Jürgen Berner (links) berichtet Mathias Beer (rechts) von seinen Erlebnissen aus der Nachkriegszeit, das Gespräch moderiert Reinhold Weber. Foto: Andrea Ertl

Mathias Beer hat in seinem Vortrag im Museum im Adler beleuchtet, wie der Südwesten Deutschlands nach Kriegsende 1945 mit rund 1,7 Millionen Flüchtlingen und Vetriebenen zurechtkam.

Benningen - Parallelen gibt es viele zur damaligen Zeit, als Deutschland nach Kriegsende Flüchtlinge und Vertriebene aufnehmen musste. Allein im deutschen Südwesten kamen 1,7 Millionen der 12,5 Millionen Menschen an. Vergleichbar sei diese Zeit aber keinesfalls mit unserer aktuellen Situation, stellt Mathias Beer am Donnerstagabend vor fast 40 Zuhörern im Benninger Museum im Adler fest. Trotzdem sei es heute hilfreich, einige Bewegungen aus dieser Zeit anzuschauen.

Sein Vortrag findet im Rahmen der Sonderausstellung „Heimat neu denken“. Museumsleiterin Christina Vollmer freut sich, dass die schon lange geplante Veranstaltung zeitlich gut zur Auszeichnung des Referenten Mathias Beer im Ludwigsburger Schloss am vergangenen Mittwoch passt. Er wurde für seine Arbeit als Zeithistoriker und Migrationsforscher mit dem Ludwig-Uhland-Preis ausgezeichnet (wir berichteten). Ansonsten arbeitet der Experte am Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde (IdGL) in Tübingen. Und so kam über den Benninger Reinhold Weber, der in Tübingen eine Honorarprofessur im Gebiet Zeitgeschichte innehat, die Verbindung zum Benninger Bund für Heimatkunde und dem Museum zustande.

Wichtige und seltene Belege aus der Region hat der ausgewiesene Fachmann zu seinem Vortrag mitgebracht, etwa ein Dokument, ausgestellt vom Bürgermeisteramt Kleinbottwar. Es meldet an das Landratsamt Ludwigsburg, dass sämtliche Flüchtlinge in Privatquartieren untergebracht worden seien. Weiter steht dort: „Für die Unterbringung des letzten Transportes mussten wir Gewalt anwenden“ – mit Hilfe der Militärregierung oder der Militärpolizei. Es habe also durchaus Spannungen gegeben mit der Unterbringung bei Menschen, die selbst hungerten, froren oder nach ihrer Familie suchten. Allerdings habe es sich damals um „eine geordnete Assimilation“ gehandelt, mit Wissen und Unterstützung der Alliierten. „Es sollte eine möglichst schnelle Ost-West-Verschiebung erfolgen.“ Es habe klare Anweisungen gegeben, etwa dass die Flüchtlinge mit Deutschen gleichgesetzt werden sollten, sie durften auch keine eigenen Parteien bilden, „sie sollten sozusagen aufgesogen, eingeschmolzen, assimiliert werden.“

Das erfolgte nach dem Prinzip, dass die Flüchtlinge gleichmäßig in kleinen Gruppen – höchstens als Familie – über Deutschland verteilt wurden. Eine später folgende Ausgleichszahlung habe zwar Neid hervorgerufen, aber letztendlich als „riesiges Investitionsprogramm“ gewirkt.

Im Anschluss an den Vortrag bereichert Jürgen Berner die Veranstaltung mit Erinnerungen an damals, die ihn sichtlich bewegen. Seine Mutter sei damals nicht begeistert gewesen, als er ihr ein katholisches „Flüchtlingsmädle“ als Freundin vorgestellt habe, das auch noch ein Jahr älter war als er. „Und demnächst feiern wir goldene Hochzeit.“ Seine Frau Katharina Berner kann leider aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Veranstaltung teilnehmen. Sie kam als vierjähriges Mädchen mit ihrer Familie aus einem ungarischen Bauerndorf.

„Menschenreichtum ist nie eine Last“, sagt Mathias Beer am Ende seines Vortrags, „wenn alles gut organisiert ist.“ Die Aufnahme der Flüchtlinge stelle ein Experiment dar. „Integration bedarf eines langen Atems.“ Der Staat müsse klare Rahmenbedingungen schaffen, „und die sind heute leider nicht gegeben.“ Es bedeute eine hohe materielle und organisatorische Anstrengung für das Land. Dabei seien vier oder fünf Jahre keine Zeit für einen Integrationsprozess – er richte sich eben nicht nach Legislaturperioden.