Harald Gleitsmann nimmt inmitten von Lautsprecherboxen Platz, die Schüler gestaltet haben. Eines von vielen Projekten, das die vergangenen Jahre an der Schule lief. Foto: Werner Kuhnle

Harald Gleitsmann hört als Leiter des HCG auf. Bis zum Schluss gibt er Vollgas. Dann will er sich Zeit zum Reisen nehmen.

Beilstein – - Eine ganze Dekade hat Harald Gleitsmann die Geschicke am Herzog-Christoph-Gymnasium gelenkt. Zum 31. Juli geht er in den Ruhestand. Im Interview spricht er über sein abwechslungsreiches Berufsleben, Ziele für die Zeit danach - und wovor er gekniffen hat.
Herr Gleitsmann, bald verabschieden Sie sich in den Ruhestand. Zählen Sie schon die Tage, bis Sie die Bürotür für immer schließen können?
Nein. Natürlich weiß ich, dass der 31. Juli offiziell mein letzter Arbeitstag sein wird. Aber bis dahin bleibt keine Zeit zum Durchschnaufen. Ein Zurückstecken ist noch nicht wirklich möglich. Jemand hat zwar neulich zu mir gesagt, man solle nicht mit 160 in die Garage fahren. Aber bei mir sind es sicher 250 Sachen.
Sie können also auch noch nicht einschätzen, was es eigentlich bedeutet wird, Ruheständler zu sein?
Ich kann jedenfalls noch nicht so weit denken, dass ich sagen könnte, was genau ich vermissen werde. Ich hatte in der Vergangenheit schließlich auch schon Urlaub. Der Unterschied ist nur, dass ich früher immer wieder zurückgekommen bin. Das wird dieses Mal nicht der Fall sein. Die Erfahrung habe ich nicht sammeln können. Aber klar ist, dass es mir fehlen wird zu gestalten. Daran war ich viele Jahre gewöhnt.
Sie waren also schon vor Ihrer Zeit in Beilstein in verantwortlicher Position?
Richtig. Ich war acht Jahre lang an der Deutschen Schule in New York, davon sechs Jahre als stellvertretender Schulleiter tätig. Das gleiche Amt hatte ich später viele Jahre in Athen inne, ebenfalls an einer Deutsche Schule. Da durfte man sehr viel machen und bewegen. Die Verantwortungsbereiche waren deutlich umfangreicher als die, welche ein deutscher Schulleiter haben dürfte. Zum Beispiel in Sachen Budget. In Griechenland habe ich über die Schule auch eine kleine schuleigene Firma gegründet, in der das Deutschlernen mit dem Sport verquickt wurde. Da haben wir in einem dreiwöchigen Kurs mehr als 200 000 Euro umgesetzt.
Athen, New York, das klingt nach großer Welt. Warum haben Sie diesen attraktiven Städten irgendwann den Rücken gekehrt?
Ganz einfach: Wenn ich weiter in New York hätte bleiben wollen, hätte ich meinen Beamtenstatus aufgeben müssen. Dazu war ich ehrlich gesagt zu feige. Da ging bei mir die Sicherheit vor. Deshalb bin ich nach den langen Jahren in Athen auch nach Deutschland zurückgekehrt.
Ging es von dort gleich nach Beilstein?
Ja. So wie ich mich durch die Herausforderungen dieser Zeit im Ausland verändert hatte, war es für mich unmöglich geworden, wieder als normaler Lehrer zu arbeiten. Also habe ich nach einer Schule gesucht, die gewisse Rahmenbedingungen erfüllt. Und das Herzog-Christoph-Gymnasium erfüllte diese wunderbar. Zudem gefiel meiner Familie und mir die Lage im Bottwartal. Landschaftlich ist es hier traumhaft.
Welchen Status quo haben Sie vorgefunden, als Sie in Beilstein anfingen?
Das war eine sehr gute Schule. Es gab aber Dinge zu verändern. Und das habe ich angepackt. Ich durfte die Schule ziemlich auf den Kopf stellen. Das war also kein totaler Bruch zu dem Lebensstil, den ich von meinen Stationen in den USA und Griechenland gewohnt war. Kollegium, Elternschaft und Schüler haben auch immer mitgezogen. Von daher gehe ich äußerst zufrieden aus der Schule. Ich denke, das HCG ist jetzt sehr gut aufgestellt.
Auf was sind Sie besonders stolz?
Wir haben schon ein paar Dinge erreicht wie die Wiedereinführung von G9, den Bilingualen Zug, das Sportprofil, NWT 1 oder Gesangs-, Bläser und Sportklassen bei den Fünfern und Sechsern. Ferner sind wir Mint-EC-Schule, womit wir einem Exzellence-Netzwerk von 18 Schulen in Baden-Württemberg angehören, das Schüler und Lehrer im naturwissenschaftlichen Bereich fördert.
Mit dem Marbacher Friedrich-Schiller-Gymnasium in der Nachbarschaft durften Sie sich wahrscheinlich auch nicht zurücklehnen?
Ich schätze Herrn Offermann sehr. Er ist ein genialer Schulleiter gewesen, der das FSG mit enormer Schläue und Weitsicht dahin geführt hat, wo es heute ist. Für mich war er ein brillanter Punkt des Reibens und der Konkurrenz.
Wie ausgeprägt ist denn die Konkurrenz?
Wenn Schüler aus Beilstein nach Marbach zur Schule fahren, wie das früher der Fall war, ist das auf jeden Fall eine Herausforderung. Und der muss man sich stellen. Ich habe das seinerzeit als Bildungstourismus tituliert. Um diesen möglichst gering zu halten, habe ich sehr viel Energie verwandt. Ein Schüler sollte auch in Beilstein eine Angebotspalette vorfinden, aus der er Bereiche auswählen kann, die ihm besonders liegen.
Was wäre passiert, wenn Sie das Portfolio am HCG nicht erweitert hätten?
Ich wage zu bezweifeln, dass Beilstein dann untergegangen wäre. Aber eine Trendumkehr, wie zuletzt geschehen, wäre wohl kaum gelungen. Das HCG gehört zu den wenigen Schulen, die noch wachsen. Wir hatten letztes Jahr 170 Anmeldungen. Das war ein Rekordwert. Dieses Jahr sind es auch wieder mehr als 150 neue Fünfer. Das zeigt, dass Beilstein eine Attraktivität entwickelt hat. Worauf ich besonders stolz bin: Es bietet den Schülern unseres originären Einzugsbereichs eine Alternative. Und die Abwanderung wurde gestoppt. Ich will allerdings nicht verhehlen, dass die große Zahl an Neuanmeldungen auch etwas mit dem Wegfall der Grundschulempfehlung zu tun hat.
Gibt es dennoch Punkte, wo Sie weiteren Verbesserungsbedarf an der Schule sehen?
Die Stellschraube für die Zukunft des HCG liegt darin, dieses sehr breit gefächerte Angebot für eine Schule dieser Größe zum dauerhaften Bestand werden zu lassen. Das wird sicher eine Herausforderung sein. Denken Sie zum Beispiel an das Sportprofil. Das machen wir dieses Jahr zum ersten Mal. Das muss sich erst bewähren. Es nützt ja nichts, viel einzuführen, und danach fällt es zusammen wie ein Kartenhaus.
Längst etabliert hat sich der G9-Zug.
Stimmt. Letztes Jahr hatte ich nicht eine ernst zu nehmende Anfrage für G8. G9 ist von den Eltern gewünscht.
Ist G8 also ein Schuss in den Ofen?
In meinen Augen ist es nicht gescheitert. Ich denke eher, dass die Eltern immer noch verunsichert und nicht überzeugt sind. Sie wollen zudem ihren Kindern ihre Freizeit lassen.
Aber Sie denken, dass das Modell eigentlich gut funktionieren könnte?
Mit den richtigen Schülern: ja. Zumal wir das Unterrichtsprogramm von den Klassen fünf bis elf strecken und nicht wie in Marbach von den Fünfern bis zu den Siebenern. Ein sehr guter Schüler hat im G8 auch kein Problem. Selbst wenn in einer Phase die Leistung heruntersacken sollte, in der plötzlich andere Dinge wichtig werden. Einige Schüler wären in dieser Zeit dann vielleicht verloren. Aber für sie gibt es ja G9, sodass sie durchaus Abitur machen können. Ich vergleiche das sehr gerne mit zwei guten Skifahrern. Der eine fährt eine Strecke im Schuss herunter, der andere mit ein paar Schwüngen. Am Ende haben beide das Ziel erreicht – wenn auch in unterschiedlicher Zeit und mit unterschiedlicher Belastung. Mein Traum wäre bei vier Klassen zweimal G8 und zweimal G9 zu haben.
G8 oder G9, Sinn und Unsinn von Grundschulempfehlungen: Sind Sie eigentlich froh, wenn Sie sich mit solchen Themen nicht mehr herumschlagen müssen?
Ich bin sicher nicht über alle schulpolitischen Entscheidungen glücklich. Aber „froh“ ist gewiss nicht das richtige Wort. Denn wie ich schon gesagt habe: Ich habe auf meinen beruflichen Stationen viel gestalten können. Und das Gestalten wird mir zweifellos fehlen.
Haben Sie schon eine Idee, wie Sie diese Lücke schließen?
Meine Frau stammt aus Athen. Da werden wir automatisch zwischen den Ländern pendeln. Dazu kommt, dass unsere Tochter eine Weltenbummlerin ist. Wir werden also immer wieder ein wenig reisen dürfen, um sie zu sehen.
Was steht sonst an?
Ich kann mehr Zeit für die Jagd investieren. Da darf ich in einem Staatswald auf die Pirsch gehen.
Was fasziniert Sie daran?
Die Ruhe. Das hilft mir, runterzukommen. Ich weiß nicht, ob das wissenschaftlich belegt ist. Aber meine Beobachtung ist: Je weniger Adrenalin sich aufgestaut hat, umso näher kommt das Wild an einen heran. Diesen Zeitpunkt hatte ich anfangs recht schnell erreicht, dann immer später. Das Schießen selbst ist das Unwichtigste, ja, sogar lästig. Es ist die Entspannung, die den Reiz für mich ausmacht, das andere Denken. Sobald man im Wald an seinen Job denkt, kommen keine Tiere.
Gibt es eine Traumreise, die noch auf Ihrer Agenda steht?
Ja, während unserer Zeit in New York sind wir mehrere Male mit einem alten VW-Campingbus zur Westküste und wieder zurück gefahren und haben dabei wunderschöne Landschaften kennen gelernt. Das werden wir wieder machen – wenn auch nicht von Ost nach West und wieder zurück. Das sind 15 000 bis 16 000 Kilometer, was mir jetzt zu heftig wäre. Dafür bin ich zu alt.
Noch ein Wort zu Ihrem Nachfolger. Ist die Schule bei Jochen Bär in guten Händen?
Ja. Der Vorteil ist, dass er die Schule, die doch sehr kompliziert ist, kennt. Er weiß also, wie er mit den Besonderheiten umgehen muss. Und vieles ist ja gerade am Wachsen. Wenn man da zu viele Fehler macht, könnte einiges kaputtgehen. Ich schätze ihn auch sehr als Kollegen, und er hat hier schon einiges angestoßen.