für mich. Ich habe viele Menschen kennenlernen können und auch neue Freunde gefunden.“

FDP
Im Ludwigsburger Scala herrscht nach 18 Uhr beste Stimmung – auch bei Marcel Distl. „Sehr, sehr zufrieden“ ist der FDP-Direktkandidat im Wahlkreis Neckar-Zaber mit dem Ergebnis seiner Partei. Das Ziel, wieder in den Bundestag einzuziehen, sei erreicht, und das nach einem Wahlkampf, der „spannend und voller neuer Erfahrungen“ gewesen sei. Das persönliche Highlight des 24-Jährigen: die Veranstaltung mit Christian Lindner im Urban Harbour in Ludwigsburg. Auch der Kreisvorsitzende der Liberalen, Kai Bauschmann, spricht im Scala von einem „sensationellen Ergebnis“ für die FDP. Dass es für ihn persönlich kein Ticket nach Berlin gibt, trübt die Euphorie bei Marcel Distl dabei nicht. Er will nun sein Studium in Würzburg wieder aufnehmen – und 2019 bei der Kommunalwahl antreten. Sein Ziel dann: „Den Freiberger Gemeinderat verjüngen.“

AfD
„Die Stimmung bei uns ist sehr gut, wir feiern natürlich hier“, sagt der AfD-Kandidat Marc Jongen, der den Wahlabend in Berlin verbringt. Die Hochrechnungen werden gespannt verfolgt. „Da ist durchaus Spannung drin, ob wir die 14 Prozent noch schaffen.“ Das Wahlziel sei auf jeden Fall erreicht, „deutlich zweistellig und auch drittstärkste Partei zu werden“. Der Einzug in den Bundestag ist dem Drittplatzierten der Landesliste Baden-Württemberg sicher. „Es herrscht hier gelöste Stimmung, aber auch Bewusstsein über die Verantwortung, die wir in Zukunft tragen werden. Es kommt ganz viel Arbeit auf uns zu. Es wird darum gehen, uns als Fraktion so aufzustellen, das wir geeint auftreten und gemeinsam an einem Strang ziehen.“ Jongen strebt an, in den Europa- oder den Bildungsausschuss einzuziehen. Er habe jedenfalls „Respekt vor der Aufgabe, die auf uns zukommt“.